Schwule Krabben

Peter Iwaniewicz summt den Song „Schwule Mädchen“ von Fettes Brot

Kolumnen, FALTER 5/2019 vom 29.01.2019

Kep in Kambodscha ist ein Hotspot für Foodies, also jene Menschen, die Nahrung und Köche anbeten. Eine der Spezialitäten in dieser Region sind Krabben, genau gesagt die blue crab, Callinectes sapidus, was sich auf Deutsch als „wohlschmeckender Schönschwimmer“ übersetzen lässt. Frau K. urlaubt dort und hat sich von einem lokalen Fischer erklären lassen, dass es bei dieser Art neben den üblichen männlichen und weiblichen Tieren auch „schwule“ Krabben gäbe, die man an der anderen Form ihres Hinterleibs erkennen könne.

Stimmt das? Dazu muss man ein bisschen in die Anatomie der Krustentiere eintauchen: Krabben sind Krebse, deren hinterer Körperabschnitt zu einer kurzen Platte umgebildet ist und nach vorne geklappt unter dem Kopf- und Brustteil liegt. Darunter brüten die Krabbenfrauen ihren Nachwuchs aus. Daher ist dieser Körperteil auch anders – nämlich breiter – als bei Krabbenbullen geformt. Da diese Krabbenart ursprünglich nur an der Ostküste Amerikas vorkam, gibt es folgende Merkregel: Die Bauchplatte der Weibchen gleicht den Umrissen der Kuppel des US-amerikanischen Kapitols, das der Männchen ist viel schmaler und ähnelt der weißen Mamorsäule in Washington. Woran will der Fischer also erkennen, dass eine Krabbe homosexuell ist?

Der kanadische Biologe Bruce Bagemihl verfasste 1999 ein Standardwerk über Homosexualität im Tierreich: Gleichgeschlechtliches Verhalten kann auf vielfältige Weise zum Ausdruck kommen, nicht notwendigerweise nur durch den Versuch sexueller Handlungen, sondern auch durch Balz, Zuneigung, partnerschaftliche Beziehungen oder gemeinsame Brut. Er führt dann Beispiele von über 500 Tierarten an – Säugetiere, Vögel, Insekten bis zu Kratzwürmern –, deren Verhalten nicht der behaupteten heterosexuellen Norm entspricht. Ganz offenbar umfasst Sexualität viel mehr als nur das Diktat der Fortpflanzung.

Zurück zur Krabbenfrage: Auf einem Foto, das Frau K. mailte, erkennt man, dass die „schwule“ Krabbe deswegen anders aussieht, weil sie einfach eine andere Art ist. Trotz einiger Ähnlichkeiten ist die lesser blue crab, Callinectes similis, eine andere Spezies, die sich eben nicht mit der blue crab paart. Bloß deswegen ist sie noch lange nicht homosexuell. Wie heißt es bei den „Science Busters“: Wer nichts weiß, muss alles glauben!

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