Gruppentherapie mit Breakbeats

Die englischen Schüchti-Popstars The xx sind aufgetaut und bitten in der Marx Halle zum Tanz

FALTER:Woche, FALTER:Woche 7/2017 vom 14.02.2017

Foto: Alasdair McLellan

Am Anfang ihrer Karriere sind The xx nur im Dunkeln aufgetreten, so unangenehm war ihnen die Konzertsituation. Mittlerweile scheinen sie sich an das Scheinwerferlicht gewöhnt zu haben, wie die Live-Premiere ihrer Single „On Hold“ bei einem Auftritt in der US-TV-Show „Saturday Night Live“ vergangenen November bewies. Zunächst standen Romy Madley Croft und Oliver Sim da immer noch stoisch hinter ihren Mikrofonen, um im Wechselgesang von missverstandener und unerwiderter Liebe zu erzählen.

Im Hintergrund machte sich Jamie Smith alias Jamie xx an Turntables und Effektgeräten zu schaffen. Als er einen geschmeidigen Loop reindrückte, kam Bewegung in die Performance. Erst begann Croft vom einen auf den anderen Fuß zu wippen. Dann setzte der Beat ein. Die beiden Stimmen bewegten sich aufeinander zu und tanzten sich gegenseitig an wie bei der Schuldisco auf der Sportwoche, ein bisschen schienen dabei auch ihre Gitarre und sein Bass miteinander zu tanzen.

Das Ganze wirkte alles andere als choreografiert und, gelinde gesagt, etwas ungelenk. Doch gleichzeitig schaute es auch so aus, als hätten die beiden richtig Spaß daran. Am Ende war der Jubel groß, ebenso die Erleichterung der Musiker, es gut hinter sich gebracht zu haben. Sie schenkten dem Publikum sogar ein Lächeln.

Mit ihrem vor wenigen Wochen erschienenen dritten Album „I See You“ hat sich die vielleicht schüchternste aller Popbands aus ihrer Komfortzone bewegt und für ihre Verhältnisse sehr locker gemacht. Die langwierige Entstehungsgeschichte liest sich im Nachhinein wie eine Gruppentherapie, in der die drei zunächst einzeln und dann gemeinsam ihre Unsicherheiten und ihren erstaunlichen Erfolg aufarbeitete.

Hatte das Mitte der Nullerjahre in London gegründete Trio bei den Aufnahmen seines zweiten Albums „Coexist“ (2012) auf das Interesse der Welt noch mit radikaler Abschottung reagiert – man verbarrikadierte sich im Studio und spielte selbst der Plattenfirma keinen Ton der neuen Songs vor, ehe diese im Kasten waren –, so ging es diesmal raus in die Welt. The xx brachten sich bewusst in Situationen, in denen sie über ihre eigenen Schatten springen mussten.

Romy Madley Croft, die ihre Texte davor immer im stillen Kämmerlein verfasst hatte, zog für einige Zeit ins sonnige Kalifornien und suchte Anschluss an die dortige Musikszene. Sie nahm an Songwriting-Sessions teil, bei denen viele der Hits entstehen, die die Charts in aller Welt dominieren, und schrieb den Gitarrenpart für einen Song von One Republic, eine dieser Gruppen, die in den Formatradios rauf und runter gespielt werden.

Am Ende war sie dennoch froh, wieder zu ihrer Stammformation zurückkehren zu können: „Mein Herz konnte ich in dieser Musik nicht ausschütten. Es war Zeit, wieder mit meinen Jungs zusammenzuarbeiten und kathartisch zu werden.“

Parallel dazu lebte Kollege Jamie Smith unter dem Namen Jamie xx auf dem Soloalbum „In Colour“ seine Liebe zu Breakbeats aus und bespielte Festivals und Clubs in aller Welt. Da lag es auf der Hand, auch der neuen Musik von The xx mehr Rhythmus zu verpassen. „I See You“ ist zwar kein Partyalbum, als Grundstimmung zeichnet auch die neuen Songs eine tiefe Melancholie aus. Zu manchen lässt sich aber durchaus tanzen.

Oliver Sim schließlich, der Partyboy der Gruppe, ließ es einige Zeit richtig krachen. Bis er erkannte, dass er nicht deshalb so viel trank, weil er gern feierte, sondern ständig feiern ging, um eine Ausrede fürs Trinken zu haben. Er versuchte in der Bandpause Stabilität in sein Leben zu bringen und schwor dem Alkohol ab. Die restliche Zeit verbrachte Sim mit Modeljobs, so war er 2016 das Gesicht von Dior Homme.

Bei den Aufnahmen des neuen Albums wählten The xx bewusst Orte mit einem weiten Horizont, um von der klaustrophobischen Entstehungssituation des Vorgängers wegzukommen und den Songs ein bisschen Sonne angedeihen zu lassen. Teile von „I See You“ entstanden im texanischen Marfa, andere in Island.

Inhaltlich hat sich aber nicht viel verändert. Die Songtexte wühlen immer noch im eigenen Gefühlsleben und handeln davon, wie sich die Beziehungen unter den Bandmitgliedern durch den Abstand in den letzten Jahren verändert haben. Es endet mit einer Kampfansage. In „Test Me“ singen Croft und Sim davon, dass sie Konfrontationen in Zukunft direkt und ohne Vorbehalte führen wollen.

Bei ihrem einzigen Österreich-Auftritt werden The xx mit der Marx Halle konfrontiert. Hoffentlich kommt es zu keinem organisatorischen Chaos wie zuletzt bei The Cure. Möglicherweise wird es eines der letzten Konzerte dort, die Stadt sucht nach einem neuen Konzept für die Halle.

Marx Halle, Do 20.00

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