Von der Brillantenelse zum Blue Danube

Wer kennt noch Joe May? Eine Retrospektive erinnert an den Wiener Pionier des deutschen Films

FALTER:Woche, FALTER:Woche 6/2019 vom 05.02.2019

Mays Filme „Hilde Warren und der Tod“, „Die Herrin der Welt“, „Das indische Grabmal“, „Johnny Doesn’t Live Here Anymore“ (Fotos: FILMARCHIV AUSTRIA)

Die Aufregung sei zu groß für sie, säuselt die diebische Brillantenelse und entzieht sich ihrer Festnahme, indem sie ins Bett huscht. Der junge Polizist Albert, der sie des versuchten Juwelendiebstahls überführt und nach Hause begleitet hat, bevor er sie am Kommissariat abliefert, will Verstärkung rufen. Da klammert die halbnackte Else sich an ihn, reißt ihm die Kappe vom Kopf und bedeckt sein Gesicht mit heißen Küssen: „Du gefällst mir – du!“

Der Film, dem diese Szene entstammt, „Asphalt“ von 1929, gilt als einer der letzten Höhepunkte des deutschen Stummfilms und sein Regisseur, Joe May, als „Wiener Meister des Weimarer Kinos“. Unter diesem Titel zeigen Filmarchiv Austria und Cinefest Hamburg eine umfangreiche Retrospektive mit rund 20 Arbeiten des weithin vergessenen Tausendsassas.

Eigentlich hieß Joe May – 1880 in Wien geboren, 1954 in Hollywood gestorben – Julius Otto Mandl und war ein Spross jener österreichischen Unternehmerfamilie, die mit der Hirtenberger Patronenfabrik viel Geld machte. 1902 heiratet Mandl die Operettensängerin Hermine Pfleger, die sich nach der Geburt von Tochter Eva und längerer Karenzzeit den Künstlernamen Mia May zulegt. Und Mandl, der 1911 ins Filmgeschäft einsteigt, nennt sich fortan Joe May.

Er arbeitet als Regisseur, Autor, Produzent, ist oft alles drei in einem. Erkennt als Erster in Deutschland, wie zugkräftig Serien sind. Erfindet „May’s Preisrätselfilme“, um das Publikum über mehrere Folgen bei der Stange zu halten. Entwickelt neue Genres wie den Detektivfilm, dem er mit Figuren wie Joe Deebs und Stuart Webbs seinen Stempel aufdrückt. Gründet eigene Produktionsfirmen, errichtet eigene Ateliers und baut seine Frau zum Star der Leinwand auf.

So spielt Mia May unter anderem die Hauptrolle in der Serie „Die Herrin der Welt“ und dem monumentalen Zweiteiler „Das indische Grabmal“, weiß aber auch in Dramen wie „Hilde Warren und der Tod“ (1917, Buch: Fritz Lang) zu überzeugen. Es ist die Geschichte einer umjubelten Schauspielerin, die ihren Beruf aufgibt, um sich ganz ihrem Sohn zu widmen. Doch alle Mutterliebe kann nicht verhindern, dass Egon, kaum dass er erwachsen ist, wie einst sein Vater auf Abwege gerät und einen Mord begeht. Für die verzweifelte Hilde Warren erfüllt sich schließlich, was Gevatter Tod ihr vor Jahren prophezeit hat: „Der Tag wird kommen, an dem du mich rufst!“

Nicht minder schicksalhaft ist die Wendung, die das Privatleben des Ehepaars May wenig später nimmt. 1924 setzt Tochter Eva, ein aufstrebender Kinostar und mit nur 22 Jahren bereits dreimal geschieden, ihrem Leben ein Ende. Mia May tritt danach nie wieder vor eine Filmkamera.

Mit dem Beginn der Tonfilmära wendet sich May als Regisseur leichteren Stoffen zu. 1930 besucht er Amerika, um sich über die Produktionsbedingungen dort zu informieren. „Was wir von Hollywood lernen können“, erklärt er nach seiner Rückkehr, „das ist Optimismus.“ Doch nur ein paar Komödien – wie „Ihre Majestät die Liebe“ mit dem eleganten Franz Lederer oder „Ein Lied für Dich“ mit dem Tenor Jan Kiepura – später sehen sich Mia und Joe May gezwungen, Deutschland zu verlassen. Sie fliehen 1933 vor den Nazis nach London und im Jahr darauf in die Vereinigten Staaten.

Für einen Filmmogul wie May, der stets vom „weltmarktfähigen Großfilm“ und „Anspruch auf Filmkunst“ träumte, muss Hollywood ein schlimmes Erwachen bedeutet haben. Seine zwei ersten Engagements, „Music in the Air“ und „Confession“ (ein bizarres Shot-für-Shot-Remake eines Willi-Forst-Films), bleiben hinter den Erwartungen zurück. Daraufhin werden ihm nur noch B-Movies mit kleinen Budgets anvertraut; seinen letzten Film, die Komödie „Johnny Doesn’t Live Here Anymore“ mit der bezaubernden Simone Simon, dreht er 1944 für das Arme-Leute-Studio Monogram.

Obwohl er in Amerika bei neun Filmen Regie führt und fünf weitere nach seinen Ideen realisiert werden, scheitert Joe May – wie so viele emigrierte Filmschaffende – an Hollywood. Und zwar total. Auch das Blue Danube, ein Restaurant mit Wiener Küche, das die Mays 1949 eröffnen, kann sich nur ein paar Wochen lang halten.


Joe May: Wiener Meister des Weimarer Kinos läuft bis 28.2. im Metro Kinokulturhaus

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Alle Artikel der aktuellen Ausgabe finden Sie in unserem Archiv.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!