„Mehr Schmutz, weniger Broadway“

Der Regisseur Miloš Lolić inszeniert am Volkstheater das David-Bowie-Musical „Lazarus“

FALTER:Woche, FALTER:Woche 18/2018 vom 30.04.2018

Foto: www.lupispuma.com / Volkstheater

Das Musical „Lazarus“ erzählt mit Liedern von David Bowie die Geschichte des Aliens Thomas Jerome Newton aus dem Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“ weiter. Die New Yorker Premiere war im Dezember 2015 der letzte öffentliche Auftritt der britischen Popikone. Nach Aufführungen in London und Düsseldorf wird „Lazarus“ nun vom serbischen Regisseur Miloš Lolić am Volkstheater inszeniert.

Falter: Herr Lolić, David Bowie und Musical, wie passt das zusammen?

Miloš Lolić: Als ich erstmals von diesem Projekt hörte, dachte ich ehrlich gesagt: „Nein, warum?!?“ Nach der Premiere musste ich aber sofort wissen, welche Songs vorkommen. Wie geht es sich aus, dass „Lazarus“ so viele unterschiedliche Lieder seiner diversen Phasen verbindet, habe ich mich gefragt. Die Arbeit daran machte klar, dass es gute Gründe dafür gibt.

Trotzdem: Bowie war der Inbegriff von cool, Musicals sind das Gegenteil.

Lolić: Offenbar wollte Bowie Menschen auch abseits der Popbühne ansprechen. Trotz der anfänglichen Zweifel leuchtet es mir inzwischen absolut ein, diese Lieder in einem anderen Kontext auftauchen zu lassen.

In der New Yorker Version wurden die Songs teils arg verkitscht.

Lolić: Wir versuchen, wieder etwas mehr Punkgestus reinzubringen. Mehr Schmutz, weniger Broadway, das wäre im Sinne Bowies die Idee.

Wie viel kreative Freiheit haben Sie?

Lolić: Mit „Hamlet“ kannst du als Regisseur machen, was du willst, hier läuft es anders. Die Story und die Reihenfolge der Songs sind vorgegeben, für eine individuelle Handschrift bleibt aber trotzdem genügend Spielraum. Ich will nicht einfach die Verpackung liefern, sondern mit dem Ensemble dem Geist von Bowie nachspüren. Zum Glück sind darunter viele Fans, dadurch war unser Ansatz von Beginn an klar: Lasst uns Bowie vor der Welt der Musicals beschützen!

Erzählt „Lazarus“ eine Geschichte, oder geht es nur darum, möglichst viele Lieder auf die Bühne zu bringen?

Lolić: Es gibt durchaus eine Geschichte, und sie ist in mehrerlei Hinsicht unkonventionell. Die Hauptfigur ist ein Alien, gleichzeitig zeigt „Lazarus“ ein menschliches Ringen mit Engeln und Dämonen. Man könnte es als Erzählung über Bowie selbst sehen, es bietet aber auch viel Identifikationspotenzial. Natürlich erlaubt das Genre Musical nicht, eine allzu komplexe Geschichte zu erzählen, aber sie bleibt stets bowieesk – durch ihren Nihilismus und ihre Neigung zum Abstrakten.

Das Musical korrespondiert mit dem Stoff des Films „Der Mann, der vom Himmel fiel“. Sollte man ihn kennen, um das Musical zu verstehen?

Lolić: Nein, es gibt nur lose Verbindungen, die zudem allgemein verständlich verpackt sind. Den Film empfehle ich trotzdem, zur Einstimmung auf den Musicalbesuch würde ich aber Bowie-Platten hören.

Die Hauptfigur im Film ist ein Alien, das an der Schlechtheit der Welt zugrunde geht. Im Musical gibt es vermutlich ein Happy End?

Lolić: Musicals haben nicht notwendigerweise ein Happy End. Denken Sie beispielsweise nur an „Cabaret“, eines der wenigen offen politischen Werke seiner Art. „Lazarus“ setzt Jahrzehnte nach dem Ende des Films mit einer zerstörten Existenz ein. Es folgt eine seltsame, düstere Reise mit ganz unterschiedlichen Wendungen, hin zur Hoffnung, zur Liebe, zum Licht. Was aber nichts daran ändert, dass es letztlich düster bleibt. Wobei: Will sich das überhaupt jemand ansehen, wenn ich es so beschreibe?

Bowie-Fans vermutlich durchaus.

Lolić: Es geht nicht nur um Unterhaltung, es geht um existenzielle Fragen. Ähnlich wie Bowies letztes Album „Blackstar“, das ja einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und zum Nachdenken anregen sollte.

Welchen Bezug haben Sie zu Bowie?

Lolić: Meine erste Erinnerung ist die Kassette von „Let’s Dance“, die bei meinen Eltern ständig im Autoradio lief. Als Jugendlicher habe ich Nirvana geliebt, dann bin ich Richtung Industrial und Düsterelektronik abgebogen. Und plötzlich war der Held meiner Kindheit Mitte der 90er wieder da – mit experimenteller Elektronik. Erst in meinen Zwanzigern habe ich dann die Musik der 1960er und 70er gehört und mich endgültig in Bowie verliebt. In gewisser Weise entdecke ich ihn noch heute ständig neu. Bowie war nicht nur unglaublich kreativ und schillernd, er war auch ein politischer Künstler, der etwa früh schon Gendergrenzen überschritten hat. Seine Kunst bleibt aktuell, und auch alte Platten von ihm erzählen etwas über unsere Gegenwart und Zukunft.

Volkstheater, Mi 19.30 (Premiere)

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