Am Markt der Köche

Stephan Schulmeister
am 24.01.2018

Händeringend suchen Hoteliers in Westösterreich nach Köchen, während in Ostösterreich viele arbeitslos und nicht bereit sind, im Westen zu arbeiten . Daher mögen auch Köche zu einem Mangelberuf werden, sodass man sie sich aus Nicht-EU-Ländern holen kann.

Nach herrschender Theorie gelten auch für den Arbeitsmarkt die „Marktgesetze“: Ist die Nachfrage nach Arbeit kleiner als das Angebot, herrscht also Arbeitslosigkeit, dann sind die Löhne und auch die „Anreize zum Nichtstun“, also Arbeitslosengeld und Mindestsicherung, zu hoch. Auf dieser Sicht beruhen Hartz IV und das „Arbeitslosengeld neu“(Abschaffung der Notstandshilfe etc.). Sie wollen diese Anreize senken.

Beim „Köcheproblem“ wird diese Logik aber ignoriert: Hier ist die nachgefragte Menge größer als das Angebot, also sollten die Löhne für Köche steigen und ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden. Stattdessen wollen die Hoteliers das zusätzliche Angebot aus der Nicht-EU holen.

Das entspricht dem „reinen“ Marktmodell: In einer von Regulierungen „befreiten“ Welt gibt es für alles einen Weltmarkt, und wenn der Weltmarktpreis für Köche bei drei Euro pro Stunde liegt, dann müssen sich eben auch die Köche in den höherentwickelten Ländern „den anonymen Kräften des Markts unterwerfen“ (Hayek).

Die erste Stufe in diesem „Befreiungsprozess“ wurde von der Hotellerie in Westösterreich absolviert: Seit der EU-Osterweiterung wurde so viel billiges Personal „importiert“, dass es fast keine inländischen Beschäftigten mehr gibt. Damit verschlechterten sich die immer schon „speziellen“ Arbeitsbedingungen in den Hotels in Zürs, Ischgl, Mayrhofen etc.: Die Beschäftigten sind „kaserniert“, Wohnraum für Partner gibt es höchstens, wenn sie auch im Hotel arbeiten, die Beschäftigten sind „im Notfall“ immer einsetzbar, Überstunden und deren Bezahlung werden „locker“ gehandhabt, das multinationale Personal kann seine Interessen kaum vertreten, Betriebsrat gibt es nicht, und wenn, ist er machtlos.

Diese Bedingungen und die -im Vergleich dazu -schlechte Bezahlung sind der Hauptgrund, warum arbeitslose Köche aus Ostösterreich nicht im „freien“ Westen arbeiten wollen -vor dem „Billigimport“ von Arbeitskräften war das noch anders. Doch gerade in den isolierten und hochpreisigen Orten könnten sich die Hoteliers bessere Quartiere und eine höhere Entlohnung leisten.

Stattdessen fordern sie den „Import“ von Köchen aus der Ukraine oder der Türkei. Dann setzt sich die Abwärtsspirale für die Mitarbeiter fort, auch wenn die „Importberechtigung“ aufgrund des Mangelberufsstatus nur in Westösterreich gilt. Und es werden noch weniger inländische Köche dort arbeiten wollen.

Für diesen Fall sorgt das Regierungsprogramm vor: Die Zumutbarkeitsbestimmungen werden verschärft, bei Arbeitsverweigerung droht Kürzung oder Streichung des Arbeitslosengelds, und auf eine Notstandshilfe brauchen auch die inländischen Arbeitslosen nicht zu hoffen. So werden sie sich am Ende doch den „Kräften des Markts unterwerfen“.

Diese Logik von Liberalisierung und Deklassierung ist bei vielen Mangelberufen wirksam. In kurzfristig-statischer Sicht ist es rational, auf den (regionalen) Mangel an Schlossern, Schweißern, Dachdeckern oder Maurern mit einer Ausweitung des Angebots aus anderen Ländern zu reagieren. In langfristig-dynamischer Sicht entwickeln sich so soziale „Ghettos“.

Das markanteste Beispiel sind die 60.000 Pflegerinnen in Österreich (siehe auch die Reportage auf S. 18). Statt die Pflege auf eine Weise zu organisieren, die eines modernen Sozialstaats würdig ist, hat man die billigen Frauen aus Osteuropa „importiert“ und zu Selbstständigen erklärt. Tatsächlich sind sie Angestellte der Agenturen, denn diese erledigen für sie alles, den Transport, den Arbeitsrhythmus, die Sozialversicherung, die Steuererklärung (ein klarer Rechtsbruch). Aber als „Unternehmerinnen“ können ihnen die Agenturen für 24-Stunden-Dienst 14 Tage lang 700 bis 900 Euro zahlen (gälte der Kollektivvertrag für Pfleger, hätten auch manche Österreicherinnen den Job gemacht). So gewinnen „wir alle“, erst recht, wenn „wir“ den Pflegerinnen auch noch die Familienbeihilfe für die zurückgelassenen Kinder kürzen.

Vielleicht sollte man nach diesem Vorbild Agenturen gründen, die Köche, Schlosser, Schweißer, Dachdecker oder Maurer im Ausland anheuern und als Selbstständige an inländische Unternehmen vermitteln, das wäre eine Win-win-Lösung für „uns alle“. Oppositionspolitik gegen eine weltanschaulich entwurzelte, weil „entchristlichte“ ÖVP und gegen eine FPÖ als „Partei der großen Leute“ wäre leicht. Doch auch die SPÖ hat -wie die Sozialdemokratie in ganz Europa -ihre Identität verloren und damit nicht nur die Fähigkeit, Anteilnahme mit den Schwächeren auszustrahlen (Victor Adler und Bruno Kreisky geht’s seit langem dreckig), sondern auch die Fähigkeit zu analytischem Denken.

Statt in der Debatt e um die Ausweitung der Mangelberufe Anteilnahme an der Lage der inländischen und der -noch schlechter behandelten -ausländischen Arbeitenden auszudrücken, statt die Verteilungseffekte einer solchen „Importpolitik“ zu erläutern und alternative Lösungen vorzustellen, wirft der neue SP-Bundesgeschäftsführer Max Lercher der FPÖ vor, „den kleinen Mann zu verraten“, da sie mehr Ausländer ins Land lasse.

Zuerst dachte ich an einen Ausrutscher, doch zur gleichen Zeit warf Hans-Peter Doskozil der FPÖ vor, zu wenige Menschen abzuschieben, denen Asyl verweigert wurde. Der gleiche Doskozil, der im Sommer 2015 mit fröhlichem Lächeln tausende Flüchtende in unser Land winkte und damit sogar ins ausländische Fernsehen kam. Heute würde er gern als einer posieren, der sie wieder rauswinkt.

Max Lercher meinte, Jörg Haider würde heute SPÖ wählen. Eine Partei, die Jörg Haider wählen würde, kann keine sozialdemokratische Partei sein.

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