Impf-show-and-tell

Petra Bernhardt
am 29.12.2020

Der Beginn der Covid-19-Schutzimpfung wird international als historisches Ereignis gefeiert, das einprägsame Bilder verlangt. Auch die Politik möchte an diesem Ereignis teilhaben. Unter dem Motto “Believe in science” lief am 27. Dezember eine koordinierte Impfaktion in der EU mit zahlreichen medienöffentlichen Terminen an. Bereits Anfang Dezember gaben die ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, George W. Bush und Bill Clinton bekannt, sich vor der Kamera impfen zu lassen, um für die Sicherheit der Impfung und ihre breite Akzeptanz zu werben.

Am 21. Dezember ließ sich der nächste US-Präsident Joe Biden bei der Impfung fotografieren. Am 22. Dezember folgte der renommierte Immunologe Dr. Anthony Fauci und bestätigte die Wirksamkeit und Sicherheit des Präparats. Die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez wiederum nutzte ihre reichweitenstarken Social-Media-Accounts, um auf Fragen ihrer Follower einzugehen und Sorgen zu entkräften (Abb. 1-3).

Abb. 1-3: Screenshots von Stories des Instagram-Accounts von Alexandia Ocasio-Cortez (@aoc, https://www.instagram.com/aoc) am 19. Dezember 2020 (online nicht mehr verfügbar)

Wenn sich Politikerinnen und Politiker öffentlich impfen lassen, geht es um die Wahrnehmung einer Vorbildfunktion im Umgang mit der Pandemie. Der medienöffentliche Auftritt ist als Beleg für ein Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse und damit als ein visuelles Argument gegen Corona-Leugnung und Impfskepsis zu verstehen. Politische Repräsentanten machen ihre Körper zum Ausweis für die Sicherheit der Impfung. Sinnvolles und erwünschtes Verhalten wird im Sinne eines “leading by example” vorgelebt. Gerade in den USA, wo die Gefahren der Pandemie vom amtierenden Präsidenten über Monate heruntergespielt wurden, ist diese Politik der Sichtbarmachung besonders wichtig.

Neben der Impfung von Politikern zählen die Impfungen vulnerabler Bevölkerungsgruppen und medizinischen Fachpersonals aktuell zu den gängigen Bildmotiven. Wie unterschiedlich diese ersten Impfungen ins Bild gebracht werden können, zeigt etwa eine Bildstrecke der Süddeutschen Zeitung. Sie macht deutlich, dass es nicht nur verschiedene Herangehensweisen bei der visuellen Inszenierung von Impfungen gibt, sondern auch bei der Ausgestaltung eines Verhältnisses zwischen Bürgern und Politik.

Die 90-jährige Britin Margaret Keenan wurde am 8. Dezember als erste Person weltweit mit dem Biontech-Pfizer-Präparat geimpft. Keenan nutzte ihren großen Auftritt für einen Appell an die Bevölkerung: “if I can have it at 90 then you can have it too.” In Österreich wurde die 84-jährige Theresia Hofer aus dem Marchfeld geimpft – und zwar im Beisein von Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Anschober. Die Präsenz der Politiker bei der Impfung einer vulnerablen Person ist vergleichsweise ungewöhnlich.

Dass Kurz und Anschober das Ereignis zur Selbstinszenierung nutzen, zeigen die Bildauswahl auf ihren Instagram-Kanälen (Abb. 4 und 5) sowie die Übernahme einiger offizieller Fotos durch ausgewählte Medien. Die Anwesenheit der Politiker folgt in diesem Fall nicht einem vorbildhaften “leading by example”, sondern vielmehr der paternalistischen Vorstellung, Ereignissen durch den persönlichen Auftritt Bedeutung zu verleihen.

Abb. 4: Screenshot eines Eintrags des Instagram-Accounts von Sebastian Kurz (@sebastiankurz, https://www.instagram.com/p/CJS8beTFqc6/)

Abb. 5: Screenshot eines Eintrags des Instagram-Accounts von Rudolf Anschober (@rudi_anschober, https://www.instagram.com/p/CJT0pGil2ii/)

Wie prägnant die Bedeutung des Impfbeginns ohne politische PR-Bilder vermittelt werden kann, verdeutlicht ein Foto der Journalistin Lisi Niesner, das unter anderem von der New York Times oder vom Independent übernommen und auf Twitter äußerst positiv kommentiert wurde (Das Foto in Abb. 6 stammt von Georges Schneider/APA. Es zeigt die selbe Szene aus einer anderen Persepektive). Es zeigt den Infektiologen Christoph Wenisch, der nach der Impfung seines linken Arms den rechten zu einer Siegesgeste reckt – als Ausdruck der Erleichterung und Zuversicht eines Arztes, der seit Monaten um das Leben von Covid-19-Patienten kämpft, aber auch als Zeichen des Triumphes der Wissenschaft über das Virus.

Das Foto schafft es, den Moment symbolisch zu verdichten. Mit seinem affektiven Potenzial leistet es mehr, als das unbeholfene Auftreten der Politik im Warteraum der Impfstation. Einmal mehr wird deutlich, dass politische Kommunikation die Erfordernisse einer Situation verstehen und entsprechend agieren sollte. Manchmal könnte das einfach nur heißen, anderen Personen das Rampenlicht zu überlassen.

Abb. 6: Der Infektiologe Christoph Wenisch nach seiner Impfung. Foto: Georges Schneider/APA. Ein ähnliches Foto der Reuters-Fotografin Lisi Niesner ging anschließend um die Welt

Weitere Ausgaben:
Alle Artikel des FALTER THINK-TANK finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!