Sondierungsgespräche als politisches Meme

Petra Bernhardt
am 14.10.2019

Im barocken Wiener Winterpalais des Prinzen Eugen ist ein Ensemble moderner Möbel mit dem Charme einer Privatpraxis aufgebaut: zwei Fauteuils, drei Beistelltische aus Metall und Glas, darunter ein Teppich. Hinter einem Fauteuil sind die Fahnen Österreichs und der Europäischen Union positioniert. Es handelt sich um das Setting für eine Photo Opportunity zum Sondierungsgespräch am 8. Oktober 2019. Die Botschaft ist klar: der künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz lädt mit staatstragender Verantwortung und Traditionsbewusstsein zu einer Audienz in geschichtsträchtigem Rahmen. Sein offizieller Fotograf übersetzt sie in ein entsprechendes Bild.

Instagram-Repost von @sebastiankurz am 8. Oktober 2019, https://www.instagram.com/p/B3WpVJooEKR/ (Screenshot am 13. Oktober 2019)

Wenn sich Spitzenpolitik der Öffentlichkeit präsentiert, überlässt sie nur wenig dem Zufall. So ist beispielsweise von Angela Merkel bekannt, dass die Abteilung Medienbetreuung des Bundespresseamtes umfangreiche Empfehlungen zur Gestaltung von Settings ausspricht, bevor die Kanzlerin vor Kameras tritt. Einige davon – wie beispielsweise die Vermeidung von Logos in bildrelevanten Bereichen – „spiegeln Merkels politische Vorsicht wieder: […] Nichts soll interpretierbar sein, nichts nutzbar für Satireshows oder Verschwörungsseiten. Lieber langweilig als angreifbar”. Die Empfehlungen sind Ausdruck einer stetigen Professionalisierung, mit der die Kommunikation der Spitzenpolitik medialen Öffentlichkeiten begegnet.

Während es für offizielle Fotografen in der Spitzenpolitik zur Aufgabe gehört, ihre Auftraggeber im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen, versuchen FotojournalistInnen, ein umfassenderes Bild von Situationen zu vermitteln. Einer von ihnen ist Matthias Cremer (Der Standard), der bei der Photo Opportunity zum Sondierungsgespräch anwesend ist und ebenfalls fotografiert. Eines seiner Bilder postet er auf Twitter und kommentiert die Szene als „interessantes Setting”. Aus anderer Perspektive, die den Konstruktionscharakter des Settings sichtbar macht, wirkt die Szene im Winterpalais fast skurril. Der übergroße Raum mit spärlicher Möblierung lässt Kurz und Rendi Wagner verloren wirken. Die Betonung seiner Rolle durch die Fahnen sticht sofort ins Auge. Ein egalitärer Rahmen für Gespräche sieht anders aus.

Tweet von @MatthiasCremer am 8. Oktober 2019, https://twitter.com/MatthiasCremer/status/1181498045558591488 (Screenshot am 13. Oktober 2019)

Unmittelbar nach seiner Veröffentlichung wird Cremers Foto nicht nur intensiv kommentiert, sondern auch zum Gegenstand satirischer Aneignungen: „Tut mir Leid, wir sind erst vor kurzem eingezogen..die restliche Einrichtung sollte in acht Wochen hier sein”. „Warum steht rechts im Eck ein Schredder” oder „Ich wenn ich Besuch hab und nicht will, dass er lange bleibt”. Zahlreiche Beiträge deuten das Setting als gewollt kühl und legen damit nahe, dass die Gespräche zum Scheitern verurteilt sind, bevor sie überhaupt begonnen haben. Die Gratiszeitung „Heute” springt auf die dominante Deutung auf und ergänzt das Foto in einer Montage durch heimeliges Mobiliar.

Tweet von @NusserChristian am 9. Oktober 2019, https://twitter.com/NusserChristian/status/1181821002210332672 (Screenshot am 13. Oktober 2019)

Dass Bilder politischer Ereignisse zum Gegenstand spielerischer Aneignungen und ironischer Anspielungen werden, ist zu einer kommunikativen Routine im Netz geworden. Humor spielt dabei eine wichtige Rolle, weil er die Schwelle zur Beteiligung tendenziell senkt. Die wissenschaftliche Forschung thematisiert dieses Phänomen einer Memifizierung von Bildpolitik unter anderem als eine Form politischer Partizipation, die der Bestätigung der jeweiligen ideologischen Einstellungen, der Meinungsbildung und -verbreitung oder der Sichtbarmachung von Leerstellen in einem medialen politischen Diskurs dienen kann.

Dabei verfestigen sich Lesarten, die die Einordnung einer Situation maßgeblich bestimmen: im vorliegenden Fall interpretieren Twitter-NutzerInnen das Fehlen von Bildern an der Rückwand des Raumes als Beleg für eine ungemütliche Atmosphäre. Wir sehen, was wir zu wissen glauben – auch dann, wenn sich die Beobachtung auf nachvollziehbare Gründe, wie beispielsweise die Konditionen der Raumbuchung oder den Schutz von Gemälden vor Blitzlicht, zurückführen ließe.

Das Beispiel macht Entwicklungen sichtbar, die politische Kommunikation aktuell in besonderem Maße prägen: da ist zunächst der professionalisierte Kommunikationsapparat der ÖVP, der Sebastian Kurz schon während des Nationalratswahlkampfes als Kanzler inszeniert hat und diesen Fokus auch im Vorfeld einer Regierungsbildung beibehält. Die Gestaltung des Settings ist auf ihn zugeschnitten, lenkt die Aufmerksamkeit und belegt ihn auch symbolisch mit einem Auftrag.

Aber nicht nur der offizielle Gastgeber, sondern auch seine Gesprächspartner nutzen die konzentrierte Aufmerksamkeit rund um die Sondierungsgespräche, um Botschaften zu setzen. So zeigt sich beispielsweise Werner Kogler beim Fototermin am 9. Oktober nicht nur mit einer Mappe, die den Klimaschutz als zentrales Anliegen seiner Partei prominent ins Bild bringt, sondern auch mit einem Pin am Revers, der an den „Coming Out Day” erinnert – ein Signal an seine UnterstützerInnen, sich bei den Gesprächen nicht „verbiegen” zu wollen.

Instagram-Eintrag @werner_kogler am 9. Oktober 2019, https://www.instagram.com/p/B3Z55fCgUDL/ (Screenshot am 13. Oktober 2019)

Das Beispiel macht vor allem deutlich, dass fotojournalistische Bilder für die politische Öffentlichkeit einen besonderen Wert haben. Wenn Spitzenpolitik in Zukunft noch professioneller kommuniziert, braucht es Menschen, die einen Schritt zurück machen, um uns den Rahmen von Inszenierungen bewusst vor Augen zu führen. Und es braucht ihre Bilder, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken und einen Austausch anzuregen.

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