Was wir statt des Kriegsgeheuls brauchen

am 18.11.2015

Natürlich kann man den Anschlag und alles, was darauf folgen soll, einen Krieg nennen, einen Dritten Weltkrieg vielleicht sogar, wie es der Papst tat. Doch die damit einhergehende Gleichsetzung eines grausamen lokalen Bürgerkriegs mit zwei Weltkriegen ist nicht nur historisch vermessen, sie ist auch ein staatspolitischer Irrweg und folgt der Logik des Terrors (siehe Armin Thurnher, S. 5).

Die Pariser Attentate sind nur in der Welt der Terroristen „kriegerische Handlungen“, sie zielen auch darauf ab, dass Flüchtlinge unter Druck geraten und den Westen zu hassen beginnen, wie interne IS-Strategiepapiere zeigen. In Wahrheit sind sie ein Fall für eine besonnen operierende Strafjustiz und Polizeibehörden, die aus den Verbrechen lernen müssen, um neue zu verhindern.

Das klingt aufs Erste fast verharmlosend. Doch das ist es nicht. Dass Soldaten oder gar eine von Bürgerrechten entfesselte Polizei Terror verhindern können, hat sich bekanntlich als der tödlichste Irrtum des beginnenden 21. Jahrhunderts herausgestellt.

Man kann auch keinen Rechtsstaat light wollen, wo man jeden amtsbekannten Bärtigen mit Fußfesseln versieht, wie dies der französische Ex-Präsident Nicolas Sarkozy fordert, sondern man muss Bürger einer Tat überführen, ehe man sie sanktioniert. Der Rechtsstaat zähmt sich selbst, das unterscheidet ihn vom Unrechtsstaat. Präventive Haftstrafen funktionieren nur in Alice‘ Wunderland. Dort sitzt ein Diener seine Strafe für ein Verbrechen ab, das er erst begehen wird. Als Alice den Häftling sieht, fragt sie die Königin: „Angenommen, er begeht das Verbrechen gar nicht?“ Die Königin antwortet „Umso besser!“, zweifelt dann selbst: „Oder etwa nicht?“

Abbau von Rechtsstaatlichkeit ist tödlich. Das lehren nicht nur der War against Terror, der die Bestie IS erst so richtig nährte, sondern auch die Exzesse in Guantánamo. Der Einsatz von Folter durch einen demokratischen Rechtsstaat wie die USA war ja keine Panne, sondern Konsequenz einer Enthemmung jener Geheimdienste, die präzise Beweissicherung durch Waterboarding ersetzen durften. Die Anschläge in Madrid, London oder Boston wurden dadurch nicht verhindert.

Vielleicht muss man etwas anderes wagen als Kampfrhetorik: den differenzierten Blick etwa. Den Blick auf Vorstädte à la Molenbeek, jenes arabisch geprägte Brüsseler Viertel, aus dem einige der aus Syrien heimgekehrten Pariser Attentäter stammen.

Die Weltpresse stapft dort herum, um nach Gründen für die Monstrosität des Verbrechens zu suchen. Der Islamwissenschaftler Thomas Schmidinger warnt, Molenbeek sei keine Besonderheit. Die Dschihadisten, die sich dort aufhalten, finde man in jeder Banlieue. Vermutlich auch in Österreich, wo sich überdurchschnittlich viele Syrien-Heimkehrer aufhalten, Tschetschenen zumeist.

Wie erkennen und wie resozialisieren wir sie? Und vor allem: Wie verhindern wir, dass ganz Europa zu Molenbeek wird, wenn sich auch nur ein kleiner Teil jener arabischen Flüchtenden radikalisiert, die nun massenhaft einwandern?

Dass die Radikalisierung arabischer Muslime in Europa ein Massenphänomen wird, davor warnen Sozialforscher seit Jahren. Der Guardian berichtete kürzlich über ein verstörendes Projekt italienischer Forscher: Sie untersuchten zwei Millionen arabische Tweets, die zum Thema IS aus Europa abgesetzt worden waren. Mehr als ein Drittel der Postings aus Belgien stimmte den Verbrechen der Terrorbande zu, nur in Katar und Pakistan waren es mehr.

Das ist ein beängstigender Befund, weil er zeigt, dass da etwas zu rutschen beginnt. Der Befund schreit – auch angesichts der massenhaften Einwanderung – nach einer intelligenten europäischen Präventions- und Sozialpolitik. Nein, nicht deshalb, weil Flüchtlinge genetisch geneigter wären, Terroristen zu werden, sondern weil sie leichte Beute von Salafisten werden können, die sich wie Sektenprediger als bessere Sozialarbeiter andienen.

Womit wir bei den Problemen der westlichen Demokratien angelangt wären. Erstens: unserem Verfassungsschutz. Er weiß wenig bis nichts über das Innenleben gefährdeter und gefährdender Communitys. Wie auch? Es gibt kaum Arabisch oder Tschetschenisch sprechende Ermittler, die über entsprechenden sozialwissenschaftlichen Background verfügen, um die Lage in den Herkunftsländern der Terroristen richtig einzuschätzen. Die Behörden haben, zweitens, auch kein ausreichendes wissenschaftliches Wissen über Migranten aus gefährdeten Milieus. Weil, wie Schmidinger beklagt, die Gelder für Wissenschaftler gnadenlos zusammengestrichen werden.

Wer nicht versteht, was vor sich geht, kann aber auch keine Prävention anbieten. Selbst im Gefängnis, wo Deradikalisierung besonders nötig wäre, mangelt es an Programmen, um an jene heranzukommen, deren Hirne der IS gewaschen hat. Man darf sich auch hier nichts vormachen. In einem Rechtsstaat kommen die Extremisten eines Tages wieder frei.

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