Politik ist Tanzen zu harten Beats

Judith Kohlenberger
am 13.06.2019

Bewegungen wie Fridays for Future und das Vengaboys Konzert im Rahmen der Donnerstagsdemo standen jüngst in der Kritik, die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit durch Witzelei und Partystimmung zu verharmlosen. Ist diese „Infantilisierung“ eine Gefahr für ernsthafte Demokratie?

Die Regierungskrise der vergangenen Wochen hat vielerorts Rufe nach Stabilität und Ordnung laut werden lassen. Zurück vom „Red Bull Man“ und Gaudi am Ballhausplatz zu Sachpolitik, Verantwortung und Seriosität, wünscht sich da so mancher. Sich politisch zu engagieren ist aber selten ein rein ideologischer oder gar staatstragender Anspruch, sondern geht in den meisten Fällen mit dem Wunsch nach Gemeinschaft, Freundschaft, Austausch mit Gleichgesinnten, Freizeitgestaltung und ja, Spaß einher, wie zahlreiche Studien belegen. Das tut der ernsthaften inhaltlichen Arbeit, die von zig ehrenamtlichen Funktionären geleistet wird, aber keinen Abbruch, sondern ist eine Form der ideellen Vergütung, die die finanzielle ersetzt. Politik muss eben nicht ernst wirken, um ernst gemeint zu sein.

Denn die Forschung zeigt: Für den kurzfristigen Effekt ist der Protest gegen eine Situation, sei es Korruption, Machtmissbrauch oder versteckte Parteienfinanzierung, sinnvoll – nachhaltig sind aber jene Bewegungen, die Menschen mit einer positiven Zukunftsvision motivieren können, für eine Sache einzutreten. Emotionalisierung ist deshalb ein zentraler Wert für soziale Bewegungen, egal ob in Form von Wut, Freude oder Hoffnung. Psychologisch gesprochen können diese Gefühle in Handlungen übersetzt werden, weil sie begeistern und aktivieren, während Emotionen wie Angst oder Schmerz eher in Apathie und Resignation münden. Die Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth, die an der Harvard Kennedy School lehrt und forscht, erklärt das wie folgt: “Because success is so highly dependent on power in numbers, I think many movements would benefit from trying to keeping the mood light, fun and humorous. It might pay to celebrate impending victory, rather than encouraging solemn or angry venting sessions.” (Danke an den Völkerrechtler Ralph Janik für diesen Hinweis auf Twitter.)

Eine Schwierigkeit, diese „power in numbers“ tatsächlich zu generieren, liegt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aber auch darin, dass Politik traditionell als die Antithese des Coolen gilt, egal zu welcher Zeit und in welcher Jugendbewegung. Wie Dick Pountain and David Robins in ihrer soziologischen Studie zu Coolness als kulturelle Attitüde festhalten, schließen sich Coolness und politisches Engagement a priori aus: „Cool is never directly political, and politics, almost by definition, can never be Cool. To get anywhere in politics you need to care passionately about something, whether it is a cause or merely the achievement of personal power, and you need to sacrifice present pleasures to the long and tedious process of campaign and party organization.” Genau diesen “long and tedious process” versuchen aktuelle Bewegungen wie Fridays for Future oder die Donnerstagsdemos durch eine Happening-Atmosphäre zu attraktivieren. Dadurch wird der politische Protest in eine soziale Form gegossen, die ihn anknüpfungsfähiger für jene macht, denen klassisches politisches Engagement zu anstrengend, altbacken, kurz, zu uncool ist. Die Partystimmung kann damit auch eine Brückenfunktion erfüllen, über welche sich politikfernere Schichten an zivilgesellschaftlichen Protest annähern und sich im weitesten Sinne eine niederschwellige Form der demokratischen Partizipation aneignen.

Spannend ist in diesem Zusammenhang die politische Aufladung eines harmlosen, per definitionem apolitischen Popsongs wie „We’re Going to Ibiza“. Historisch gesehen verhält es sich in der Regel nämlich genau umgekehrt: Nicht selten werden Protestsongs von Songwritern wie Bob Dylan oder Bob Marley massentauglich, indem sie durch ihre Kommerzialisierung auch semantisch entleert werden. Kaum einer nimmt etwa Eddy Grants oft mitgegrölten Hit „Gimme Hope Jo‘anna“ als Anti-Apartheid-Song wahr, oder Bruce Springsteens „Born in the USA“ als Protestlied gegen den Vietnamkrieg. Die inhaltliche Ent- und kommerzielle Neuaufladung ging in letzterem Fall sogar so weit, dass das Lied als erklärt patriotische Hymne auf den Wahlkampfveranstaltungen von Ronald Reagan gespielt wurde. Der Refrain klingt harmlos genug, die Antikriegspropaganda in den Strophen kann man in der allgemeinen Euphorie leicht ausblenden.

Anders dieser Tage auf dem Wiener Ballhausplatz: Die Menge läuft beim Mitsingen des Ibiza-Refrains zu Hochtouren auf, der Techno-Partysong „Boom, Boom, Boom“ klingt plötzlich wie ein angriffiger Gegenentwurf zum viel zitierten „Zack, Zack, Zack“ aus dem Strache-Video. Da überrascht es zum Schluss kaum eine Beobachterin, als das Konzert mit dem Hissen der Antifa-Flagge auf dem Vengaboys-Bus endet. Die Popgruppe als neue Ikonen des Widerstands zu stilisieren, geht aber wohl auch den lautesten Partygängern zu weit. Interessant wird nun aber sein, ob und wie sich die in den letzten Tagen entladene Euphorie in tatsächliche politische Arbeit übersetzt, vom wöchentlichen Straßenprotest über zivilgesellschaftlichen Widerstand bis hin zu parteipolitischem Engagement im Rahmen des bereits anlaufenden Nationalratswahlkampfs. Dann wäre es nur folgerichtig, frei nach Max Weber, Politik nicht nur als das „starke langsame Bohren von harten Brettern“ zu bezeichnen, sondern manchmal eben auch das schnelle Tanzen zu harten Beats.

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