Der bewegte Gottesacker
Der Friedhof in der Rossau zeugt von sechs Jahrhunderten Antisemitismus. Jetzt soll die Ehre toter Juden wiederhergestellt werden
Vor dem Seniorenheim „Haus Rossau“ dreht sich ein Reklamewürfel mit dem Spruch „Häuser zum Leben“; im Innenhof fällt kalter Nieselregen auf Grabsteine. Aus einem Fenster im dritten Stock schaut eine Frau auf sie herab. Es ist Traude Veran, 78, die das Zimmer 336 bewohnt. Sie sagt, es gebe Leute, die hier einzögen und sagten, sie würden keinen Blick auf den Friedhof wollen. Sie hingegen hat vor zwölf Jahren extra um eine Wohnung mit Gräberausblick gebeten: die Spiritualität, die Ruhe, die Romantik. Für Veran ist die Geschichte der Juden in Wien ganz eng mit der Geschichte dieses Friedhofs verwoben, wie sie sagt.
2002 hat Veran ein Buch geschrieben, „Das steinerne Archiv“. Darin geht es um den Friedhof vor ihrem Fenster, einen der ältesten jüdischen Gottesacker Europas, den ältesten Wiens. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny nennt ihn „ein kulturhistorisches Juwel“, der Wiener Landeskonservator des Bundesdenkmalamts, Friedrich Dahm, bezeichnet seine Grabsteine als „herausragende Zeugnisse jüdischer Kultur“. Trotzdem kennt kaum jemand den Friedhof Rossau, der sich hinter den Mauern des Altersheims in der Seegasse im 9. Bezirk versteckt.