Agenda 2032: Volkswirtschaftslehre ohne Sexismus

Lisa Hanzl
am 18.01.2022

Stellen Sie sich vor im Jahr 2032 sind Wissenschaftler:innen an Universitäten repräsentativ für die Gesellschaften, die sie beforschen. Die Hälfte aller Professuren ist mit Frauen besetzt, Fakultäten sind nicht länger überwiegend weiß und Arbeiter:innenkinder haben die gleichen Chancen, die Uni-Karriereleiter zu erklimmen, wie Studierende mit Akademiker:innen-Hintergrund. Studierende werden von Personen unterrichtet, mit denen sie sich identifizieren können.

Noch sieht das sehr anders aus. Die Wirtschaftswissenschaften haben in Sachen Geschlechterdiskriminierung sogar im Vergleich zu anderen akademischen Disziplinen einiges aufzuholen. Und das obwohl laut der Mainstream-Ökonomie Diskriminierung unter perfektem Wettbewerb gar nicht existieren sollte. Die Aussichten als Frau auf eine erfolgreiche Karriere in der Volkswirtschaftslehre sind vergleichsweise düster. Und auf die besonders frauenfeindliche Kultur dieser akademischen Disziplin reagieren Ökonom:innen so, wie sie wissen gehört zu werden: mit quantitativer Forschung.

Wissenschaftler:innen haben in den letzten Jahren einige Umstände, die vielen Ökonominnen aus eigener Erfahrung schon lange klar waren, in Zahlen und Daten gegossen: Bei VWL-Konferenzen werden Frauen mehr Fragen gestellt und diese sind öfter bevormundend oder feindselig (Dupas et al. 2021), Artikel von Autorinnen werden häufiger fehlerhaft zitiert (Koffi 2021), wissenschaftliche Artikel von Frauen werden häufiger von Herausgeber:innen und Gutachter:innen abgelehnt (Card et al. 2020), die sprachlichen Anforderungen an Forscherinnen sind höher und es dauert länger, bis ihre Artikel veröffentlicht werden (Hengel 2018). All das sind Punkte, die mitunter dazu beitragen, dass Frauen bei Berufungen auf Professuren systematisch benachteiligt werden (Ginther und Kahn 2004).

Ein zentraler Beitrag zu dieser Art von Forschung ist die Bachelorarbeit einer ehemaligen Studentin der UC Berkeley. Alice Wu hat 2017 mit ihrer Arbeit über das Onlineforum „Econ Job Market Rumors“ die Disziplin aufgerüttelt. Darin enthüllt sie mit Machine Learning-Methoden den eklatanten Sexismus der Ökonomen in diesem bekannten Forum. Später wurde der Artikel von der New York Times aufgegriffen und trat eine Diskussion über Sexismus in der Volkswirtschaftslehre los. Immer mehr Ökonominnen sprachen über die Diskriminierung, die sie ihre akademische Karriere lang erfahren haben. 2021 kam diese auch im deutschsprachigen Raum an, wo Missstände an Universitäten unter dem Hashtag #IchbinHanna diskutiert wurden.

Die Auswirkungen dieser strukturellen Benachteiligung machen sich deutlich bemerkbar: Im Ökonom:innen-Ranking von Presse, NZZ und FAZ sind 2021 nur 3 von 20 Personen Frauen. In der Geschichte des Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften wurden lediglich zwei Frauen prämiert. Je weiter es die Karriereleiter hinauf geht, desto weniger Frauen findet man vor. Laut der American Economic Association waren 2020 nur 15% aller ordentlichen Professuren von Frauen besetzt. Aus intersektionaler Perspektive sind die Zahlen noch schockierender: Von rund 1.200 VWL-Doktortiteln, die 2019 in den USA verliehen wurden, gingen lediglich vier an Schwarze Frauen. Schwarze VWL-Professor:innen machen in den USA nur rund 2 % aus – der Anteil Schwarzer Frauen ist noch geringer.

Es gibt also noch viel zu tun. Denn eine so einflussreiche Disziplin wie die Volkswirtschaftslehre, kann nicht dauerhaft auf das intellektuelle Potenzial der Hälfte der Bevölkerung verzichten. Als junge Ökonomin und Doktorandin, die eine akademische Karriere anstrebt und sich aller Schwierigkeiten abseits von geschlechterbasierter Diskriminierung bewusst ist, hoffe ich, dass diese Rückstände in nur 10 Jahren aufzuholen sind. Wenn das gelingt, werden Universitäten 2032 deutlich weiblicher und diverser – und so zu Orten, die für Lehrende und Lernende gleichermaßen wünschenswert, herausfordernd und bereichernd sind.

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