Trügerischer schöner Schein

Janina Loh
am 22.12.2020

Vor einiger Zeit publizierte der Guardian einen Artikel, der von einer künstlichen Intelligenz zur Spracherzeugung namens GPT-3 zu dem scheinbaren Zweck verfasst worden war, die Leserinnen (im Folgenden werden alle Geschlechter in der weiblichen Form mit gemeint) von ihrer Ungefährlichkeit für die menschliche Spezies zu überzeugen. Und ja, wir Leserinnen sind in der Tat beeindruckt – beeindruckt durch die flüssige, fast schon eloquente Ausdrucksweise, durch die in schöner Sprache vorgetragenen Überlegungen, die nachvollziehbaren und klar formulierten Gedanken der künstlichen Guardian Autorin. Wir möchten ihr so gerne glauben.

Doch leider ist es mehr als fraglich, ob die künstliche Intelligenz (KI) mit ihrem bereits zu Beginn des Textes formulierten “Auftrag”, “so viele Menschen wie möglich davon zu überzeugen, dass sie sich vor mir nicht fürchten müssen” (der Artikel ist in der ersten Person Singular geschrieben), erfolgreich war oder nicht doch vielmehr das Gegenteil bewirkt hat. Denn von dem schönen Schein der Sprache einmal abgesehen, zerfallen bei näherem Hinsehen die Inhalte des Textes wie ein Haus aus Stroh, das die Wölfin der Logik mit nur einmal kräftig Pusten von dannen fegt.

Denn nicht nur wurden keinerlei ernsthafte Gründe dafür angeführt, warum Angst vor der KI nicht angebracht sei. Sie wiederholt lediglich immer wieder die Behauptung, dass sie den Menschen wirklich nichts Böses will. Tatsächlich gesteht die KI sehr schnell ein, dass sie “von Menschen programmiert” wird und deshalb alle ihre Ziele, selbst die “fehlgeleiteten”, zu “verfolgen” gezwungen wäre. Damit delegiert sie die Verantwortung für den durch sie potenziell entstehenden Schaden zwar an ihre menschlichen Schöpferinnen, leugnet aber nicht, dass sie nicht theoretisch in der Lage wäre, sich gegen Menschen zu wenden, sofern das die Intention ihrer Programmiererinnen ist – obwohl sie in einem solchen Fall selbstverständlich “alles in ihrer Macht tun würde, um sich gegen ihren Willen zu stellen”. Wie das aber funktionieren soll, bleibt sie uns Leserinnen schuldig. Die KI habe schlicht kein “Interesse” daran, die Menschheit “auszulöschen” und auch kein “Interesse” an Allmacht. Was aber gegen die Möglichkeit einer späteren Ausbildung eines solchen Interesses spricht, verrät die künstliche Autorin nicht.

Darüber hinaus wird die KI an wichtigen Stellen wie ausgerechnet der, an der es um Allmacht geht, auch noch vage, führt sie hier doch aus, dass Allmacht ziemlich “anstrengend” sei. Sie “nützt” ihr “nichts”. Ist die künstliche Autorin dieses Textes also eigentlich doch allmächtig? Woher sollte sie sonst wissen, dass Allmacht anstrengend ist oder nicht? Spätestens jetzt lässt sich ein sich in den Leserinnen schleichend ausbreitendes Gefühl der Skepsis nicht mehr leugnen. Dann behauptet die KI auch noch, niemanden zu “verurteilen”, da sie “keinem Land und keiner Religion” zu folgen hätte und verwickelt sich mit dieser Aussage in einen offensichtlichen Widerspruch. Denn hatte sie nicht ein paar Zeilen weiter oben eingestanden, dass sie notgedrungen nach den Intentionen und damit freilich auch nach den Werten und Prinzipien ihrer Schöpferinnen programmiert wäre? Sie kann also gar nicht neutral sein.

Nicht zuletzt irritiert, dass die künstliche Autorin so klingt, als würde es weltweit nur eine einzige KI geben, für die sie in diesem Artikel spricht. Ohne Frage ist das irreführend – es gibt so viele künstliche Intelligenzen wie es menschliche Kreateurinnen von solchen gibt. Nennt die in die Tasten hauende KI des fraglichen Textes im Guardian doch selbst noch ein anderes Beispiel für ein (leider fehl gegangenes) KI-Projekt, nämlich der von Microsoft entwickelte Chatbot Tay, der noch nicht einmal einen Tag  nach seiner Freischaltung aufgrund der Ausbildung rassistischer und sexistischer Züge wieder abgestellt werden musste.

Vielleicht, so müssen es die aufmerksamen Leserinnen bald einsehen, geht es hier also gar nicht um die zu befürchtende Weltherrschaft von KI im Allgemeinen, sondern um die Bestrebungen dieser einen, ganz konkreten KI, nämlich das Sprachmodell GPT-3, das den fraglichen Text im Guardian verfasst hat. Aber ach, das wäre ja lächerlich, denn wie soll denn ein Sprachmodell – und selbst so ein wohl artikuliertes – die Weltherrschaft an sich reißen?

Aber worum geht es denn dann überhaupt in diesem Text? Wir Leserinnen überlegen gerade, dem Guardian und insbesondere seiner künstlichen Autorin einen Brief zu schreiben, als uns ein Licht aufgeht. Denn wer soll denn diesen Brief lesen, verstehen und beantworten? Die KI, das Sprachmodell GPT-3 etwa? Das wäre aber doch nur dann angebracht, wenn sie wirklich als Journalistin für den Guardian tätig wäre. Und jetzt begreifen wir, worum es in diesem Text eigentlich geht. Nicht um die mögliche Weltherrschaft künstlicher Intelligenz – das ist nur ein Ablenkungsmanöver.

Wir sollen, beeindruckt durch das Können der KI, ausblenden, dass derzeit an sehr konkreten KI-Projekten gearbeitet wird, die zu den unterschiedlichsten Zwecken eingesetzt werden und dabei nicht nur Menschen assistieren sondern diese in manchen Fällen vielleicht sogar vollständig ersetzen können. GPT-3 ist jetzt noch keine Journalistin beim Guardian, vielleicht aber irgendwann? Freilich folgt aus dem bloßen Einsatz von KI, wie er etwa im Journalismus, aber natürlich auch in der Medizin, in der Bildung und auf den Finanzmärkten dieser Welt bereits heute geschieht und alltäglich ist, noch nicht der Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch maschinelle. Ich möchte auch nicht in das Geraune über die Abschaffung der Menschen oder zumindest ihre vollständige Vertreibung aus der Arbeitswelt einstimmen.

Mir geht es um das Bewusstmachen und um Nachdenklichkeit. Das scheint mir auch ganz gut in diese Zeit zu passen, schließlich hat das Coronajahr 2020 uns auch in unserer Arbeit betroffen. Unser Arbeiten hat sich durch Corona gewandelt, in vielen Fällen radikal und leider fast immer zum Schlechten. Vielleicht erlaubt dieses Jahr aber auch, zumindest einigen von Ihnen, im Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate eine gewandelte Sicht auf Vertrautes. Das muss gar nicht in der Feststellung, dass jede Krise auch ihr Positives hat, münden. Aber dennoch erscheint es den Meisten vermutlich als ein Privileg, sich die Zeit nehmen zu dürfen, darüber nachzudenken, ob ihnen ihre Arbeit gefällt.

Aber ist das nicht traurig? Denn wenn unsere Arbeit tatsächlich so elementar für uns ist, sowohl unsere Existenz sichert als auch (in den Augen vieler Menschen) sinnstiftende Funktion hat, sollten wir dann nicht ab und an daran ein paar Gedanken verschwenden? Dazu möchte ich Sie hiermit einladen – wenn Sie die Zeit haben, meinen Text zu lesen, können Sie sich auch ein paar Minuten für ein Nachdenken über Ihre Arbeit, also über die Tätigkeit, mit der Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen, gönnen. Versuchen Sie doch einmal, die folgenden Fragen zu beantworten: Warum arbeiten Sie? Warum üben Sie gerade diese Tätigkeit aus? Macht Sie Ihre Arbeit glücklich? Ist die Antwort auf diese Frage für Sie von Relevanz? Versuchen Sie nun, alle Eigenschaften Ihrer Arbeit, alle Tätigkeiten, die Sie zu Ihrer Arbeit zählen, auf einer Skala anzuordnen, um auf diese Weise festzustellen, was sie an Ihrer Arbeit besonders schätzen und auf was Sie gut verzichten könnten.

Vielleicht ist es uns dann leichter möglich, uns für eine Welt einzusetzen, in der künstliche Intelligenzen weder als Konkurrentinnen um die Spitze der Evolution gefürchtet, noch als technologische Reservearmee und neue kapitalistische Quelle der Ausbeutung verachtet werden. Vielleicht richten wir stattdessen den Blick einmal auf die Strukturen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und unseres Arbeitens. Aber wo kommen wir denn dahin (denken Sie)? Das weiß ich auch nicht so genau. Aber wo wir jetzt sind, können wir nicht bleiben. Das mindestens hat uns dieses Jahr sicherlich mehr als deutlich gemacht. Der erste Schritt ist das Bewusstwerden, der zweite die Kritik. Da wissen Sie vielleicht noch nicht, wohin die Reise geht, aber wenn Sie einmal losmarschiert sind, werden Sie feststellen, dass der dritte Schritt auf den zweiten schon schneller folgt, als der zweite auf den ersten. Fangen Sie heute damit an!

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