Geschlechter(un)gerechte Medien?

Krisztina Rozgonyi
am 15.07.2020

Die erste Welle der Corona-Krise änderte unser aller Leben umfassend. Lehr- und Vortragstätigkeiten mussten neu definiert und angepasst werden, aber auch weiterhin wissenschaftlich sinnvoll und für die Studierenden technisch umsetzbar sein. Von Anfang an war klar, dass nur Themen und Aktivitäten, die die alltäglichen Auswirkungen der Pandemie widerspiegeln, Aufmerksamkeit und Fokus erhalten würden. Vor diesem Hintergrund haben wir uns dazu entschieden, die Präsenz und Repräsentation von Frauen in österreichischen Onlinemedien zu beobachten.

Österreichische Nachrichten werden üblicher- und traditionellerweise von männlichen Journalisten in einer männerzentrierten und von Männern dominierten Kultur der Medienindustrie gemacht. Auch wenn die Anzahl weiblicher Journalistinnen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist und 2019 nahezu einen Gleichstand erreichte (47 % aller Journalist*innen waren Frauen), weisen unsere bisherigen Forschungen nach wie vor auf eine Dominanz von Männern in leitenden Positionen sowohl in traditionellen (Print-) als auch in Onlinemedien hin.

Auch in der Berichterstattung nach Ressorts zeigte sich eine klare Geschlechteraufteilung: Frauen waren in der „harten“ Medienberichterstattung zu den Themen Politik (nur 10 %) oder Wirtschaft (nur 5 %) unterrepräsentiert und dafür hauptsächlich in den Bereichen Beauty und Lifestyle vertreten. In einer Produktionslandschaft wie dieser ist es wenig überraschend, dass Frauen in den Medien nahezu unsichtbar waren: Die jüngste, weltweit relevante Studie zu diesem Thema erschien 2015 und bezog auch Österreich mit ein. Dieser Studie zufolge berichteten nur 21 % der Offline- und 16 % der Onlinemedien über Frauen.

Wie würde sich das während der Corona-Krise verändern? Oder verschärfen? Der Fokus unserer Beobachtung lag auf der Berichterstattung führender österreichischer Onlinemedien, darunter krone.at, kurier.at, derstandard.at und orf.at. Insgesamt wurden 52 Online-Medienberichte, die am Stichtag (7. Mai) publiziert wurden, analysiert. Zusätzlich wurden die Berichterstattung auf Twitter und die Twitter-Accounts der zuvor genannten Onlinemedien (Krone, Kurier, Standard und ORF on Twitter) analysiert. Dementsprechend wurden auch 50 Tweets unter die Lupe genommen, die am Stichtag veröffentlicht wurden. In methodischer Hinsicht kamen die Monitoring- und Kodierungsinstrumente des Global Media Monitoring Project (GMMP) zum Einsatz – des einzigen globalen Datensatzes zum Thema Gender und Medien, der im Jahr 2020 einhundertzwanzig Länder weltweit inkludierte. Auf dieser Grundlage wurde die erste Pilotstudie durchgeführt, die sich auch mit dem Einfluss der COVID-19-Krise auf die Medienberichterstattung befasst.

Vor dem Hintergrund der eingangs erläuterten Geschlechtersituation in österreichischen Medien erschienen die Ergebnisse dieser Pilotstudie auf den ersten Blick vielversprechend. Seit 2015 stieg die Anzahl weiblicher Journalistinnen in der Online-Medienberichterstattung von 16 % auf 33 % und auch die Anzahl der Medienberichte, die über Frauen berichteten, wies einen Anstieg auf (22 % im Vergleich zu 16 % im Jahr 2015). Ein signifikanter positiver Unterschied konnte insofern beobachtet werden, als Frauen verstärkt in den Medien zu Wort kamen. Hier stieg der Anteil an Frauen von 16 % auf 31 %. Diese Ergebnisse suggerieren, dass sich die Geschlechterdarstellungen in der österreichischen Medienlandschaft in Richtung Gleichberechtigung bewegen.

Bei genauerer Betrachtung dieser Zahlen zeigte sich jedoch ein wesentlich differenzierteres und nach wie vor entmutigendes Bild: Frauen hatten in den Medien nach wie vor nur eine Nebenrolle inne. In nur 13 % aller Online-Medienberichte und in nur 10 % der Twitter-Nachrichten spielten Frauen eine zentrale Rolle. Außerdem war es nicht die österreichische Medienindustrie, in der sich die Gleichstellung der Geschlechter zum Besseren gewendet hatte, sondern vielmehr die österreichische Politik. Seit der Angelobung der ersten geschlechtergerecht zusammengesetzten österreichischen Bundesregierung unter Brigitte Bierlein (der ersten Bundeskanzlerin in der Geschichte Österreichs) sind Frauen in der Politik wesentlich stärker repräsentiert.In der aktuellen Bundesregierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz herrscht Geschlechterparität (mit einem Frauenanteil von 53 %), und die Geschlechterkluft im Nationalrat schließt sich (Frauenanteil von 39 %). Die höhere Anzahl an Frauen in der österreichischen Politik hatte maßgebliche und direkte Auswirkungen auf die vermehrte Darstellung von Frauen in den Medien: Die Medienberichte waren voll von COVID-19-bezogenen Themen (69 % in Onlinenachrichten und 46 % in Tweets). Der Großteil dieser Berichte bezog sich auf die Ankündigungen (insbesondere auf die Maßnahmen) der Regierung, und Frauen kamen verstärkt zu Wort.

Österreichische Medien, die über die brennendsten Themen rund um die Pandemie berichteten, hätten diese vielversprechende Situation nutzen können. Die Krise traf besonders jene Frauen hart, die Gewalt in der Familie ausgesetzt waren, deren Gesundheit als Systemerhalterinnen im Gesundheitssystem und Sozialbereich gefährdet war und die ihre prekären Jobs inmitten der Krise verloren. Die Folgen der COVID-19-Krise waren in unserer Gesellschaft allgemein in hohem Maße geschlechtsspezifisch. Diese geschlechtsspezifischen Auswirkungen fanden jedoch kaum öffentliche Beachtung: Die Analyse zeigte, dass nur 4 % der Onlinemedienberichte und nur 2 % aller Twitter-Berichte Themen der geschlechtsspezifischen Ungleichheit behandelten. Kein einziger (!) Bericht stellte Geschlechterstereotypen in Frage.

Des Weiteren standen die JournalistInnen in den untersuchten Medien im Abseits und erfuhren keine Anerkennung für ihre Arbeit. In den meisten Medienberichten fehlte die VerfasserInnenzeile (in nur 21 von 52 Onlinemedienberichten wurden die JournalistInnen namentlich genannt, von 50 Tweets nannten gar nur 14 die VerfasserInnen). Selbst beim ORF waren die Zahlen alarmierend: Von 14 Berichten erwähnten nur 4 den Verfasser, davon war keiner eine Frau. Darüber hinaus scheiterten die meisten österreichischen Medien in Bezug auf die Verwendung geschlechtergerechter Sprache (trotz der Bemühungen öffentlicher Institutionen, geschlechtergerecht zu  kommunizieren). Dies trifft insbesondere auf Twitter zu, wo in nur 3 von 25 Tweets gegendert wurde .

Das Bild, das sich von den österreichischen Medienrealitäten zeichnete, ist düster und steht möglicherweise im Widerspruch zu den Erwartungen der Gesellschaft. Die Studie lässt den Schluss zu, dass die österreichische Medienindustrie für Frauen wesentlich trostloser ist als die österreichische Politik. WissenschafterInnen attestierten dem österreichischen Mediensektor bereits in der Vergangenheit, ein hart umkämpfter und übersättigter Arbeitsmarkt zu sein, insbesondere für junge Frauen. Die systematische und routinemäßige Unterrepräsentation von Frauen in der Medienindustrie zu verstehen, steht zudem bereits seit Jahrzehnten auf der Agenda bekannter feministischer WissenschafterInnen. Weibliche Medien- und KommunikationsexpertInnen der Zukunft müssen sich der Bedingungen, unter denen sie einen Job finden und Karriere machen müssen, jedenfalls bewusst sein und sich darauf vorbereiten. Es liegt an der neuen Generation von JournalistInnen und Beschäftigten im Mediensektor, diese Hürden zu überwinden und tätig zu werden: Das Land, in dem sie leben, verdient eine Medienrealität, die von mehr Gleichberechtigung und Fairness geprägt ist.

Weitere Ausgaben:
Alle Artikel des FALTER THINK-TANK finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!