Staatenlose Dschihadisten?
Es kam, wie es wohl kommen musste: Nach dem ersten Post-Terror-Schock sind wir schnell in der Phase der politischen Forderungen angelangt. So spricht die SPÖ offen davon, Terroristen künftig leichter die Staatsbürgerschaft entziehen zu wollen. Völkerrechtlich gelten hier allerdings enge Grenzen.
Eigentlich waren wir schon an diesem Punkt. In Österreich wurde schon vor Jahren, gewissermaßen während der Hochphase von Daesh (des sogenannten „Islamischen Staates”), eine intensive Debatte rund um den Entzug der Staatsbürgerschaft von österreichischen Dschihadisten geführt.
Das Ergebnis war der neu eingeführte Paragraph 33 Absatz 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes: „Einem Staatsbürger, der freiwillig für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnimmt, ist die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn er dadurch nicht staatenlos wird“.
Nicht genug, wenn es nach Teilen der SPÖ geht. Vize-Klubchef Jörg Leichtfried und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sprechen von „rechtlichen Verschärfungen“, selbst Staatenlosigkeit der Betroffenen steht im Raum.
Gut möglich, dass solche Forderungen auf offene blaue oder auch türkise Ohren stoßen. Umso wichtiger, den breiteren juristischen Rahmen schon jetzt abzustecken. Wenn wir eine derartige Debatte führen sollten, dann richtig.
Fehler und Missstände beim Innenministerium
Eine Klarstellung vorweg: Im Zusammenhang mit dem Attentat in Wien gibt es wesentlich wichtigere Themen als die Staatsbürgerschaft von Terroristen – allen voran die Frage, wieso die Behörden im Innenministerium trotz der Warnungen aus dem Ausland untätig geblieben sind. Außerdem soll das zuständige Vollzugsgericht über den Verlauf der Radikalisierung unterrichtet gewesen sein.
Abgesehen davon muss man sich fragen, was eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft in diesem konkreten Fall gebracht hätte. Der Attentäter wäre schließlich dennoch hier geblieben; wieso sollte Nordmazedonien eine Abschiebung von jemandem akzeptieren, der in Österreich radikalisiert wurde (wir würden eine derartige Vorgehensweise ja auch nicht hinnehmen)? Zumal man dadurch die Gefahr auf ein anderes Land „auslagert“ (auch das würden wir ja auch nicht wollen)? Darüber hinaus sei daran erinnert, dass Menschen trotz Aufenthaltsverbots in Österreich einreisen und schwerste Straftaten begehen können (man denke an Mord in Vorarlberg im Februar 2019).
Wiedereinreise und Sozialleistungen
Aber zurück zum Thema. Soweit ich es überblicke, ist die Forderung nach einer erleichterten Ausbürgerung von Terroristen auf zwei Gründe gestützt:
Erstens gibt es laut Innenministerium aktuell rund 330 Personen, die aus Österreich in Kriegsgebiete gereist sind oder es zumindest versucht haben. 100 von ihnen dürften sich noch dort befinden. Hier kommt der Staatsbürgerschaft eine erhebliche Bedeutung zu: Im Ausland befindliche österreichische Dschihadisten haben ein Recht auf Wiedereinreise beziehungsweise müssen sie wieder „zurückgenommen“ werden.
Zweitens haben sie als Staatsbürger Anspruch auf Sozialleistungen, auch der Attentäter lebte schließlich in einer Gemeindebau-Wohnung (wobei er keine hohen Ansprüche gestellt beziehungsweise vom Wiener Wohnen-Ticket für „JungwienerInnen” profitiert hatte). Staatenlose, die sich rechtswidrig in Österreich aufhalten, genießen ungleich weniger Rechte.
Strenges Völkerrecht
Völkerrechtlich sind Österreich hier über weite Strecken die Hände gebunden, weil wir den maßgeblichen Übereinkommen zur Staatenlosigkeit angehören. Sie beinhalten die Verpflichtung, niemanden auszubürgern, der keine weitere Staatsbürgerschaft besitzt.
Zwar beinhalten diese Verträge Ausnahmebestimmungen, Artikel 8 des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit nennt etwa ausdrücklich „den lebenswichtigen Interessen des Vertragsstaates in schwerwiegender Weise abträgliches Verhalten“, den „Treueeid oder eine formelle Treueerklärung gegenüber einem anderen Staat“ oder „deutliche Anzeichen“ der Entschlossenheit, „dem Vertragsstaat die Treue aufzukündigen“.
Allerdings müssen Staaten beim Vertragsbeitritt (und nicht später) entsprechende Erklärungen abgeben. Einige Länder – darunter Belgien (allerdings nur bei jenen, die die Staatsbürgerschaft nicht von Geburt an besessen haben), Italien oder das Vereinigte Königreich – haben hiervon Gebrauch gemacht. Andere – etwa die USA, Frankreich oder die Schweiz – sind überhaupt ferngeblieben.
Österreich war insofern zurückhaltend, als es sich beim Beitritt im Jahr 1972 nur das Recht vorbehalten hat, jemandem die Staatsbürgerschaft zu entziehen, der „freiwillig in den Militärdienst eines fremden Staates eintritt“ – was vornehmlich auf österreichische Fremdenlegionäre abzielte – oder „im Dienst eines fremden Staates steht“ und dabei „die Interessen oder das Ansehen der Republik Österreich erheblich schädigt“ (ein klassisches Beispiel wäre Spionage).
Daneben gibt es noch einen weiteren – strengeren – Vertrag, das europäische Übereinkommen über Staatsangehörigkeit aus dem Jahr 1997: Es erlaubt den Verlust der Staatsbürgerschaft selbst beim freiwilligen Dienst in einer fremden Armee oder „Verhalten, das den lebenswichtigen Interessen des Vertragsstaates schwerwiegend abträglich ist“ nur dann, wenn Betroffene dadurch nicht staatenlos werden (Artikel 7 Absatz 3).
Belgien, das Vereinigte Königreich oder Italien sind diesem Vertrag gar nicht erst beigetreten. Österreich hat sich wiederum auch hier (nur) das Recht vorbehalten, die Staatsbürgerschaft im Zusammenhang mit dem Militärdienst oder anderen Tätigkeiten für fremde Länder zu entziehen.
Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft von Dschihadisten ist daher lediglich bei Doppel- oder Mehrfachstaatsbürgern erlaubt – wobei selbst in diesen Fällen mit den ausländischen Behörden zusammengearbeitet werden muss, damit am Ende zumindest eine übrig bleibt.
Ausweg?
Diese rechtlichen Grenzen sollte man im Hinterkopf haben, wenn man davon liest, dass eine Aberkennung laut Jörg Leichtfried „auch im Falle einer drohenden Staatenlosigkeit möglich sein soll“ und er davon spricht, dass „die Regierung aufgefordert ist, eine entsprechende rechtliche Lösung vorzulegen“.
Ein solcher Ausweg wurde übrigens bereits 2014 gesucht, also während der Kanzlerschaft von Werner Faymann (Leichtfried war zu dieser Zeit im Europäischen Parlament). Das Völkerrechtsbüro im Außenministerium stellte damals Überlegungen an, allenfalls aus den einschlägigen Verträgen aus- und – mit neuen Vorbehalten beziehungsweise Erklärungen – wieder eintreten zu müssen. Letztlich wurde diese Möglichkeit nicht weiter verfolgt, weil sie als rechtsstaatlich problematisch angesehen wurde und zu erheblicher Kritik aus anderen Ländern geführt hätte.
Dabei gilt es zu bedenken, dass es für ein solches Vorgehen zwei negative Präzedenzfälle gibt: Ende der 1990erjahre haben Guyana sowie Trinidad und Tobago das Fakultativprotokoll zum Pakt über bürgerliche und politische Rechte verlassen, um am gleichen Tag mit neuen Vorbehalten wieder zurückzukehren. Ziel war es, Insassen in Todeszellen die Beschwerdemöglichkeit beim UN-Menschenrechtskomitee auszunehmen. Wie man sich denken kann, haben einige andere Vertragsparteien massiv protestiert – eine Schmach, die Österreich nicht riskieren wollte.
Eine andere Möglichkeit hätte darin bestanden, die alten österreichischen Ausnahmen im Lichte aktueller Entwicklungen dahingehend zu interpretieren, dass sie neben fremden Staaten auch Terrorgruppen abdecken – schließlich spielen derartige kriegerische Akteure heute eine ungleich größere Rolle. Nur: Daesh und ähnliche Gebilde sind keine Staaten und sollen auch nicht mit ihnen gleichgesetzt werden. Folglich wurde auch dieser Weg nach einer dahingehenden Diskussion im Europarat nicht weiter beschritten.
Fazit
Es wird sich weisen, wie die Debatte rund um den Staatsbürgerschaftsentzug verläuft. Eine einwandfreide „Lösung“ gibt es jedenfalls nicht, völkerrechtlich besteht bei drohender Staatenlosigkeit nur wenig Spielraum. Müßig zu sagen, dass das in der Tagespolitik auf eher wenig Interesse stoßen dürfte. Wissen sollte man es dennoch.