Abschiebung von Tina: Die Sache mit dem Kindeswohl

Ralph Janik
am 10.02.2021

Eigentlich scheint das Thema ja über weite Strecken ausdiskutiert. Die einen betonten die abgelehnten Asylanträge, die fehlende freiwillige Ausreise und den daraus resultierenden langen illegalen Aufenthalt. Die anderen das simple Faktum, dass ein zwölfjähriges Mädchen abgeschoben wurde, das in Österreich geboren und zur Schule gegangen war.

In gut-österreichischer Manier wollte niemand so recht Verantwortung übernehmen. Der Innenminister verwies auf die Verbindlichkeit „höchstgerichtlicher Entscheidungen“, zumal er keinen „Amtsmissbrauch“ begehen könne und wolle.

Das war natürlich ein juristisch hanebüchenes Argument, das auch entsprechend zurückgewiesen wurde (allen voran von der ehemaligen Justziministerin und EuGH-Richterin Maria Berger). Auch die Juristen im Innenministerium waren in ihrer Stellungnahme zurückhaltender und verwiesen auf die „Pflicht zur Gleichbehandlung von Fremden“ – also keine Ausnahmen, für niemanden, weder für Tina noch sonst jemanden – und die gesetzliche Verpflichtung „zur ehestmöglichen Abschiebung“.

Damit schließt sich der Kreis: Die (letztinstanzliche) Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs lag nämlich bereits über ein Jahr zurück, jene des Bundesverwaltungsgerichts noch länger. In der Zwischenzeit hat Tina weiter die Schule besucht und soziale Wurzeln geschlagen. Je länger sie hier war, desto schwieriger lässt sich ihre Abschiebung mit dem Kindeswohl vereinbaren.

Dementsprechend hatte der Anwalt der Familie im Mai 2020 einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel gestellt, um ihr verfassungsrechtlich und menschenrechtlich gewährleistetes Recht auf Privat- und Familienleben (Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention) zu wahren. Der Antrag ist allerdings liegen geblieben, die gesetzlich vorgesehene sechs Monate-Frist wurde dabei verletzt (es birgt eine gewisse Ironie, dass eben jener Rechtsstaat, der laut manchen Kommentatoren bei Abschiebungen gewahrt werden müsse, sich nicht an seine eigenen Gesetze hält).

Jetzt kann man lange und breit darüber diskutieren, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl/das Innenministerium/Karl Nehammer sie deshalb nicht hätten abschieben dürfen (oder zumindest nicht sollen).

Allein, die „Kindeswohlkommission“ wird sich damit nicht beschäftigen. Weil diese Frage außerhalb ihres Pouvoirs liegt. Sie soll sich schließlich nur die Rechtsprechung ansehen. Also evaluieren, ob die involvierten Gerichte – konkret das Bundesverwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof – das Kindeswohl ausreichend würdigen. Das immerhin neben der bereits genannten Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention auch ein eigenes Verfassungsgesetz bekommen hat: „Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein“ heißt es dort.

Jetzt kann man emsig darüber debattieren, ob die Gerichte diesen Verpflichtungen nachgekommen sind. Einerseits war Tina gerade dabei, das sogenannte adaptable age, also jenes Alter, in dem man von einer erhöhten Anpassungsfähigkeit bei Abschiebungen ausgeht, zu überschreiten. Andererseits muss man dabei bedenken, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) danach unterscheidet, ob Kinder sich legal oder illegal im Land befinden. Ohne gültigem Visa und dauerhaftem Aufenthaltstitel des Kindes gesteht er Staaten wesentlich mehr Ermessensspielraum zu als mit.

Das macht den Fall von Tina so schwierig. Die juristische Bewertung kann, ja soll man kritisch beleuchten, aber offensichtliche gerichtliche Fehlentscheidung gab es keine.

Damit stößt die Idee einer Kindeswohlkommission an ihre Grenzen. Sie wird schließlich kein Bestandteil des Instanzenzugs, sondern vielmehr „analysieren“ und „mit Empfehlungen unterstützen“, wie es Werner Kogler ausdrückte. Wie die Richter und Richterinnen damit umgehen, bleibt aber ihnen überlassen.

Das Justizministerium ist der falsche Ort für die richtige Aufgabe. Wer das Kindeswohl in Abschiebefällen wahren will, muss in erster Linie bei der Rechtslage und -durchsetzung – also der Exekutive – ansetzen. Was in absehbarer Zeit wohl nicht passieren wird. So ungern ich es auch sage: Bis dahin muss sich die Kommission rund um Irmgard Griss den Vorwurf des „Feigenblatts“ gefallen lassen.

 

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