FALTER veröffentlicht Justizakten im Brunnenmarkt-Mord

Polizei alarmierte Staatsanwaltschaft in einem E-mail ein paar Wochen vor der Tat über die Gefährlichkeit von Francis N. und bat um „Arbeitsauftrag“

Presseaussendung vom 10.05.2016

Der FALTER veröffentlicht in seiner am Mittwoch erscheinenden Ausgabe Auszüge aus der Strafakte von Francis N., jenes Mannes, der vergangene Woche in Ottakring eine Frau ermordet hatte. Sie zeigen ein erschreckendes Justizversagen. Wie der FALTER berichtet, war die Polizei, anders als bislang kolportiert, in diesem Fall nicht untätig. Im Gegenteil: noch am 22. März forderte die Polizeiinspektion Brunnengasse per E-Mail die Wiener Staatsanwaltschaft auf, endlich zu handeln und einen „Arbeitsauftrag“ zu erteilen.

Gegen Francis N. seien nämlich schon vier Strafverfahren im Gange – unter anderem wegen räuberischen Diebstahls, Körperverletzung, Widerstand und gefährlicher Drohung – und er sei bereits nach 18 Strafanzeigen 26 (!) Mal persönlich aufgefordert worden, bei der Staatsanwaltschaft zu erscheinen, allerdings vergeblich. Die Staatsanwaltschaft, so zeigt die Akte, hatte auch nach diesem Hinweis keinen Haftbefehl erlassen. Dies obwohl Francis N. bereits im Juni 2015 angezeigt wurde, einen Passanten „ohne ersichtlichen Grund“ mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen zu haben. Auch hier wurde von der Staatsanwaltschaft kein Gerichtspsychiater bestellt oder eine Festnahme-Anordnung erlassen. Auch ein Amtsarzt oder ein Sachwalter wurden nicht konsultiert.

Offenbar gibt es auch bei der Staatsanwaltschaft Wien nun enorme Meinungsverschiedenheiten. Ein Staatsanwalt, der die Akte Francis N. kennt, sagt: „Ich bin schockiert. Wir hätten handeln müssen“. Eine Behördensprecherin hingegen verteidigt die Staatsanwaltschaft: man habe alles richtig gemacht.

Wie FALTER-Recherchen zeigen, soll Francis N. von der Polizei auch mehrmals wegen „tobender Psychosen“ in psychiatrische Krankenhäuser ausgeführt worden sein. Die medizinischen Informationen mussten jedoch „aus Datenschutzgründen“ nachträglich aus der Akte gelöscht werden. „Faktum ist, wir waren mit ihm auf der Psychiatrie, aber er wurde nie aufgenommen“, so ein Polizist zum FALTER. Die betroffenen Spitäler – Rudolfsstiftung und Otto Wagner-Spital – stellen klar, Francis N. sei nie registriert worden.

Der FALTER zitiert auch aus dem Fremdenrechtsakt: anders als die kenianische Botschaft beteuerte, stellte das Innenministerium bereits im Sommer 2015 einen Antrag auf ein Heimreisezertifikat, um eine Abschiebung durchzuführen. Bis heute ist keine Antwort seitens der Botschaft eingelangt.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Alle Artikel der aktuellen Ausgabe finden Sie in unserem Archiv.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!