Corona-Impfung: zwischen Recht und Zwang

Ralph Janik
am 01.12.2020

Noch gar nicht auf dem Markt und schon ein Politikum: Seit August wird über eine mögliche „Impflicht“ diskutiert. Die FPÖ hatte unmittelbar nach der damaligen Verkündigung eines russischen Impfstoffs durch Wladimir Putin (mit dem seine eigene Tochter geimpft worden sein soll – wer’s glaubt) ein „klares Nein“ zur „Corona-Impfplicht“ ausgesprochen.

Mit ihrer Skepsis steht die FPÖ nicht alleine da: Laut den (letzten) Zahlen vom Oktober würden sich nur 34% der österreichischen Bevölkerung gegen das neuartige Coronavirus impfen lassen. Das ist ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Mai: damals waren es noch rund 50%.

 Eine „Erosion“, wie Bernhard Kittel von der Universität Wien es nennt. Ihm zufolge liegt diese Ablehnung neben persönlichen Eigenschaften wie Bildung, Geschlecht und politischer Einstellung übrigens auch an der Regierung und ihrer verfehlten Kommunikation. Seine dahingehende Bestandsaufnahme verdient ein längeres Zitat:

„In Anbetracht des Aufkommens dieser Ängste scheint es nicht gelungen zu sein, einen für die österreichische Bevölkerung nachvollziehbaren öffentlichen Diskurs zu führen. Die Aufmerksamkeit für den Diskurs in den sozialen Medien ist gestiegen; dort können Verschwörungstheorien, unfundierte Meinungen und „alternative Fakten“ jedoch denselben Stellenwert bekommen wie wissenschaftlich geprüfte Aussagen. Hier zeigen sich die desaströsen Folgen einer Kommunikationsstrategie, die auf Message-Control setzt, statt eine gesellschaftsweite Diskussion anzuregen und sich dieser auf Augenhöhe zu stellen.“

Die Regierung tut insofern gut daran, bei der Impfung auf Freiwilligkeit zu setzen und sie per Verordnung zu empfehlen (womit gegebenenfalls das Impfschadengesetz zur Anwendung kommt). Eine Verpflichtung dürfte die bestehende Skepsis weiter erhöhen, im schlimmsten Fall Verschwörungen befeuern: Oft lehnen wir Dinge ja allein deshalb ab, weil man sie uns vorschreibt. Die Politologin Katharina T. Paul hat das in ihrem Beitrag für den Falter Think Tank treffend analysiert. In der Psychologie – wenn ich mir diesen Ausflug in ein anderes Fachgebiet erlauben darf – spricht man von Reaktanz. Dafür gibt es übrigens ein schönes popkulturelles Anschauungsbeispiel, nämlich eine Seinfeld-Folge, in der die durchaus eigenwillige Figur „Cosmo Kramer“ bei einem Aids-Marsch ohne der vorgeschriebenen Schleife teilnehmen möchte: Als eine Organisatorin ihm mitteilt, dass er eine tragen muss, antwortet er mit „und genau deshalb will ich nicht“ (das dürfte bei manchen übrigens auch die Ablehnung der Maskenpflicht erklären).

Rechtlich möglich wäre eine Impflicht durchaus – jedenfalls grundsätzlich, also unter gewissen Bedingungen. In Deutschland hat das Bundesverwaltungsgericht 1959 entschieden, dass der im dortigen Impfgesetz „angeordnete Impfzwang“ gegen Pocken keine Verletzung des Grundgesetzes darstellte, weil er nicht „eindeutig unangemessen und ungeeignet zur Bekämpfung der Pockenseuche“ war. Ausführungen, die sich auf die aktuelle Situation umlegen lassen.

Die Pockenschutzimpfung war damals auch in Österreich verpflichtend, nach dem zweiten Weltkrieg über ein eigenes Gesetz. Sie wurde mit Strafen bis zu 1000 Schilling durchgesetzt. Viel Geld: zwar hat der Schilling in den nachfolgenden Jahrzehnten viel an Wert verloren. Der „Tausender“ (im Volksmund auch der „Blaue“) war aber bis zur Einführung des Euro der zweithöchste Geldschein.

Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Impfpflicht gibt es – soweit mir bekannt – keine: Die vorgeschriebene Pockenschutzimpfung wurde jedenfalls nicht wegen eines höchstrichterlichen Erkenntnisses aufgehoben, sondern aufgrund von Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation.

 Allerdings hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – zur Erinnerung: die seinen Urteilen zugrunde liegende Europäische Menschenrechtskonvention steht bei uns im Verfassungsrang – näher mit dem Thema befasst: Er gesteht Regierungen einen weiten Spielraum bei der staatlichen Gesundheitsvorsorge zu. Im Zusammenhang mit einer Diphterie-Impfung ohne vorherigem Einverständnis (Solomakhin v. Ukraine) hielt er außerdem fest, dass „die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Klägers aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege und der Notwendigkeit, die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten in der Region einzudämmen“, gerechtfertigt war.

Bei der Beurteilung stellte der EGMR also auf zwei Parameter ab, die auch bei der Corona-19-Impfung gelten (würden): Die öffentliche Gesundheitspflege – public health – und die Frage, ob ausreichende Vorkehrungen getroffen wurden, um sicherzustellen, dass die Balance zwischen möglichen Nachteilen für individuelle Betroffene und den Interessen der Allgemeinheit gewahrt bleibt.

Davon ist im Moment wie gesagt keine Rede. Allenfalls könnte eine partielle Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen mit viel Menschenkontakt erfolgen, allen voran in Spitälern oder der Pflege. Was kein Dammbruch wäre, beim Gesundheitspersonal können ja schon jetzt Schutzimpfungen angeordnet werden (§ 17 Absatz 3 Epidemiegesetz). Bei anderen Bereichen wäre die Sache ungleich komplexer, aber, wie wir gesehen haben, nicht undenkbar.

Daneben besteht Sorge vor einer „Impfpflicht durch die Hintertür“, also wenn beispielsweise Fluglinien nur geimpfte Kunden transportieren oder andere Länder die Einreise nur mit amtlich bestätigter Impfung erlauben. Fundamentale Einwände bestehen allerdings auch hier keine. Einerseits dürfen sich Privatunternehmen grundsätzlich aussuchen, mit wem sie unter welchen Bedingungen Verträge abschließen (solange sie nicht der einzige Anbieter von Gütern mit fundamentaler Bedeutung sind oder diskriminieren).

Andererseits können Staaten festlegen, wen sie unter welchen Bedingungen ins Land lassen. Auch das wäre nichts Neues: Mit Ausbruch der Corona-Pandemie haben europäische Urlaubsländer wie Portugal und Zypern aktuelle Coronatests verlangt, andere – in der Regel allerdings nicht für Direktflüge aus Europa – schreiben seit langem Impfungen vor (etwa gegen Gelbfieber). Im Idealfall findet sich jedenfalls innerhalb der EU aber eine gemeinsame Lösung, mit der die Reisefreiheit gewahrt bleibt.

Man sieht also: Solange die Corona-Impfung ohne häufigen und schweren Nebenwirkungen daherkommt, ist das juristische Eisen nicht allzu heiß. Außerdem werden wir (hoffentlich) bald ein wenig zusätzliche Klarheit bekommen: Derzeit sind beim EGMR einige Beschwerden gegen die relativ weitgehende Impfpflicht in Tschechien anhängig, die Hebatitis B, Tetanus, die Kinderlähmung oder Masern, Mumps und Röteln (für letztere drei gibt es den MMR-Impfstoff) umfasst (Vavřička and others v. the Czech Republic). Durch die Corona-Impfung bekommt dieses ohnehin mit Spannung erwartete Urteil zusätzliche Bedeutung. Aber, wie gesagt: Im Moment setzt die Regierung auf Freiwilligkeit.

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