„Er war ein echter Menschenfreund“
Das Mak würdigt mit dem Secessionisten Koloman Moser einen begnadeten Kunstgewerbler
Von links oben im Uhrzeigersinn: Koloman Mosers Paravent mit Frauenfiguren von 1906, Prunkkassette für die Wiener Werkstätte, „Blick auf die Rax von der Villa Mautner von Markhof im Abendlicht“ und Likörglas 1913 (Fotos: Michael Huey (unten); Mak/georg mayer, MAK/Kristina Wissik, Sylvia Kovacek GmbH, Wien)
Mit Koloman Moser starb vor 100 Jahren eine maßgebliche Figur des Wiener Fin de Siècle. Der studierte Maler, geboren 1868, war Mitbegründer der Secession sowie der Designfirma Wiener Werkstätte, außerdem unterrichtete er auf der Kunstgewerbeschule. Enorm produktiv und erfinderisch, scheute Moser kein Material. Das Museum für angewandte Kunst besitzt mit dem Nachlass der Wiener Werkstätte einen großen Fundus an Entwürfen, die der Kurator Christian Witt-Dörring in seine kürzlich eröffnete und noch bis 22. April laufende Schau einbezogen hat.
Falter: Herr Witt-Dörring, ein Porträtfoto zeigt Koloman Moser mit einem aufgezeichneten Heiligenschein. Was war er für ein Typ?
Christian Witt-Dörring: Ein echter Menschenfreund. Er hatte viel Humor, war ein liebevoller Vater und ein integrer Charakter. Ich kenne dieses Foto schon seit langem, aber plötzlich hatte ich ein Aha-Erlebnis. Mir wurde klar, dass es aus der Entstehungszeit der Fenster für die Kirche am Steinhof stammt. Moser ließ sich so wie die Heiligen der Fenster ablichten.
Hatte der sakrale Kontext Einfluss
auf seine Entwürfe?
Witt-Dörring: Er hat eine Rolle gespielt, aber nur als Knebel. Moser musste den Entwurf mehrmals abändern. Wir zeigen in der Ausstellung erstmals einen Vorentwurf für ein Fenster, das ist eine ganz luftige Sache ohne Farben. Aber die Kirche bestand auf Farbigkeit und auf den Heiligenfiguren. Schließlich verliert Moser noch den Auftrag für das Hochaltarbild, weil er für seine Hochzeit mit Editha Mautner Markhof zum Protestantismus konvertiert.
Moser heiratete die Tochter eines Industriellen. Wie wuchs er selbst auf?
Witt-Dörring: Er kommt aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater war Verwalter im Theresianum. Es gibt eine Tagebucheintragung von Alma Mahler, in der sie beschreibt, wie sie in die Wohnung von Mosers Familie geht. Am Schluss schreibt sie: „Es riecht nach Armut.“
Wie wurde sein Aufstieg möglich?
Witt-Dörring: Aus seiner Kunst heraus. Die Secession ist ein irrsinniges Vehikel für ihn, in diese Gesellschaftsschicht aufgenommen zu werden. Gleichzeitig war die Secession auch wie eine Familie für ihn.
Otto Wagner zählte zu Mosers Mentoren. Er vermittelte ihm eine Professur und den Steinhof-Auftrag. Hat er ihn auch stilistisch geprägt?
Witt-Dörring: Nein, formal eher nicht. Ihn prägte Wagners Überzeugung, dass künstlerische Individualität wichtig ist. Aber gleichzeitig warnte Wagner vor dem Fehler zu glauben, dass der Mensch für die Kunst da sei und nicht die Kunst für den Menschen. An der Wagner-Villa hängt eine Tafel, wo er sagt, die einzige Herrin der Kunst ist die Funktion.
Sie haben bereits 2007 eine Moser-Schau in der Neuen Galerie in New York gezeigt. Gab es für Sie noch etwas zu entdecken?
Witt-Dörring: Ja, ich habe mich mit den ganzen Entwurfszeichnungen auseinandergesetzt. Die konnte ich in New York nicht zeigen, denn dort herrscht ja der „Masterpiece“-Kult. Im Entwurfsprozess kommt man dem Künstler viel näher. Eine Entdeckung für mich war die künstlerische Schrift, davon hat bisher noch niemand gesprochen. Und es ist noch viel klarer geworden, dass sich Moser mit allem ungeheuer liebevoll auseinandergesetzt hat, mit jedem einzelnen Detail.
Er hat Möbel, Gläser, Metallobjekte und Stoffe entworfen, und er gestaltete Interieurs, Ausstellungen und Bühnenbilder. War er ein Workaholic?
Witt-Dörring: Das muss er gewesen sein. Sein Werk ist irrsinnig groß, wir können nur einen kleinen Ausschnitt daraus zeigen.
Wie hat ihn die Kunst Japans geprägt?
Witt-Dörring: Der Japonismus entstand ja schon viel früher in Frankreich. Moser ist derjenige, der die Wiener Flächenkunst initiiert hat, und dafür war Japan eine ganz wichtige Quelle. Er gab auch das Vorlagenwerk „Der Wiener Flächenschmuck“ heraus. Aber auch die Formate, die Moser wählte, sind davon beeinflusst. Etwa die frühen Secessionskataloge und die Zeitschrift Ver Sacrum, die haben ein neues, aus Japan stammendes Format. Ein anderes Element ist die Fragmentierung. Es wird nicht die ganze Bildinformation gegeben, sondern abgeschnitten, und der Betrachter muss die Gestalt selbst vervollständigen.
Warum verließ Moser die Wiener Werkstätte 1907 und malte in der Folge nur noch?
Witt-Dörring: Er war damals wütend auf seinen Partner Fritz Waerndorfer, weil der heimlich seine Frau Editha um Geld für die Wiener Werkstätte gebeten hatte. Dabei hatten Moser und seine Frau getrennte Finanzen. Außerdem hatte er zu dieser Zeit bereits den Glauben an die Idee des Gesamtkunstwerks verloren gehabt.
Kurator Christian Witt-Dörring ist Spezialist für Möbel und Wien um 1900; er war von 1979 bis 2004 im Mak tätig