„Man spricht ja auch mit den Augen“

Regisseur Silvio Soldini über Blindheit und seine Romanze „Die geheimen Farben der Liebe“

FALTER:Woche, FALTER:Woche 25/2018 vom 19.06.2018

Foto: Polyfilm

Es ist eine wechselvolle Romanze, die Silvio Soldini in „Die geheimen Farben der Liebe“ erzählt. Werbefachmann Teo, ein gefühlsarmer Frauenheld, begegnet Emma, einer blinden Osteopathin, und verliebt sich unversehens in sie. Der ironische Kniff dabei: Sie öffnet ihm die Augen.

Soldini, 1958 in Mailand geboren, zählt seit dem Arthouse-Hit „Brot und Tulpen“ (2000) zu Italiens bekanntesten Filmemachern. Der Falter traf ihn vergangene Woche anlässlich der Premiere seines neuen Films in Wien.

Falter: Signore Soldini, die männliche Hauptfigur Ihres Films heißt Moscone, also Schmeißfliege. Ist das mehr als nur ein böser Witz?

Silvio Soldini: Dieser sprechende Name ist das Einzige, das ihm sein Vater hinterlassen hat. Natürlich hasst Teo ihn. Ich weiß nicht mehr, wie es zu der Idee kam, aber gegen Ende, wenn Emma mit einer Freundin zu Teo fährt, um ihn zur Rede zu stellen, gibt es dieses kleine Wortspiel. Sie stehen vor seinem Haus und sagen zu dem Taxifahrer, er soll bei Moscone drücken: „schiacciare moscone“, was so viel heißt wie „die Schmeißfliege zerquetschen“.

Teo ist kein sympathischer Charakter, sollen wir ihn bemitleiden?

Soldini: Nicht wegen seines Namens, nein. Mir hat die Idee gefallen, dass man Teo nicht auf Anhieb mag, sondern ihn erst nach und nach besser zu verstehen lernt. Er führt uns zu Emma, in ihren Alltag, ihre Welt – und beginnt dabei, sich selbst als Mensch weiterzuentwickeln. Teo macht einen gewaltigen Lernprozess durch.

Sie haben als Dokumentarfilmer angefangen: Sind Sie es von dort gewohnt, auch bei Spielfilmen zu recherchieren?

Soldini: Ich mache seit jeher beides, Spiel- und Dokumentarfilme, aber es war das erste Mal, dass mich eine Dokumentation zu einem Spielfilm inspiriert hat. Vor fünf Jahren drehte ich „Per altri occhi“, eine Doku über einen blinden Physiotherapeuten, den ich zufällig kennengelernt und der meine Neugier angespornt hatte. Bis dahin hatte ich keinen Kontakt mit blinden Menschen. Dann lernte ich auch seine Freunde kennen, andere Blinde, und entschloss mich, sie und ihren Alltag zu porträtieren. Jetzt fand ich’s an der Zeit, einen Spielfilm zu machen, in dem ich quasi erzähle, was ich über Blindheit gelernt habe. Teo steht also zum Teil auch für mich selbst.

Was hat Sie dabei am meisten überrascht?

Soldini: Vieles. Eine wichtige Erkenntnis für mich als Filmemacher war, dass blinde Menschen sich nur selten in Filmen wiederfinden: Meistens werden ihnen geheimnisvolle Kräfte angedichtet oder ihr Leben wird als ein einziges großes Drama dargestellt. Und auch, dass Blinde sehr oft das Verb „sehen“ verwenden: „Oh, ich hab diesen Film gesehen.“ Es hat gedauert, bis ich verstanden habe, dass dem wirklich so ist: Wenn blinde Personen ins Kino gehen, haben sie in der Regel ganz klare Bilder vor sich.

Haben sich Ihre blinden Freunde den Film angeschaut?

Soldini: Ja. Und nicht nur die, sondern in Italien ist der Film wahlweise auch mit akustischer Bildbeschreibung gezeigt worden.

War es schwierig, einen Weltstar wie Valeria Golino für den Part der blinden Emma zu gewinnen?

Soldini: Sie hatte ein bisschen Angst, weil sie so eine Rolle noch nie gespielt hat. Andererseits kennen wir uns seit 20 Jahren, als wir zusammen den Film „Le acrobate“ gemacht haben. Valeria hat die Herausforderung also gern angenommen und wirklich hart gearbeitet. Sie hat Wochen damit verbracht, „blind“ zu sein, hat gelernt, mit einem Blindenstock umzugehen, sich in einer fremden Küche zurechtzufinden und vor allem, nicht mit den Augen zu spielen – normalerweise spricht man ja immer auch mit den Augen!

Adriano Giannini, der Darsteller des Teo, kommt von der Kamera – eine ungewöhnliche Karriere, meinen Sie nicht?

Soldini: Ach, sein Vater ist Giancarlo Giannini, ein in Italien sehr bekannter Schauspieler. Wahrscheinlich hat sich Adriano deshalb gesagt: „Okay, ich fang lieber hinter der Kamera an.“ Jetzt will er übrigens auch selbst Regie führen, er dreht Kurzfilme.

Was fasziniert Sie am meisten beim Filmemachen?

Soldini: Ich mag’s einfach, in Bildern zu erzählen. Und auch, dass ich als Filmemacher – im Unterschied etwa zu einem Romancier oder bildenden Künstler – die ganze Zeit mit anderen zusammenarbeiten muss. Ich hätte keinen Spaß daran, einen Film allein zu schreiben, und allein spielen könnte ich ihn schon gar nicht – du brauchst immer Mitverschworene. Das finde ich faszinierend, das ist für mich das Schöne am Filmemachen.

Bereits in den Kinos (OmU im Filmhaus)

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Alle Artikel der aktuellen Ausgabe finden Sie in unserem Archiv.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!