Soll man Frauenhasser im Netz outen? Nein!

am 06.06.2018

Als die Grünpolitikerin Sigrid Maurer vergangene Woche einen Lokalbesitzer outete, weil von dessen Facebook-Account eine zutiefst frauenfeindliche Direct Message abging, verspürte ich große Zustimmung für ihre Vorgehensweise. Endlich wehrt sich eine Frau öffentlich gegen solch alltägliche Zumutungen – und zwar mit Namen und Anschrift des Account-Inhabers.

Und weil wir alle in einer „sofortistischen“ Gesellschaft leben, wie der Medienwissenschaft ler Bernhard Pörksen es nennt, habe ich auch sofort reagiert. Ich habe Sigi Maurers Posting nicht nur bei meinen Followern gelikt und geteilt, sondern ihr per SMS für ihren Mut gedankt. Nur indem man diese alltäglichen Übergriffe sichtbar macht – und zwar ganz konkret -, so meine Überzeugung, werden sie aufhören.

Ich bin mir ein paar Tage, nachdem Maurer ihre Aktion gesetzt hat, nicht mehr sicher. Denn die Protestmasse, die Maurer hier im Netz formieren wollte, hat sich auch in eine Hetzmasse verwandelt. Ich habe Zweifel, ob man diese wichtige feministische #Me-Too-Bewegung, die hier im Netz stattfindet, wirklich an einem einzelnen Übeltäter exekutieren soll -und zwar unter Bekanntgabe der Website mit Geschäftsadresse. Noch dazu, wo nicht einmal geklärt ist, ob er es überhaupt selbst war (er bestreitet, aber vieles spricht dafür). Maurer bringt gute Argumente. Sie sagt, der Mann sei ein Lokalbesitzer, seine Kunden hätten ein Recht zu wissen, wie er gegenüber Frauen agiere. Stimmt. Oder? Frage an mich selbst: Wie würde ich reagieren, wenn die freiheitliche Politikerin die dreckige Nachricht eines türkischen Lokalbesitzers auf diese Weise veröffentlicht hätte?

Pörksen fordert in seinem famosen Buch „Die große Gereiztheit“, dass wir uns in eine „redaktionelle Gesellschaft“ verwandeln müssen. Weil wir alle sofort alles öffentlich machen können, weil alle von uns massenmediale Macht entfesseln können, sollten wir die Grundregeln einer Zeitungsredaktion beherrschen. Und eine Grundregel der Kriminalberichterstattung lautet: im Zweifel Anonymisierung. Dieser Identitätsschutz soll nicht die Tat schützen, aber den Menschen als resozialisierbares Subjekt. Der Identitätsschutz ist die Antwort auf die Selbstgerechtigkeit einer Hyänenpresse, die Namen von Übeltätern ausgeschrieben hat – um selbst zu richten. Die Strafe der Öffentlichkeit war stets härter als die Sanktion des Gerichts.

Das sexistische Mail an Maurer ist -weil es nicht öffentlich ist, sondern „privat“ geschickt wurde -keine strafbare Handlung. Es ist eine grobe Belästigung, die der Staat nicht bestraft. Das ist ein Missstand, der Reform braucht. Ich denke heute, nach meinem ersten Soli-Reflex, Maurer hätte das Mail ebenso anonymisiert posten können, um den Regelungsbedarf aufzuzeigen. Vielleicht hätte sich die Sache weniger schnell verbreitet, aber ihrem Anliegen hätte es nicht geschadet.

Der Pranger aber ist Geschichte. Gerade weil er uns zur sofortistischen Selbstjustiz verleitet. Gerade weil er jene Kräfte mobilisiert, die aus höheren Motiven endlich einmal einem Übeltäter an den Kragen wollen. Man sollte das Lokal abfackeln, schrieb eine Userin auf Twitter. Ich weiß, dass auch in mir archaische Gefühle schlummern, wenn ich Unrecht sehe. Das Gewaltmonopol liegt aber beim Staat. Er soll den Fall zum Anlass nehmen, Frauen wirksamere Instrumente in die Hand zu geben als den Pranger.

Weitere Ausgaben:
Alle Artikel des FALTER THINK-TANK finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!