Die "Ungarisierung" des ORF

Krisztina Rozgonyi
am 29.04.2019

Der österreichische öffentlich-rechtliche Rundfunk, der ORF, steht unter Beschuss. Der aktuelle Angriff nimmt das Finanzierungsmodell des ORF ins Visier: die Rundfunkgebühren, die österreichische Haushalte an den ORF entrichten und die eine wesentliche Säule seiner unabhängigen Arbeit sind. Der ORF ist ein Symbol für zuverlässige und vertrauenswürdige Medienberichterstattung – und zwar auch für jene Generationen, die nicht mehr fernsehen oder Radio hören. Die Gratwanderung zwischen einem „öffentlichen Dienst“ und einem unabhängigen „staatlichen“ Rundfunk ist der Grundstein seiner Vertrauenswürdigkeit.

Nur wenige Wochen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament in mindestens 27 Ländern mehren sich ernsthafte Bedenken darüber, dass (Online-)Desinformation und Manipulation Demokratien untergraben. Dies wurde durch Russlands Hybridkrieg gegen die Ukraine ebenso deutlich wie während des Brexit-Referendums im Vereinigten Königreich oder der mittlerweile nachgewiesenen US-Wahlkampfbeeinflussung 2016. Die Mueller-Untersuchung hat keine Beweise für einen Komplott zwischen Donald Trump und Russland gefunden. Was die Untersuchung jedoch enthüllte, waren Einmischungen in die US-Wahlen durch eine Hackergruppe mit Beziehungen zu Putins militärischem Geheimdienst oder durch eine Troll-Farm in St. Petersburg, die in russischem Auftrag agierte. Über Social Media-Plattformen verbreiteten mazedonische Jugendliche, angeheuert von Akteuren mit Verbindungen zu Russland, Fake News in Gruppen der Linken, der Rechten sowie der politischen Mitte.

Europa muss sich diesen Herausforderungen stellen und dafür eintreten, dass der öffentlichen Stimme weiterhin unverzerrt Ausdruck verliehen werden kann. Basierend auf den Empfehlungen einer hochrangigen Expertengruppe hat die Europäische Kommission nun ihren Lösungsansatz präsentiert. So brachte die Kommission eine Reihe von Themen und mögliche Vorgehensweisen ein, um gegen Fake News und die Verbreitung von falschen Informationen online vorzugehen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Wahrung der Vielfalt und Nachhaltigkeit der öffentlichen und privaten Medien- und Nachrichten-Landschaft. Das vorrangige Ziel ist es, sicherzustellen, dass unsere Medien weiterhin in der Lage sind, wahrheitsgetreue und qualitativ hochwertige Informationen, die für alle Bürger in ganz Europa von Relevanz sind, zu „produzieren“.

In Europa ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) die wesentliche Säule dieses Systems. Die BBC, die ARD und das ZDF, Yle in Finnland, France Télévisions und Radio France, Arte und 3sat sowie der ORF versorgen ihre Zuseher und Zuhörer mit wesentlichen Nachrichten und Programmen, die es ihnen erlauben, ihre Rechte als informierte Bürger wahrzunehmen und die Ausdruck ihrer kulturellen Identität sind. Diese Institutionen sind herausragende Symbole der europäischen Freiheiten, durch die wir über eine Reihe von grundlegenden Werten und Normen vereint sind und gleichzeitig unsere Vielfalt wahren können. Dennoch befindet sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Konzept und als Institution im Kreuzfeuer der Kritik von mehreren Seiten und durch unterschiedliche Akteure.

„Die Entwicklung des Medienmarktes fördern“, „unfairer Wettbewerb“, „sich ändernde Mediennutzungsgewohnheiten“: So lauten die Forderungen und Argumente gegen eine öffentliche Finanzierung des ÖRR. Häufig wird im selben Atemzug die Notwendigkeit von „alten“ und „monolithischen“ Organisationen und der Wert ihrer Leistung in Frage gestellt. Oftmals laufen die Debatten über die Zukunft des ÖRR über politische und legislative Maßnahmen gegen die Institutionen. Ein häufig angeführtes Argument ist, dass die aktuellen Organisationsmodelle (die Bereitstellung von Fernseh- und Radiodiensten sowie zunehmend auch digitalen Plattformen) nicht nachhaltig seien. Darüber hinaus wird versucht, den Förderungen und insbesondere dem Element der Rundfunkgebühr die Legitimation abzusprechen.

Die Finanzierungsmodelle der Rundfunkanstalten variieren. Sie bauen auf eine Kombination von Einnahmen aus Rundfunkgebühren und Werbeeinnahmen und/oder dem Staatshaushalt. Die Rundfunkgebühr – die die Haushalte direkt entrichten – ist ein zentrales Element der ÖRR-Finanzierung. Nach wie vor sind Rundfunkgebühren (mit zwei Drittel der Gesamteinnahmen) die wichtigste Finanzierungsquelle von ÖRR und stellen einem EBU-Bericht zufolge in Europa deren Finanzierungsgrundlage dar. Der zu zahlende Betrag beträgt um die € 20,00 monatlich (in Deutschland beträgt der Rundfunkbeitrag € 17,50/Monat, während in Österreich zwischen€ 19,78 und € 25,18 zu entrichten sind, wovon € 16,78 an den ORF gehen). Basierend auf dem Modell der BBC, soll die Komponente der „Gebühr“ sicherstellen, dass der ÖRR unabhängig von staatlichem Einfluss agieren kann und gleichzeitig den Bürgerinnen gegenüber rechenschaftspflichtig ist. So soll eine direkte Verbindung zwischen den ZuseherInnen und Zuhörerinnen und den Rundfunkanstalten hergestellt werden, wodurch seitens der Bürgerinnen als Anteilhaber Mitverantwortung gewährleistet wird.

Mit anderen Worten: Die Direktzahlung durch die Bürger bekräftigt die Notwendigkeit eines ÖRR auf äußerst unkomplizierte Weise und gibt ihnen mehr Kontrolle über die Institution. Die Abschaffung der Rundfunkgebühr im Austausch gegen eine Finanzierung aus dem Staatshaushalt oder aus Werbeeinnahmen würde diese kostbare demokratische Beziehung gefährden, da der ÖRR so staatlichen und auch wirtschaftlichen Einflüssen und Abhängigkeiten ausgesetzt wären.

Versuche, Rundfunkgebühren abzuschaffen, sind systemisch und weit verbreitet. Im März 2019 wurde in der Schweiz eine Volksabstimmung über eine Initiative zur Abschaffung der Rundfunkgebühren durchgeführt. Wie ein Schweizer Medienaufsichtsorgan festhielt, würde „die Abschaffung von Rundfunkgebühren die Pluralität der Meinungen und die Vielfalt der Presse einschränken, die die Grundpfeiler eines heterogenen, multikulturellen und mehrsprachigen Landes wie der Schweiz sind.“ Nach einer hitzigen öffentlichen Debattewurde die „No Billag“-Initiative mit 71,6 % der Wählerstimmen abgelehnt. Unterdessen war das dänische Rundfunkpublikum weniger erfolgreich: Ihre Regierung schaffte die von den Haushalten zu entrichtende Rundfunkgebühr ab und kürzte das Budget der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kürzlich um 20 Prozent. Argumentiert wurde abermals, dass sich unsere Art und Weise moderne Medien zu konsumieren verändere und dass nationale Rundfunkanbieter ihre Abläufe in Zeiten von Netflix, Amazon Prime oder HBO optimieren müssen.

Ohne Zweifel: Die Abschaffung/Kürzung der Mittel öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten ist ein direkter Angriff auf die Pluralität und Medienfreiheit. „Der Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, das Recht auf Information zu wahren – über Nachrichtensendungen, Kindersendungen, Bildung, Dokumentationen und Unterhaltung für alle zu gleichen Bedingungen, unabhängig von Einkommen oder der Minderheit, der man angehört. Seine Rolle ist umso bedeutender, wenn es darum geht, in der Zeit der so genannten Fake News und der Bedeutung sozialer Medien die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Informationen zu garantieren und den Journalismus zu stärken“, argumentiert auch die Europäische Journalisten Föderation in ihrem Eintreten für die Notwendigkeit von Rundfunkgebühren. Auch die Europäische Rundfunkunion befand in einem Bericht, dass gut finanzierte und starke öffentlich-rechtliche Medien ein guter Indikator für eine gesunde Demokratie sind.

Angriffe auf die Medienfreiheit mit dem Ziel, die Finanzierungsmodelle der Rundfunkanstalten zu destabilisieren, betreffen nicht nur die ÖRR, sondern auch unabhängige private Medienunternehmen. Laut eines kürzlich erschienenen Berichts der UNESCO führte die selektive Verteilung von Mediensubventionen und parteipolitische Zuordnung von staatlicher Werbung über Inserate in zahlreichen mittel- und osteuropäischen Ländern zu einer Usurpation der Medien durch den Staat und zu „sanfter Zensur“. Ebenso nahm der wirtschaftliche Druck auf unabhängige Medieninhalte zu und hatte starken Einfluss auf Redaktionsrichtlinien. So untergräbt auch die Praxis der als Nachrichten getarnte „bezahlten Inhalte“ die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Darüber hinaus wurde die Finanzstabilität kritischer Medien durch diskriminierende Besteuerung und Strafbesteuerungen geschwächt. All diese Versuche schränkten die Unabhängigkeit der Medien sowie ihre Fähigkeit, als vertrauenswürdige Wächter der Demokratie aufzutreten, ein.

Das Ziel von solider, kalkulierbarer und transparenter Medienfinanzierung ist die Wahrung der Medienfreiheit, die die Grundlage für vertrauenswürdige und glaubwürdige Informationen ist. Seit 2016 beobachten wir in Europa und weltweit, dass Informationsstörung (information disorder) und verzerrte Wahrnehmungen unsere Gesellschaften grundlegend verändern – mit unvorhersehbaren politischen Folgen. Die „Verunreinigung“ von Informationen durch die Verbreitung von Fehlinformationen ohne böswillige Absicht (mis-information), die bewusste Verbreitung von Desinformation mit böswilliger Absicht (dis-information) oder die bewusste Verbreitung korrekter Informationen mit böswilliger Absicht (mal-information) ist in der Tat eine Herausforderung für die Welt, in der wir leben wollen. Daher muss es unser Ziel sein, die wenigen verbleibenden öffentlichen Einrichtungen, die in der Lage sind, diesem negativen Trend zu begegnen, zu schützen.

Viele fürchten – mit gutem Grund – die „Ungarisierung“ der österreichischen Medienlandschaft. In vielen mittel- und osteuropäischen Ländern hat sich die Pressefreiheit in den vergangenen Jahren rasant und maßgeblich verringert. Der erste Schritt war in allen Fällen die Übernahme der ÖRR. Die Abschaffung der ORF-Gebühr wäre eindeutig ein Schritt in dieselbe Richtung und eine Überschreitung einer Grenze. Eine Koalition von Verbündeten über alle politischen und wirtschaftlichen Interessen aller österreichischer Medien und der Bürgerinnen hinweg unterstützte das Volksbegehren von 1964, das einen wahrlich „öffentlich-rechtlichen“ Rundfunk forderte. In der aktuellen Debatte sollten wir uns also auf die langfristigen Erfolge und die gewonnenen Erkenntnisse besinnen.

(Dieser Beitrag wurde auf englisch geschrieben und ins Deutsche übersetzt.)

 

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