Outbreak! Regierungskommunikation, politische Sichtbarkeit und ein Virus

Petra Bernhardt
am 02.03.2020

Der Ausbruch einer potenziell pandemischen Viruskrankheit gehört wahrscheinlich zu den schlimmsten Szenarien, die sich ein Gesundheitsminister vorstellen kann. Rudolf Anschober gibt ein Interview nach dem anderen und tut dabei genau das, was in so einer Situation erforderlich ist: er erklärt die Lage, ordnet ein – und hat die Ruhe weg. Jetzt nur keine Panik!

In den letzten Wochen sind die Regierungsmitglieder der Grünen bei ihren Medienauftritten immer wieder durch Kompetenz und Sachlichkeit aufgefallen. Dass Politiker auf Fragen antworten und sich nicht hinter der Wiederholung von Phrasen verstecken, hat viel positiven Zuspruch erhalten.

Die Corona-Fälle in Italien und Österreich machen allerdings eine Auseinandersetzung in der Koalition mit der ÖVP sichtbar, die sich seit Beginn der Zusammenarbeit abgezeichnet hat: ein Gerangel um Zuständigkeitsfragen und die damit verbundene Kommunikations- und Sichtbarkeitsdominanz.

Wer ist hier der Macher?

Sichtbarkeit ist in der Politik ein wichtiger Faktor. Sie ist nicht gegeben, sondern wird – unter den Bedingungen bestehender Machtverhältnisse – hergestellt. Gerade in Krisensituationen versuchen Politiker immer wieder, sich als Krisenmanager und Macher zu inszenieren. Die Botschaft: Wir haben die Lage im Griff! Dieser Eindruck soll unter anderem durch den gezielten Einsatz von Bildern entstehen, die Politiker und ihre Teams über Social Media in Umlauf bringen.

Bei der „Herstellung“ politischer Sichtbarkeit – das heißt bei der Produktion, Auswahl und Verbreitung von Bildmaterial – bleibt das Kommunikationsteam der ÖVP einer Strategie treu, die bereits die letzten Wahlkämpfe und die Regierungszeit mit der FPÖ geprägt hat: Sebastian first!

Im Zusammenhang mit dem Corona-Virus folgt die visuelle Selbstinszenierung aktuell sowohl international etablierten Bildformeln von Krisensitzungen in einem „Situation Room“ (Abb. 1), als auch einer visuellen Zuspitzung auf Sebastian Kurz (z.B. Abb. 2 und 3). Der „Situation Room“ ist vor allem durch US-Filme und Serien visuell vorgeprägt. Seine bekannteste Umsetzung in der Politik ist das ikonische Foto des Regierungsfotografen Pete Souza, das in der Amtszeit Barack Obamas während des Einsatzes gegen den Terroristen Osama bin Laden aufgenommen und seither immer wieder (mehr oder weniger geschickt) zitiert wurde (z. B. von Emmanuel Macron, Donald Trump und nun von Sebastian Kurz).

Abb. 1: Instagram-Eintrag von Sebastian Kurz (@sebastiankurz) am 24. Februar 2020, https://www.instagram.com/p/B89M2vRFmzC/

Abb. 2: Instagram-Eintrag von Sebastian Kurz (@sebastiankurz) am 24. Februar 2020, https://www.instagram.com/p/B89M2vRFmzC/

Die zweite Darstellungsform ist Followern der Social-Media-Accounts von Sebastian Kurz ebenfalls vertraut: eine konsequente kompositorische Zuspitzung auf den Parteichef, Spitzenkandidaten und Kanzler, die ihn vor allem in Gruppensituationen und Interaktionsmomenten durch Gesten, Mimik und/oder ästhetische Darstellungsstrategien (z.B. Kameraperspektiven) betont. Das macht ihn entweder zum aktiven Part einer Konstellation, oder zu ihrer zentralen Figur und soll Einfluss darauf nehmen, wir den Kanzler – im doppelten Wortsinn – sehen.

Abb. 3: Screenshot einer Instagram-Story von Sebastian Kurz (@sebastiankurz) am 24. Februar 2020, online nicht mehr verfügbar

Outbreak: Her mit eigenen Bildern!

In der Koalition mit der ÖVP sind die Grünen also mit eingespielten Kommunikationsroutinen konfrontiert, den sie sich mangels Erfahrung in der Regierung (und vermutlich auch Ressourcen) schwer entziehen können. In den Wochen vor der Corona-Krise zeigten etwa Bilder der (Fahrt zur) Regierungsklausur, dass etablierte Darstellungstraditionen von türkis-blau auch in der türkis-grünen Konstellation fortgesetzt werden.

Aufgrund der Struktur der österreichischen Medienlandschaft sowie etablierter Verbindungen der ÖVP mit Journalisten hat ihre visuelle Selbstinszenierung gute Chancen auf eine Übernahme in die mediale Anschlusskommunikation (siehe z.B. Abb. 4). So zeigte beispielsweise das Cover von „Österreich“ am 25. Februar just ein Foto der bereits erwähnten Krisensitzung. Das Foto wurde in einer Montage um einen Polizisten (Anm. der italienischen Finanzpolizei) mit Mundschutz ergänzt. Damit unterstützt die Montage eine von der ÖVP forcierte Einordnung des Virus als sicherheitspolitisches Problem durch Bildgestaltung und sprachliche Rahmung: „Jetzt Alarmstufe Rot“.

Abb. 4: Cover des E-Papers von OE24/Österreich am 25. Februar 2020, https://www.epaper-oesterreich.at/issue.act?mutationShortcut=CITYW&issueDate=20200225&issueId=697830

Wenn die Grünen neben der Kommunikationsmaschinerie der ÖVP bestehen möchten, brauchen sie eigene Repräsentationsstrategien, die ihrem Programm, ihrem Politikverständnis und auch ihrem Menschenbild entsprechen. Und sie müssen sie in der gegenwärtigen Aufmerksamkeitsökonomie so konsequent forcieren, wie es ihr Koalitionspartner tut.

Die Medienhistorikerin Annie Rudd hat (unter Bezugnahme auf die US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez) argumentiert, dass die zielgruppenadäquate Sichtbarmachung und Erklärung der eigenen Arbeit und der eigenen Positionierung in der Politik nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Politikvermittlung leisten, sondern auch positive Effekte für das Politikverständnis haben kann. Anders gesagt: das Herzeigen von Kompetenz, Sachlichkeit und evidenzbasierter Vorgehensweise kann nicht nur die Kommunikation der Grünen beeinflussen, sondern langfristig auch positiven Einfluss auf die Frage der Politikvermittlung allgemein nehmen. Es ist – wenn man vom Virus absieht – längst an der Zeit für einen Outbreak: competence first!

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