EP-Wahlen auf Facebook: Nicht europäisch genug?

Jakob-Moritz Eberl
am 17.07.2019

MIT PETRO TOLOCHKO

Spätestens ab dem 17. Mai 2019, um Punkt 18 Uhr, war die Europawahl nur noch ein Rauschen im Hintergrund. Ein nationales politisches Ereignis dominierte von nun an die Schlagzeilen österreichischer Medien und das obwohl die Wahl offiziell erst neun Tage später vorbei sein sollte. In diesem Fall etwas extrem in der Ausführung, ist es allerdings nicht unüblich, dass EU-Wahlen sowohl von Medien, Wählern als auch Parteien etwas vernachlässigt werden.

Von Wahlen zweiter Ordnung sprechen Sozialwissenschaftliche Forschungen seit den 1980er Jahren und stützen sich dabei auf die Annahme, dass EU-Wahlen im Vergleich zu Wahlen erster Ordnung (Anm. dabei handelt es sich in der Regel um nationale Wahlen) als weniger wichtig wahrgenommen werden. Unter anderem erklären sie das damit, dass bei Wahlen zweiter Ordnung vermeintlich weniger auf dem Spiel steht, da die Zusammensetzung der nationalen Regierung unbeeinflusst bleibt. Wie einige Studien gezeigt haben, führt das vor allem auch dazu, dass Bürger und Bürgerinnen ihre Wahlentscheidung bei europäischen Wahlen auf Basis nationaler statt europäischer Themen und Akteure treffen; auch in Österreich. Als Wahlen zweiter Ordnung, sind Europawahlen außerdem oftmals durch (1) eine niedrigere Wahlbeteiligung, (2) einen höheren Prozentsatz an ungültigen Stimmen, (3) ein schlechteres Ergebnis für Regierungsparteien, (4) höhere Erfolgsraten für Randparteien und neue Parteien und (5) eine geringere Medienaufmerksamkeit gekennzeichnet.

Um besser zu verstehen, wie es zu einer solchen Diskrepanz kommt, macht es durchaus Sinn, sich den Wahlkampf der Parteien selbst etwas genauer anzusehen. Insbesondere bietet sich dabei der Social Media Wahlkampf an, wie schon Ingrid Brodnig und Luca Hammer in ihrem Digitalreport kurz nach der Europawahl zeigen konnten. Ihre Analyse deutet an, dass gerade während der Endphase des Wahlkampfs das Ibiza-Video und damit wieder nationale Diskurse auch den Social Media Wahlkampf dominiert haben.

Wie europäisch war der Social Media Wahlkampf also wirklich? Im Rahmen der Österreichischen Nationalen Wahlstudie wurden alle Posts der Spitzenkandidaten und Parteien zwei Monate vor der Nationalratswahl 2017 und der Europawahl 2019 gesammelt. Wir haben sie nun auf ihren “Europa-Fokus” geprüft. Tatsächlich haben im Wahlkampf 2019 alle Parteien einen viel deutlicheren Fokus auf Europa gesetzt als noch 2017. Etwas überraschend ist unter anderem der Unterschied bei den Grünen, die während der Nationalratswahl von allen Parteien Europa am meisten thematisierten, 2019 nun aber das Schlusslicht darstellen. Die NEOS wiederum hatten sowohl 2017 als auch 2019 einen vergleichsweise starken Fokus auf europäische Belange.

Anmerkung: Berücksichtigt wurden für 2017 die Accounts der jeweiligen Parteiobleute und Parteien und für 2019 außerdem die Accounts der österreichischen Spitzenkandidatinnen zur EU-Wahl. N = 2.407 (2017) und N = 3.490 (2019).

Das Spitzenkandidaten-Verfahren, also das System, das erstmals 2014 eingesetzt wurde, bei dem zumindest theoretisch alle europäischen politischen Parteien jeweils eine Kandidatin für das Amt der Kommissionspräsidentin schon während des Wahlkampfs nominieren, sollte den Wahlkampf für die Bürgerinnen greifbarer, für die Medien spannender und für die Parteien europäischer machen. Es sollte möglicherweise sogar dabei helfen, das Paradigma der “Wahl zweiter Ordnung” zu durchbrechen. Zumindest in Österreich sorgte die Wahltagsbefragung von SORA allerdings für Ernüchterung. Fast keine Wähler gaben die europäischen Spitzenkandidaten als Motiv ihrer Wahlentscheidung an. Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass die europäischen Spitzenkandidaten in der Wahlkampfkommunikation wenig Bedeutung fanden. Tatsächlich haben die Grünen kein einziges Mal eine ihrer europäischen Spitzenkandidaten Ska Keller oder Bas Eickhout erwähnt. Neos erwähnte nur in 1,6% ihrer Tweets zu Europa auch eine der sieben Spitzenkandidaten der europäischen Mutterpartei ALDE. Bei der ÖVP war dies immerhin bei 5,9% und bei der SPÖ sogar bei 9,8% der Europa-Posts der Fall. Beiden Parteien wurden auch die größten Chancen zugeschrieben, dass sie tatsächlich nach der Wahl die Kommissionspräsidentin stellen würden. FPÖ und JETZT hatten wiederum keine Spitzenkandidaten, auf die sie hätten verweisen können.

Trotz unterschiedlich starker Bemühungen, das Thema Europa und die europäischen Spitzenkandidaten für die eigene Anhängerschaft im Social Media Wahlkampf sichtbar zu machen, hat sich letztere davon aber eher wenig beeindrucken lassen. Vergleicht man die Anzahl der Interaktionen (d.h. Summe an Likes, Teilen, Kommentare, Emoji-Reaktionen) zwischen Posts, die Europa erwähnen, mit jenen, die das nicht tun, dann zeigt sich, dass fast alle Parteien auf erstere weniger Interaktionen bekommen als auf letztere. Nur bei den Grünen ist dieser Zusammenhang umgekehrt. Das größte Desinteresse für europäische Meldungen der politischen Eliten scheint es bei den Facebook-Anhänger von JETZT (bzw. 1 Europa) gegeben zu haben.

Anmerkung: Berücksichtigt wurden die Accounts der jeweiligen Parteiobleute, Parteien und der österreichischen Spitzenkandidatinnen zur EU-Wahl. N = 3.490 (2019).

Aufholbedarf zeigt sich bei allen Parteien in unterschiedlichem Ausmaß, obgleich die präsentierten Zahlen nicht überinterpretiert werden sollten – immerhin handelt es sich hier ausschließlich um die Kommunikation der Parteien auf Facebook. Erwartbarerweise war der Social Media Wahlkampf 2019 europäischer als 2017, dennoch werden wichtige transnationale Aspekte, wie die europäischen Spitzenkandidaten, von den Parteien weitgehend ignoriert. Will man auf Social Media einen Beitrag dazu leisten, das Paradigma der Wahl zweiter Ordnung zu durchbrechen, gilt es am Ende natürlich auch den Inhalt des jeweiligen Posts zu Europa auch tatsächlich anspruchsvoll zu gestalten, sodass die eigenen Anhänger sich auch in höherem Ausmaß dafür interessieren. Das gelang bisher nur den wenigsten Parteien. Man soll die Hoffnung aber nicht sobald aufgeben, denn vielleicht gelingt es ja bei der nächsten Wahl.

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