Brauchen wir eine Quote am Wahlzettel? Ja!

am 07.03.2019

Niemand findet Quotenregelungen besonders elegant, juristisch sind sie ohnehin angreifbar. Aber sie sind eine unumgängliche Notlösung auf Zeit, will man das Geschlechterverhältnis in den gesetzgebenden Institutionen ändern.

Der Frauenanteil im österreichischen Nationalrat liegt im Jahr 2019, in dem wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, bei 37,2 Prozent. In der feministischen Praxis gibt es eine simple Regel: Erst wenn der Frauenanteil in einer Organisation 30 Prozent erreicht hat, wird ein Kulturwandel spürbar. Gleichberechtigung heißt 50 Prozent.

Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Polen, Irland, Kroatien -die Liste der Länder, die Quotenregelungen oder sogenannte Paritätsgesetze verabschiedet haben, ist lang. Sie tragen Parteien auf, in jedem Wahlkreis ebenso viele Männer wie Frauen aufzustellen. Manche belohnen Parteien, die dieses Ziel erreichen, mit extra Förderungen und strafen die ab, die es nicht schaffen. Viele europäische Parteien haben sich unabhängig von gesetzlichen Regelungen selbst dazu verpflichtet, ihre Kandidaten im „Reißverschlusssystem“ zu organisieren. Manche halten zusätzlich verpflichtende Frauenquoten in ihren Parlamentsklubs ein. Im Idealfall sind es 50-Prozent-Quoten, oft nur 40 Prozent. Denn eine Wahlliste, auf der Männer und Frauen abwechselnd gereiht sind, bedeutet nicht automatisch, dass auch die Klubs paritätisch zusammengesetzt sind. Vorzugsstimmen, Stimmensplitting, Persönlichkeitswahlrecht -je nach Wahlsystem können einzelne Kandidaten andere überholen.

Aber es geht ohnehin nicht um das Erreichen einer Zielbestimmung, um vollkommene Gleichheit, sondern um den Kulturwandel am Weg dorthin. Does gender matter? Was haben sich Feministinnen nicht die Finger wundgeschrieben, um die Unterschiede zwischen biologischem und sozialem Geschlecht herauszuarbeiten. Eine Frauenquote, so scheint es, holt uns in die graue Vorzeit der Geschlechtertheorie zurück, in eine Ära vor Judith Butler. Soll jetzt wirklich wieder zählen, was ein politischer Repräsentant zwischen den Beinen hat, ganz zu schweigen von der wachsenden Gruppe an Personen, die sich der binären Geschlechternorm entziehen und aus den herkömmlichen Quotensystemen fallen? Das ist in der Tat ein gewichtiger Einwand.

Aber es stockt einfach schon zu lange, nicht nur in der Sache der Frauen. Auch in Sachen Diversität. Die ganze Fülle an modernen Lebensentwürfen findet sich im Parlament nicht wieder. Wer die Reihen der Abgeordneten nach Geschlecht, Alter und Herkunft rastert, fühlt sich in die Ära vor dem Fall des Eisernen Vorhangs zurückversetzt. Wir alle kennen die Gründe dafür. Es beginnt bei den Listenerstellungen an der Basis. Es setzt sich fort bei den politischen Entscheidungs-und Sitzungskulturen, gerne abends und unter Alkoholeinfluss. Und es zeigt sich auch bei ganz banalen Dingen, wie dass das Parlament als Arbeitgeber und als Arbeitsort lange Zeit weder familien-noch kinderfreundlich war. Ein Betriebskindergarten im Parlament? Kein Thema.

Deshalb haben Paritätsgesetze Sinn. Nur sie werden die Art und Weise, wie man Politiker wird und wie Politik gemacht wird, nachhaltig verändern. Sie setzen das System Politik unter Druck, wieder mitzuschwingen mit der allgemeinen gesellschaftspolitischen Entwicklung. Und nicht abgekapselt weiterzuexistieren mit seiner irren Taktung und seinen zerstückelten Tagesabläufen. Zu behaupten, dass eine politische Welt, in der Frauen die Hälfte der Macht besitzen, eine bessere sein wird, ist verwegen. Aber sie ist sicher eine vielfältigere. Und eine, in der mal um 16.30 Uhr Betriebsschluss ist.

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