Politisches Storytelling oder „Gschichtldrucken” im Wahlkampf

Petra Bernhardt
am 17.06.2019

Storytelling ist ein beliebtes Instrument der strategischen politischen Kommunikation. Dabei handelt es sich um das Erzählen von Geschichten, die sowohl Informationen als auch Emotionen vermitteln. Besonders politische Krisen bieten sich für das Geschichtenerzählen an. Sie sind reich an Herausforderungen, die zur Dramaturgie einer guten Story dazugehören. Denn nur wenn ein Held zunächst auf Widerstände stößt, bevor er sein Ziel erreichen kann, wird eine Geschichte interessant.

Im anlaufenden Nationalratswahlkampf ist es vor allem Sebastian Kurz, der Storytelling für sich nutzt. Auf seinem ersten Sujet präsentiert er sich auf einem Weg, der „erst begonnen” hat. Als Hindernis erweist sich eine vermeintliche Koalition zwischen Rot und Blau. Kurz ist aber nicht allein unterwegs, sondern beschreitet den Weg mit einem imaginierten Volk, das in seinem Sinne entscheiden wird. Das Sujet hat aufgrund seiner Ästhetik und des konstruierten Gegensatzes zwischen parlamentarischen Entscheidungen und einem Volkswillen für intensive Diskussionen auf Twitter gesorgt.

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Gepostet von Sebastian Kurz am Montag, 10. Juni 2019

Abb. 1: Aktuelles Sujet von Sebastian Kurz

Als Wahlkampfmittel wird es u. a. in Sozialen Netzwerken eingesetzt, wo Politiker ihre Geschichten quer zu unterschiedlichen Kanälen entwickeln können. So zeigt sich Kurz aktuell auf einer Tour durch die Bundesländer, die vor allem in der Story-Funktion der Plattform Instagram inszeniert wird. Wir sehen ihn beim Austausch mit der Landjugend, bei Gesprächen mit Blaulichtorganisationen oder beim Selfie mit Fans. Durch Bildauswahl und Betextung präsentiert sich Kurz als Zuhörer, der herzlich aufgenommen wird. Damit unterstützt er den erzählerisch etablierten Vertretungsanspruch einer Stimme des Volkes auch visuell. Bildern und Videos kommt beim Storytelling eine wichtige Funktion zu. Denn sie prägen nicht nur die (Selbst-)Darstellung von Politik, sondern auch die Vorstellungen davon.

Abb. 2-5: Screenshots von Instagram-Story-Einträgen von Sebastian Kurz

Abb. 6-7 Instagram-Einträge von Sebastian Kurz am 15. Juni 2019, https://www.instagram.com/p/ByvXV52IP3F/ und https://www.instagram.com/p/ByuxRA4oWW7/

Politische Erzählungen sind nicht nur für Prozesse der Sinnvermittlung, Legitimationserzeugung und Verkörperung von Machtansprüchen relevant, sondern bündeln auch Aufmerksamkeit und generieren Anschlusskommunikation in Sozialen Netzwerken und klassischen Medien. So wurde die Bundesländertour von Sebastian Kurz u. a. zum Gegenstand einer Berichterstattung der ORF-Sendung „Niederösterreich heute” am 13. Juni, wo Kurz seine Erzählung positionieren konnte: Er sei froh, Ideen und Anregungen mitzunehmen und in die politische Arbeit einbringen zu können. Auch der Kurier widmete der Ländertour einen Beitrag und titelte mit der erzürnten Vox populi „Sie haben ihn uns weg genommen”.

Wissenschaftliche Forschungen zum Storytelling, die u. a. in den Sozial-, Literatur- und Kognitionswissenschaften oder der Sozialpsychologie betrieben werden, zeigen zwar keine einheitlichen Ergebnissen. Jedoch betonen Wissenschaftler immer wieder, dass der Mechanismus der Handlung einer Geschichte helfen kann, kausale Zusammenhänge sichtbar zu machen und einzuordnen. Der Politikwissenschaftler Murray Edelman hat mehrfach hervorgehoben, dass emotionale Geschichten die Erklärung der Welt vereinfachen, indem sie an grundlegende politische Mythen erinnern (und sie damit verstärken). Die Frage, ob erzählerische Darstellungen tatsächlich die vermuteten Effekte zeitigen, ist allerdings keineswegs eindeutig belegt.

Was Storytelling für einen Wahlkampf leisten kann, wird hierzulande spätestens seit der Kampagne von Alexander Van der Bellen um das Amt des Bundespräsidenten diskutiert. Die biografisch geprägte Erzählung von der Flucht seiner Familie und der Ankunft im Tiroler Kaunertal sowie die Ableitung des für die Kampagne zentralen Heimatbegriffs wurden zu zentralen Bestandteilen seiner Kommunikationsaktivitäten. Storytelling dient der Zuspitzung eines Wahlkampfes auf eine Person, die mit ihren biografischen Hintergründen, Eigenschaften und Motivationen sichtbar wird. Es kann aber auch die Funktion erfüllen, von einer unangenehmen Geschichte abzulenken. Am Tag nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos lancierte Heinz-Christian Strache die Erzählung eines politisch motivierten Attentats aus dem Ausland. Mit der Frage nach dem Produktionskontext des Videos überblendete er den wichtigeren Aspekt der persönlichen und politischen Verantwortung und versuchte sein Publikum mit Verweisen auf alkoholbedingtes Macho-Gehabe und einer Entschuldigung bei der Gattin emotional abzuholen.

Ungeachtet wissenschaftlicher oder strategischer Überlegungen kennt das Wienerische den Begriff des „Gschichtldruckens”, um den fiktionalen Aspekt von Stories zu betonen. So passt die Geschichte vom vermeintlichen Sturz des Ex-Kanzlers zwar gut in die Erzählstrategie von Sebastian Kurz – mit dem Funktionieren parlamentarischer Demokratie hat sie nichts zu tun. Kohärent wirkende Stories mit prägnanten Formulierungen und Bildern drängen sich einer Übernahme in die mediale Berichterstattung auf und stellen Journalisten vor Herausforderungen. Im Wahlkampf wird es also nicht nur um die besten Geschichten gehen, sondern auch um die Frage, wer sie aufgreift und weitererzählt. Es ist die Aufgabe kritischer Berichterstattung, die Zielgerichtetheit politischer Stories zu erkennen und die Themen hinter den Dramaturgien im Blick zu behalten.

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