Nichts als ein blauer Etikettenschwindel

Oliver Rathkolb
am 07.01.2020

Als ich in einer ORF-Diskussion im März 2010 dem lang gedienten FPÖ-Politiker Andreas Mölzer vorgeschlagen  habe, endlich die „Braunen Flecken“ der FPÖ aus der Zeit des Nationalsozialismus und davor kritisch aufzuarbeiten, signalisierte mir sein mildes Lächeln, dass er mich für naiv hielt. Fast 10 Jahre später kommuniziert er eifrig als Leiter der sogenannten „Referenzgruppe“ den dicken Bericht „der Historikerkommission“ zur Geschichte des „Dritten Lagers“ und der „FPÖ“.

Dieser Bericht ist aber letztlich nur aus der Not eines Skandals um ein antisemitisch-rassistisch bepacktes Liederbuch einer Wiener Neustädter Mittelschülerverbindung, der auch der NÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer angehörte, entstanden. Wohl hat auch der damalige Koalitionspartner ÖVP, der diese Affäre übrigens geschickt zu einem erfolgreichen Wahlkampffinish in Niederösterreich nutzen konnte, an dieser Idee 2018 mitgewirkt. Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka und das ÖVP-Generalsekretariat unterstützten in weiterer Folge sogar den Juniorpartner FPÖ aktiv bei der Suche nach Autoren. Andere Autoren wie Stefan Karner, pensionierter Historiker und ehemaliger Vizepräsident der Politischen Akademie der ÖVP, oder Mario Strigl, ehemaliger ÖVP-Pressesprecher im Wiener ÖVP-Landtagsklub, haben ausgewiesene parteipolitische Nähe zur ÖVP.

Kein Wort aber in diesen 668 Seiten mit seinen 18 Autoren und einer Autorin über die Hintergründe der Auswahl der Beiträger, die lange ebenso geheim gehalten wurden wie der konkrete Arbeits- und interne Diskussionsprozess. Trotzdem will dieser Bericht offensichtlich dem Vorbild anderer Historikerkommissionen (Waldheim-Debatte um dessen Kriegsvergangenheit und NS-Nähe, Erbloses Vermögen von Holocaustopfern in der Schweiz und Österreich aus NS-Raub und Zwangsarbeit) entsprechen und ein heikles, international diskutiertes politisches Thema möglichst aus der aktuellen Diskussion bringen.

Während sich funktionierende wissenschaftliche Historikerkommissionen in der Schweiz und Österreich immer wieder trafen und die Struktur und die Quellen sowie Zwischen- und Endergebnisse diskutierten und verglichen, war dies im Fall des FPÖ-Projekts nicht der Fall. Die Berichte stehen daher einfach nebeneinander und passen überdies häufig nicht zur Ausgangsfragestellung, die Vizekanzler und FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache Anfang 2018 klar vorgegeben hatte, als er „die Korporationen und das Dritte Lager“ zu „einer Aufarbeitung der Vergangenheit“ durch eine Historikerkommission aufgefordert hatte.

Das heisst, in eine wissenschaftliche Fragestellung übersetzt: Welche inhaltlichen Spuren (Antisemitismus, Rassismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit etc.) haben der Nationalsozialismus, aber auch vorangegangene Entwicklungen wie bei den radikalen deutschnationalen Burschenschaften aus dem späten 19. Jahrhundert in der FPÖ bzw. im VdU, der 1949 zugelassenen Vorgängerpartei, hinterlassen und wirken heute noch nach?

Da es offensichtlich keine Plenarsitzungen dieser Autorengruppe gab, ist der Begriff Historikerkommission ein klarer Etikettenschwindel. Überdies sind die FPÖ-Funktionäre und Mitautoren Christian Hafenecker, Andreas Mölzer, Norbert Nemeth sowie der Israelische Ex-Geheimdienstagent Mordechai Kedar, die Identitären-affine Journalistin und Pseudo-Islamexpertin Laila Katharina Mirzo keine HistorikerInnen. Der emeritierte israelische Professor Raphael Israel ist Experte für ostasiatische, chinesische und islamische Geschichte, und es ist ganz offensichtlich, wie die meisten seiner wenigen Fußnoten und sein CV zeigen, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Trotzdem kommentiert er diesen Bericht, der fast ausschließlich auf Deutsch publiziert wurde.

Aber zurück zur Ausgangsfragestellung. Welche Beiträge beschäftigen sich nun tatsächlich mit den ideologischen Kontinuitäten (Antisemitismus, Rassismus, Nationalsozialismus) und analysieren diese Nachwirkungen insbesondere in den schlagenden Burschenschaften an den Universitäten sowie den Pennälerverbindungen im Mittelschülerbereich?

Plötzlich schrumpfen die Inhalte auf die Beiträge von Hubert Speckner (und hier nur der Teil Südtirol-Attentate), Gerhard Hartmann (allgemein zu den Burschenschaften) und Mario Strigl (zu Liedtexten bei schlagenden Verbindungen) zusammen – abgesehen von punktuellen abwehrenden aktuellen Referenzen bei Hafenecker zur Verbindung Bruno Sudetia u.a..

Ohne irgendwelche internen neuen Quellen zu benennen, exkulpiert dabei der Militärhistoriker und Oberst Hubert Speckner die schlagenden Burschenschaften Brixia in Innsbruck und Olympia in Wien, da bei den terroristischen Verbindungen und blutigen Attentaten in Italien nur einzelne Mitglieder involviert waren. Wer sich auch nur am Rande mit den Alltag von schlagenden Burschenschaften beschäftigt, bleibt der Atem stehen. Natürlich sind diese genannten militanten Burschenschaftler im Biotop der Burschenschaften aufgewachsen und wurden vielfach von diesem Kollektiv unterstützt. Ein neues, bald erscheinendes Buch von Christoph Franceschini wird hier neues Quellenmaterial ans Tageslicht fördern.

In dem Beitrag des Kirchenhistorikers und CV-Mitglieds Gerhard Hartmann bricht die Analyse letztlich 1938 ab, aber er bietet zumindest bis dahin eine kritische Interpretation der Sekundärliteratur und räumt mit dem Opfermythos der Burschenschaften auf, die 1938 aufgelöst wurden, aber deren Mitglieder sofort individuell in den NS-Organisationen „Karriere“ machten. Primärquellen aus Burschenschaftler-Archiven verwendet er keine, da diese als private Vereine, trotz ihrer zunehmenden Bedeutung als zentrale Funktionärsrekrutierungsorganisationen der FPÖ im Nationalrat bzw. Wiener Landtag, den Zugang scheinbar verwehrten, wobei nirgends dokumentiert wurde, wer wirklich wen angefragt hat.

Eine empirische fundierte Analyse des Alltags auf den Buden der schlagenden Verbindungen nach 1955 fehlt nach wie vor, und das einzige wissenschaftliche Werk dazu stellt die publizierte Dissertation Bernhard Weidingers dar, der übrigens „sub auspiciis praesidentis rei publicae“ promoviert hat, aber trotzdem von Hartmann als „Linker“ subkutan als parteiisch abgetan wird.

Bleibt die Hoffnung, dass zumindest in der Parteigeschichte des VdU bzw. der FPÖ bei dem Neuzeithistoriker Lothar Höbelt, der eine Vielzahl von Quellen verwendet hat, konkrete Hinweise und Strukturen offen zur Ausgangsfrage dargestellt werden. Unter anderem zitiert er aus dem Nachlass des FPÖ-Obmanns Friedrich Peter, der einer SS-Mordbrigade angehört hatte, sowie aus dem Nachlass des ersten FPÖ-Obmanns Anton Reinthaller, einem ehemaligen hochrangigen NS-Funktionär.

Während es für Höbelt die schlagenden Burschenschaften als wichtiges Funktionärsnetzwerk einfach nach deren Wiederzulassung nicht gibt, bringt er es sogar fertig, die offenkundigen antisemitischen Aussagen und pro nationalsozialistischen Einstellungen Reinthallers, die die Historikerin Margit Reiter im Nachlass gefunden hat und lange vor Erscheinen Ihres Buches im September 2019 mehrfach publiziert hat, zu „übersehen“.

Selbst frühere Fälle, die er selbst schon veröffentlicht hat, wie jenen des Salzburger VdU-Landesrates Florian Groll, der vor Zeugen seine Adolf Hitler Verehrung Anfang der 1950er Jahre verbalisiert hat, „vergisst“ er ebenso wie alle anderen Autoren. Während Höbelt noch in einem eigenen älteren Buch 1999 von der Machtergreifung ehemaligen Nationalsozialisten und von Rechtsextremisten in der FPÖ 1956 sprach, rudert er in dem vorliegenden Text deutlich zurück und ignoriert seine frühere Aussage, ohne dies zu erklären.

Andere wie Michael Wladika, aber auch punktuell Thomas Grischany thematisieren antisemitische Einstellungen zumindest für die Frühzeit des VdU und der FPÖ, wobei Grischany, der bisher nur über die Zeit vor 1945 gearbeitet hat, ständig in seiner Analyse der Parlamentsdebatten um Relativierung bemüht ist und den ideologischen Gesamtkontext nicht reflektiert.

Eines der interessantesten Zitate aus dem inneren Selbstverständnis der FPÖ-Spitzen liefert Stefan Karner auf Seite 309 in seinem Beitrag aus sowjetischen Akten, die eine Wahlveranstaltung mit O-Ton Friedrich Peters und Wilfried Gredlers am 4. Oktober 1957 dokumentieren: „Die meisten Mitglieder unserer Partei sind ehemalige Nationalsozialisten. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass wir Mauthausen und Dachau rechtfertigen. Aber das heißt auch nicht, dass wir das Gute an der Nationalsozialismuszeit ablehnen. / Beifall/“.

Insgesamt gesehen bietet der Personenkatalog Wladikas zumindest Einblick in den hohen Nazifizierungsgrad der FPÖ-Elite, ohne dass der Leser etwas über den internen Parteidiskurs erfährt. Interne Akten, die beispielsweise Höbelt zitiert, hat er scheinbar nicht bekommen.

Die vom ursprünglichen Kommissionsvorsitzenden, dem emeritierten Rechtshistoriker Wilhelm Brauneder, öffentlich bei einem ORF III-Interview angekündigte Studie, die er anhand der Parteivorstandsprotokolle plante, unterblieb. Brauneder duplizierte Bekanntes zur „Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“, ohne die inzwischen vielschichtige internationale und österreichische wissenschaftliche Literatur dazu ausreichend zu berücksichtigen.

Es bleibt zumindest zu hoffen, dass jetzt das FPÖ-Archiv auf Bundesebene und die FPÖ-Landesarchive, aus denen aber nur Lothar Höbelt und sonst kein Autor zitiert, sowie diverse Privatnachlässe und vor allem die Archive der Korporierten öffentlich zugänglich gemacht werden. Margit Reiter, Universitätsprofessorin für Zeitgeschichte an der Universität Salzburg, wurde dies noch trotz mehrfacher Anfragen verwehrt.

Jedenfalls ist eines nach dem Studium der 668 Seiten klar: der Arbeitsauftrag von H.C. Strache wurde nicht einmal annähernd erfüllt. Das einzige, was dieser Bericht, der nicht den Titel Historikerkommissionsbericht verdient, bietet, ist genügend Material für künftige ernsthafte wissenschaftliche Fragestellungen und Studien.

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