Generation Zoom statt Generation Erasmus

Felix Pinkert
am 03.03.2021

“Erasmus-Partysemester sind eine super Investition von Steuergeldern. Gegen seine Trink-Buddies wird man später nicht Krieg führen.” So verteidigte ein Freund einst Austauschstudierende gegen den Vorwurf, sie würden eher weniger studieren als sich über die letzte Party austauschen.

Wie auch immer man zu wilden Parties steht, klar ist: Wer im Erasmussemester nur Bücher wälzte, hat etwas Wichtiges verpasst. Was das mit dem jetzt beginnenden Sommersemester zu tun hat? Das Semester wird wieder ein Online-Semester werden, und obgleich die Vermittlung von Studieninhalten mittlerweile hoffentlich passabel funktioniert, ist das Online-Studium doch wie ein Erasmus-Semester ohne Feiern, ohne Ausflüge mit Kommiliton*innen, und ohne neuen Freunden fürs Leben. Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch, z.B. pädagogisch und psychologisch. Bisher unbeachtet ist aber, dass ein reines Onlinestudium eine wichtige gesellschaftliche Funktion des Hochschulstudiums untergräbt: Das Studium als Aufstiegschance.

Freilich wird auch im Corona-Studium erworbenes Wissen und Können, und der formale Studienabschluss, Absolvent*innen beruflich neue Türen öffnen. Darüber hinaus wird aber an Hochschulen, außerhalb pandemischer Zustände, fröhlich sozial durchmischt, zum Beispiel in der Mensa, beim Hochschulsport, im Chor, auf Parties, in studentischen Initiativen jeder Art. Auch wenn diese Durchmischung für Bildungsaufsteiger*innen herausfordernd sein kann, so leistet sie doch (meist unbeabsichtigt) einen wichtigen Beitrag zum sozialen Aufstieg.

Beruflich bieten soziale Kontakte Informationen und Zugang zu Chancen, über die formale Qualifikation hinaus. Eine LinkedIn Nachricht könnte da etwa so lauten: “Hallo Ahmed, hier ist Michael, vom Uni-Fußball damals. Ich sehe, ihr sucht einen neuen Ingenieur. Wonach sucht ihr da eigentlich wirklich?” Solche persönlichen Kontakte fehlen, oder sind viel weniger robust, wenn man rein online studiert: “Hallo Franka, hier ist Peter. Wir kennen uns aus der Elektrotechnik II Übung auf Zoom, drittes Bild, zweite Reihe, der mit der Katze vor der Kamera. Ich wollte mal fragen, ob es bei dir in der Firma vielleicht offene Stellen gibt.” Ob so eine Kontaktaufnahme funktioniert, bleibt zu bezweifeln.

Einmal zu Vorstellungsgespräch oder gar Job geschafft, hilft akademische Sozialisation und Habitus auch weiter, sich sicher in Akademiker*innenkreisen bewegen zu können, zum Beispiel “‘gscheit” reden können, oder sich zumindest davon nicht einschüchtern lassen. Nach einem reinen Online-Studium hat man darin viel weniger Übung als nach Jahren auf dem Campus.

Über LinkedIn taugliche Bekanntschaften hinaus ist auch bei engen Freundschaften, die Freund*Innen fürs Leben aus dem Studium, soziale Durchmischung eine Chance für Bildungsaufsteiger: Freunde mit besseren Anfangschancen können einander durch berufliche Netzwerke, Erfahrungsaustausch, informelles Karrierewissen, Ermutigung und praktischen Rat bei Bewerbungen helfen.

Das Sommersemester wird leider wieder größtenteils online stattfinden müssen. Mit drei Online-Semestern ist dann schon die Hälfte eines Bachelorstudiums verpasst als Zeit sozialer Durchmischung. Darunter leiden alle Studierenden – Bildungsaufsteiger wie Studierende aus Akademikerfamilien, die negative Auswirkung ist aber für Bildungsaufsteiger schwerwiegender, da Studierende aus akademischen Elternhäusern im Schnitt von Haus aus mehr akademisch sozialisiert sind und auch mehr auf Akademiker*innenkontakte durch Familienkontakte und Freundschaften aus der Schulzeit zurückgreifen können.

Zurück zur Analogie zum Erasmus-Austausch: Damit er seinen Zweck erfüllt, Europäer*innen miteinander zu verbinden, genügt es nicht, vor Ort fremdsprachige Vorlesungen zu. Analog gilt, dass ein Hochschulstudium das Versprechen für sozialen Aufstieg nur dann voll einlösen kann, wenn es mehr liefert als Wissen und Abschlüsse. Es braucht soziale Durchmischung, und die braucht physische Präsenz und Kontakt – in Lehre, Hochschulsport, Studierendeninitiativen, in den Pausen auf dem Campus.

Daher können wir uns nicht darauf auszuruhen, dass Studieninhalte ja scheinbar auch online vermittelt werden können. Wir müssen Wert schätzen, was physische präsente Hochschule für soziale Mobilität leistet, und entsprechende priorisieren, dass das dritte Online-Semester bitte das letzte wird.

 

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