Lasst uns über Kritik reden

Laura Wiesböck
am 28.02.2019

Wir haben ein Problem mit Kritik und politischer Andersartigkeit. Heute driften Menschen immer mehr voneinander ab, einfach weil sie eine andere Weltsicht vertreten. In gegenwärtigen Auseinandersetzungen ist es keine Seltenheit, dass an Stelle einer inhaltlichen Diskussion ein Schlagabtausch mit persönlichen Untergriffen tritt. Nun ist es prinzipiell einfacher die Integrität des Überbringers der Nachricht anzugreifen, als den Inhalt der Nachricht. Darüber hinaus wird aber auch besonders von rechtspopulistischer Seite eine bewusste Diffamierung von kritischem Denken forciert. Akteure der öffentlichen Meinungsbildung – seien es Medien, Journalisten, Oppositionspolitiker oder Wissenschaftler – werden diskreditiert mit dem Ziel, sie mundtot zu machen und Vertrauensverlust in der Bevölkerung zu befördern. Dabei werden unterschiedliche Methoden angewandt.

Eine Strategie ist es, Kritik als Meinungsverbot zu inszenieren. Meinungsfreiheit wird so gedeutet, dass eigene Aussagen widerspruchslos und ohne Konsequenzen hingenommen werden müssen. Das Konzept von Meinungsfreiheit als Grundlage der Demokratie sieht allerdings vor, immer auch mit Meinungen konfrontiert zu sein, denen man nicht zustimmt. Und zwar ohne staatliche Repressionen befürchten zu müssen. Hetze, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind davon im Übrigen nicht eingeschlossen.

Häufig wird Meinungsfreiheit von rechtspopulistischer Seite auch als „Recht auf eine Plattform“ uminterpretiert. Nachdem der Verkehrsminister Norbert Hofer in einem Beitrag einer ZIB1 nicht namentlich genannt wurde, kamen von der FPÖ Vorwürfe, der ORF würde „Berichterstattung nach politischer Gefälligkeit“ betreiben.  Ziel derartiger Angriffe ist es,  durch Einschüchterung höhere Präsenz zu bekommen. Es geht nicht um Austausch, sondern primär um Provokation, Meinungskampf, ein Austesten, wie viel rechtspopulistisches Gedankengut man in den Diskurs bringen kann. Wenn Medien als Reaktion darauf diesen Stimmen tatsächlich mehr Raum geben, machen sie sich nicht nur zu Spielfiguren einer manipulativen Rhetorik, sondern suggerieren auch, dass die Einwände berechtigt waren.

Neben Medien-Instanzen werden auch einzelne Journalisten direkt angegriffen. So hat FPÖ Generalsekretär Vilimsky der ORF-Moderatorin Patricia Pawlicki nach kritischen Fragen vorgeworfen, sie „spuckt nur mehr Gift und Galle gegen die FPÖ“, Vizekanzler Strache hat auf seiner Facebook-Seite eine vermeintlich satirisch angelegte Fotomontage des ORF-Moderators Armin Wolf veröffentlicht mit dem Schriftzug „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF.“ und die ehemalige Vice-Journalistin Hanna Herbst wurde in der FPÖ-nahen Zeitung „Wochenblick“ als „Hass-Hanna“ bezeichnet. Das Prinzip ist durchschaubar: Kritik wird als persönlicher Angriff und feindliche Gesinnung gedeutet und darauf mit Kränkung, Abwehr und persönlicher Abwertung reagiert. Potenzielle Gegenargumente laufen Gefahr, als Teil eines Lügenkonstrukts gebrandmarkt zu werden.

Darüber hinaus deklarieren Rechtspopulisten Berichterstattungen, die sich von der eigenen Perspektive unterscheidet, als „Fake News“ („Lügenpresse“). Freie Medien werden bekämpft, dezimiert und verleugnet, um Meinungsvielfalt zu unterbinden. Damit werden kritischer Journalismus und politische Andersartigkeit nicht nur zu einem ideologischen Gegner, sondern zu einem Feind, dem man unterstellt, den eigenen Lebensstil zerstören zu wollen.In totalitären Gesellschaften wurde das immer schon praktiziert: gezielte Manipulationen, Angriffe und Auflösung der freien Presse. Intellektuelle Wachsamkeit und aktive Einmischung sind nicht erwünscht, da sie den Machtstatus und die Legitimität bedrohen können. Dementsprechend werden autoritär orientierte Regimes immer versuchen, die Wahrheit durch jene Unwahrheiten zu ersetzen, die ihre Macht stärken und bewahren. Das digitale Zeitalter macht diesen Prozess einfacher denn je.

Derartige Diffamierungen von Kritik stoßen besonders auf Zustimmung, wenn der Begriff negativ assoziiert wird mit Ermahnung, Belehrung und Besserwisserei. Dazu trägt mitunter auch unser Bildungssystem bei, das schon früh darauf ausgelegt ist Kritik und Fehler nahe beieinander zu verorten und zu vermitteln, dass es Fehler zu vermeiden gilt. Dabei ist der Wille zur Reflektion, Revision und ganz allgemein das Einnehmen neuer Perspektiven ein Grundstein für Lernprozesse und Entwicklung – egal ob in der Schule, im Beruf, in der Politik oder in Beziehungen.

Was kann man also dagegen tun? Zentral wäre es, die kognitive Verknüpfung von „Kritik“ und „falsch“ oder sogar „dagegen“ aufzulösen und den Mut zu kultivieren, eigene Ansichten und Werte einem permanenten Reflexionsprozess zu unterziehen. Die Aufgabe von Wissenschaft und Politik ist es, eine zugängliche Komplexität in den oft vereinfachenden öffentlichen Diskurs zu bringenund die Zurückeroberung der Dialogfähigkeit zu forcieren. Dazu gehört auch, dass Bildungseliten anfangen ihren Elfenbeinturm zu verlassen und mehr mit Menschen – als über sie – zu sprechen.

Darüber hinaus wäre es wichtig, in Bildungseinrichtungen die Vermittlung Medienkompetenz zu verankern. Denn demokratiegefährdend sind nicht „Fake News“ oder so genannte „alternative Fakten“, sondern die fehlende Kompetenz in deren Entlarvung. Aufgeklärte Bürger müssen lernen, wie man Falschmeldungen erkennt, wie man Diskurse lesen kann oder was ein Diskurs überhaupt ist. Denn gerechtfertigte und sachlich formulierte Kritik ist keine Nörgelei, kein persönlicher Angriff, keine Sehnsucht nach Verriss, sondern der Anspruch, Wahrgenommenes beobachten, benennen und übersetzen zu können und Einwände zu formulieren. Kritik bedeutet Wachsamkeit.Kritische Leser erkennen nicht nur, was ein Text sagt, sondern auch, wie dieser Text ein Thema darstellt. Unkritische Leser lesen ein Geschichtsbuch, um Fakten oder eine akzeptierte Interpretation von Ereignissen kennenzulernen. Kritische Leser lesen dieselben Texte, um zu verstehen, wie eine bestimmte Perspektive auf die Ereignisse und eine bestimmte Auswahl von Fakten zu einem bestimmten Verständnis führen können. Wie wird argumentiert? Welche Beispiele werden zur Untermauerung der Argumentation verwendet? Welche dahinterliegenden Annahmen kann man erkennen?

Unser politisches und gesellschaftliches System wird durch kritische Auseinandersetzung nicht gefährdet, sondern lebendig gehalten. Denn organisierte Kritik ist die Grundvoraussetzung für eine demokratische Öffentlichkeit. Daher ist es eine wichtige Aufgabe von aufgeklärten Bürgern, sich nicht zur Spielfigur populistischer Rhetorik zu machen.

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