Ist der Klimabonus unfair?

Felix Pinkert
am 20.10.2021

Der Klimabonus der ökosozialen Steuerreform erregt die Gemüter: Laut dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig sei der niedrige Klimabonus in Wien unfair gegenüber Wiener*innen, und Wiener Linien Geschäftsführer Günter Steinbauer hält es scheinbar für absurd, dass klimaschädliches Verhalten auf dem Land subventioniert wird.

Die von Ludwig und Steinbauer monierte Unfairness zielt scheinbar darauf ab, dass der Klimabonus das bisherige Verhalten einfach unbewertet als gegeben nimmt: Es wird nicht bestraft, sondern bleibt von einer höheren Steuerlast verschont. Zugleich ergeben sich für stärkere Emittenten auch höhere Sparpotentiale. Habe ich z.B. vor Einführung des Klimabonus sehr viel CO2 emittiert, kann ich dann reichlich Steuern sparen, wenn ich fortan mein Verhalten ändere – im Gegensatz zu einer anderen Person, die bereits zuvor CO2 Emissionen eingespart hat und dann dafür nicht nachträglich belohnt wird. Ist dies unfair?

Das hängt ganz davon ab, warum ich nicht schon vorher meine Emissionen verringert habe.

Erstens mag ich finanzielle Gründe haben, bisher nicht auf grüneres Verhalten umzusteigen. In diesem Fall ist der Klimabonus also nicht Belohnung dafür, endlich vorheriges klimaschädliches Verhalten aufzugeben, was ich ohne Aufwand bereits längst hätte ändern können. Er ist Kompensation dafür, wirtschaftliche Kosten in Kauf zu nehmen – etwa für die Anschaffung eines E-Bikes oder Modernisierung meiner Heizung. Insbesondere angesichts der aus öffentlicher Hand unterstützten Optionen zum Emissionssparen, z.B. dichter städtischer Nahverkehr, ist solch eine Kompensation nicht unfair.

Zweitens kann es auch nicht-finanzielle Gründe geben, warum ich bisher mehr emittiert habe: z.B. eine Alltagsplanung und ein soziales Umfeld, das ständig verfügbare individuelle Mobilität annimmt, unpraktische Nahverkehrsverbindungen im ländlichen Raum, und Vorstellungen davon, wie viel und welche Art Wohnraum ich brauche (Stickwort Zersiedlung). In meine Abwägungen ist bisher aber der CO2 Ausstoß noch nicht hinreichend einbezogen worden, und das soll sich durch CO2 Besteuerung nun ändern. Die Frage nach der Fairness ist nun, ob ich einfach nur mit einer höheren Steuer, also mit Mehrkosten, konfrontiert werden sollte, um mich Richtung Verhaltensänderung zu bewegen, oder ob dies durch den Klimabonus in Form eines positiven Anreizes geschehen sollte.

Hier liegt der ethische Knackpunkt: Sowohl positive wie negative Anreize werden Einzelne unfair behandeln. Der Städter, der aufs Land zieht und dort viel Auto fährt, wird vom Klimabonus bevorzugt gegenüber dem, der aus Klimagründen in der Stadtwohnung bleibt. Zahlt man aber keinen Klimabonus, dann bevorzugt man hingegen die autofahrende Stadtbewohnerin, die nicht aus Klimagründen sondern aus Stadtliebe in der Stadt lebt: Sie hat einfach Glück gehabt, dass ihre klimaschädliche Mobilitätswahl weniger schädlich ausfällt als die eines Landbewohners, und sie zudem noch (öffentlich subventionierte) praktikable Ausweichmöglichkeiten in Form von öffentlichem Nahverkehr hat.

Fairness wird also in jedem Fall kompromittiert, mit oder ohne Klimabonus. Einseitig den Klimabonus als unfair zu bezeichnen nimmt implizit an, dass Städter*innen allesamt aus eigenem Verdienst und Opferbereitschaft weniger Emissionen haben, während Landbewohner*innen aus auschließlich eigenem Verschulden höhere Emissionen haben. Die Realität ist freilich nuancierter.

Da Fairness also nicht eindeutig für oder wider den Klimabonus spricht, müssen wir einen anderen Wert ins Feld führen: Effektivität. Ziel der CO2 Besteuerung ist ja nicht, ausgleichende Gerechtigkeit durch faires Strafen von Umweltsündern herzustellen, sondern Verhaltensänderung zu bewirken, die notwendig ist, um den Klimawandel einzudämmen. Da dies ein ethisch gebotenes Ziel ist, ist auch Effektivität ein ethischer Maßstab, und zwar einer, nach dem der Klimabonus eindeutig zu bevorzugen ist: Dadurch, dass der Klimabonus bei gleichbleibendem Verhalten die Steuerlast des Einzelnen (idealer Weise) konstant hält während der CO2 Preis steigt, verleiht er der Steuerreform bessere gesellschaftliche Akzeptanz und langfristige Stabilität, und vermeidet soziale Verwerfungen, die nur vom Ziel des Klimaschutzes ablenken würden. Die gesellschaftlich durchsetzbare, aber ethisch schlechtere, Alternative zum Klimabonus ist, CO2 nicht oder noch weniger zu besteuern.

Der Maßstab der Effektivität zeigt aber auch, wo das eigentliche ethische Problem der ökosozialen Steuerreform liegt: Nicht in der Struktur des Klimabonus, sondern in dem zu niedrigen CO2 Preis, der nicht ausreichen wird, um genug klimafreundliche Investition und Verhaltensänderung zu bewirken. Angesichts der potentiell schwerwiegenden Folgen des Klimawandels sollte uns dieses ethische Problem, und nicht etwaige Unfairness, umtreiben. Das gilt umso mehr für Bewohner, und Bürgermeister, des dicht bebauten und vom Klimawandel besonders betroffenen städtischen Raums.

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