Wie linker Kulturrelativismus hilft, Emanzipationsfortschritte zunichte zu machen

Lisz Hirn
am 08.03.2019

Wer soziale Beziehungen umgestalten möchte, darf die Ökonomie nicht aus den Augen lassen. Selbst wenn man mit Karl Marx in nichts anderem übereinstimmt, wird man ihm in diesen Punkt recht geben müssen. Es hat keinen Sinn, das Ende der globalen Emanzipation auszurufen, solange es keine gleiche Bezahlung, Aufstiegschancen, genug Kinderbetreuungs- und Arbeitsplätze für die große Mehrheit der Frauen gibt. Denn je finanziell abhängiger Frauen sind, desto weniger werden sie ihre Situation ändern, denn das würde bedeuten, alles infrage zu stellen. Sind sie wirtschaftlich unabhängig, trauen sie sich eher, Forderungen an ihren Partner zu stellen.

Wie aber können es alle Frauen in die wirtschaftliche Unabhängigkeit schaffen? Linke und rechte Feministinnen überschneiden sich hier in einigen Lösungsansätzen. Rechte Feministinnen – ich nenne sie gerne „Biederfrauen“ – fordern gerne, dass Frauen selbst dafür sorgen sollen, dass sie nicht unter der Männerdominanz in ihren Familien leiden, auf die sie finanziell angewiesen sind. Sie gehören zu jenen Frauen, die es geschafft haben, in Wirtschaft und Politik, und den andere dann ausrichten, dass jede andere es auch schaffen kann, wenn sie sich nur genug anstrengt.

Wie das genau funktionieren soll, bleibt unklar. Vor allem hat es wenig Sinn, exemplarisch über die wirtschaftliche Unabhängigkeit sogenannter »Musliminnen« oder »Niedriglohnarbeiterinnen« zu diskutieren, wenn es für sie kaum Chancen auf Arbeitsplätze gibt. Sei es, weil sie ein Algorithmus des Arbeitsmarktservices vorher aussortiert oder es ihr das männliche Familienoberhaupt vorgibt. Dass viele dieser Frauen im Alter alleine nicht überlebensfähig sind und daher oft aus wirtschaftlichen Gründen beim Partner bleiben müssen, wird von den meisten verdrängt.

Auch die Idee linker Kulturrelativistinnen, die Marginalisierung der betoffenen Frauen damit zu überwinden, indem ihre Minderheitenposition identitätspolitisch statt sozialpolitisch und emanzipatorisch behandelt wird, hat zu einer Spaltung unter den Frauen geführt: hier die vermeintlich emanzipierte Österreicherin, dort die vermeintlich rückständige, finanziell abhängige muslimische Ausländerin.

Der Philosoph Robert Pfaller trifft den Kern des Problems, wenn er schreibt, dass »die sprachreformerischen Bemühungen um korrekte Bezeichnung bisher vernachlässigter Gruppen auch erhebliche Probleme erzeugen« werden. Alle emanzipatorischen Bewegungen scheinen heute an ihren hypersensiblen, sprachlichen Auswüchsen zu kranken, die – anstatt sie für die »gemeinsame« Sache kämpfen lassen – trennen und schwächen. Über Nacht konnte eine nicht-muslimische Frau zu einer Muslima nicht mehr einfach sagen: »Wir sind doch beide Frauen«, ohne dafür gerügt zu werden, dass sie ja gar nichts über die Diskriminierungserfahrung der »muslimischen« Frau sagen kann. Deren Diskriminierung auch nur verstehen zu wollen, beweise schon ihre Ignoranz. Es brauche stattdessen einen separat laufenden »muslimischen«, »schwarzen« Feminismus, der das Projekt einer »westlichen unter paternalistischem Tatbestand stehenden« Frauenemanzipation zu einer Variante von vielen entwertet.

Wie kann man sich also in dieser korrekten Sprachwelt noch solidarisieren, wenn wir keine Worte mehr haben, um Gemeinsames und Allgemeines anzusprechen? Wie also mit den feministischen „Biederfrauen“ umgehen?

Zum einen sollten sie vorgeblich an ihren Taten gemessen werden. Man dürfte sie nicht mehr nur nach ihrem Image und Hashtags beurteilen, sondern nach ihren Abhängigkeiten. Esther Vilar bemerkte dazu in ihrem Skandalbuch „Der dressierte Mann“: »Nur wenn die Frauen den alten, männlichen Feminismus zu den Akten legen und einen neuen, weiblichen Feminismus formulieren, können sie, wenn sie es überhaupt wollen, ihre Situation verändern.«

Solange wir die christlichen, muslimischen, neoliberalen „Feministinnen“ auf »ihre Weise« emanzipiert nennen und unhinterfragt lassen, warum sie für ihr Wertesystem, aber gegen ihre (wirtschaftlichen oder sozialen) Interessen konservativ wählen, entfernen wir uns davon, Abhängigkeiten zwischen den Geschlechtern zu durchbrechen.

Denn eines ist klar: In einem konservativen patriarchalen System lässt sich aus der Solidarität mit allen anderen Frauen nicht viel gewinnen. Die Arbeitswelt, Wirtschaft und Gesellschaftspolitik dominieren schließlich Männer, um deren Anerkennung Frauen konkurrieren müssen. Daran ändern auch politisch korrekte Sprachregelungen nichts.

Sich mit der Erklärung vieler Linken und Konservativen zufrieden zu geben, dass »diese unemanzipierten Frauen« vielleicht einfach glücklich in ihrer Situation sind, hieße nicht nur, Emanzipation fälschlicherweise als Ziel Einzelner zu begreifen, es hieße auch, die bereitwillig emanzipierten Männer in der Abhängigkeit dieser geschlechterungerechten Frauen zu belassen. Denn die Unfreiheit der Frauen bedeutet nicht etwa, dass die Männer frei wären. Mit der Konstruktion von homogenen Männerwelten und Frauenwelten entgeht auch dem Mann eine Chance der Selbstverwirklichung jenseits von patriarchalen Rollenklischees.

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