Ethik gehört in Schulen gelehrt

Lisz Hirn
am 29.04.2019

Am Anfang steht diesmal ein Selbstversuch. Stellen Sie sich einen Mann vor, der als Kind  zunächst Tiere quält, dann als Erwachsener obdachlose Menschen tötet. Nun müssen Sie einschätzen, ob es sich bei dieser amoralischen Person eher um einen a) Lehrer mit religiösen Ansichten oder B) einen Lehrer, der nicht an Gott glaubt, handelt. Wie auch immer Sie sich entschieden haben, das Resultat dieser Studie war in den meisten Ländern eindeutig: Der gottlose Lehrer wurde fast doppelt so oft als möglicher Täter angekreuzt als der gläubige Lehrer.

Das Vorurteil, gottlose Menschen verhielten sich unmoralischer als religiöse Menschen, hält sich hartnäckig über alle Religions- und Konfessionsgrenzen hinweg. Zwar konnten Forschung und Studien bereits nachweisen, dass sich moralische Urteilsfähigkeit weitgehend unabhängig von der jeweiligen Religion entwickelt, dennoch haben religiöse Weltanschauungen tiefe Spuren im moralischen Bewusstsein hinterlassen. Kaum ein tagespolitisches Thema, das nicht von religiöser Seite kommentiert wird. Egal, ob es um Migration, künstliche Befruchtung oder die Sexualerziehung der Kinder geht. Dass die Aussagen von religiöser Seite oftmals wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen, sollte nicht verwundern, befinden sich Religionen und Wissenschaft doch seit Anbeginn an in einem militanten Glaubenskampf.

Die zunehmende Politisierung der Religion mag einen Beitrag dazu geleistet haben, die Grenzen zwischen dem religiösen und dem gerechtfertigten wahren wissenschaftlichen Glauben zunehmend zu verwischen, was sich unter anderem an Beispielen nationaler, aber auch internationaler Bildungspolitik zeigt. So ist die türkische AKP, die die religiöse der wissenschaftlichen Erziehung vorzog, mit einem Sinken des schulischen Niveaus konfrontiert. Nicht nur der rapide Anstieg von Korankursen, sondern auch die nationalen Pisa-Erhebungen dokumentieren, welche Auswirkungen religiöse Erziehung auf die Gesellschaft haben kann.

Auch in Österreich wird der Religionsunterricht ungern von politischer Seite infrage gestellt. Wenn Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) den Ethikunterricht als „Alternative zum Kaffeehaus“ für Abgemeldete einführen will und sich „vorstellen kann“, dass „der Ethikunterricht zu weniger Abmeldungen vom Religionsunterricht führen könnte, dann spricht er sich eindeutig für den Religionsunterricht als primärer Wertevermittler im österreichischen Bildungssystem aus.

Eine religiöse Wertevermittlung aber, die Schüler, die außerhalb oder am Rande der Mehrheitsgesellschaft sozialisiert wurden, nicht jenseits von den eigenen religiösen Dogmen und Geboten zusammenbringen kann. Während man sich also politisch von einem gemeinsamen staatlichen Ethikunterricht distanziert, dessen integrative Wirkung gerade bei Kindern mit nichtösterreichischem Hintergrund anschlüge, verpflichtet man Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte zu einem Crashkurs über „staatliche Werte“.

Eines der Totschlagargumente für die religiöse Erziehung von Kindern ist noch immer, dass Religion angeblich toleranter, empathischer und vor allem moralischer mache. Die vielen sozialen Probleme, die sich aufgrund religiöser Differenzen entzünden, legen aber eher den Schluss nahe, dass wir nicht mehr religiöse, sondern mehr säkulare Inputs in der Gesellschaft brauchen. Atheistische und agnostische Inputs sind in der Lage, interreligiöse und moralische Konflikte auf einer nicht-religiösen Basis zu behandeln, jenseits des Absolutheitsanspruchs, während Religion und religiöse Perspektiven dazu tendieren, Abhängigkeiten und Hierarchien zu fördern (zwischen Frau und Mann, oben und unten) oder Differenzen zu betonen (wir Muslime sind „moralisch besser“ als die Christen).

Die Ergebnisse mancher aktueller Studien wie der rund um den Neurowissenschaftler Jean Decety legen sogar nahe, dass gerade religiöse Kinder einen verpflichteten Ethikunterricht bräuchten. Und zwar gerade deshalb, weil sie sich aufgrund religiöser Regeln weniger Gedanken über die Konsequenzen machten, die ihr potenziell unmoralisches Verhalten nach sich ziehen könnte. Aus religiöser Furcht oder Wunsch nach Belohnung „gut“ zu handeln, ist eben nicht dasselbe wie aufgrund von kritischer Reflexion Entscheidungen zu treffen. Nehmen Sie das berühmte „Geben ist seliger als nehmen“. In Decetys Studie zeigten sich Kinder umso weniger freigebig, je mehr Einfluss die Religion auf ihr Leben ausübte. Die großzügigsten Kinder kamen wie auch die, die moralische Verfehlungen weniger hart bestraften, aus atheistischen, säkularen Familien.

Die Angst, dass sich Atheismus und Säkularismus per se negativ auf die Moral auswirken, ist unbegründet. Einige der prominentesten christlichen Werte konnten sich durch Säkularisierung sogar zu kulturchristlichen, säkularen Werten weiterentwickeln. So soll beispielsweise der sozialistische Begriff der „Solidarität“ nichts anders als die christliche „Nächstenliebe“ in einem neuen Gewand sein.

Wer also Ethikunterricht lediglich als ‚Appetitanreger‘ (Faßmann) für den Religionsunterricht konzipiert, missversteht nicht nur den Anspruch eines zeitgemäßen kritisch reflexiven Unterrichts, sondern möchte Ethik auch gerne weiterhin als „Magd der Theologie“ verstanden wissen.

Informationen zum Volksbegehren „Ethik FÜR alle“: https://www.ethikfueralle.at

 

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