Wir müssen über Abtreibung reden

am 21.08.2013

Wir müssen über Abtreibung reden – mit diesem Appell hat Falter-Chefredakteur Florian Klenk vor einem Monat die Debatte in dieser Zeitschrift eröffnet. Ja, müssen wir. Aber anders, als ihm es vorschwebte. Weil Klenk, der, wie er schreibt, „ein massives Problem mit Schwangerschaftsabbrüchen“ hat, nie die Fristenlösung infrage stellen würde.

Ich will sie sehr wohl infrage stellen. Das Verbot der Abtreibung – und mit ihm die Hilfskonstruktion der Straffreistellung bis zur 14. Woche, die seit 1975 in Österreich als prekärer Kompromiss gilt – gehört ersatzlos gestrichen. Abzutreiben soll kein Verbrechen sein, das vom Gesetzgeber bloß geduldet und deswegen straffrei gestellt wurde, sondern ein selbstverständliches Recht, das jeder Frau in den ersten Wochen ihrer Schwangerschaft zusteht.

So, wie es in Kanda seit 1988 der Fall ist. Und so, wie es de facto, nicht de jure, in Österreich heute ohnehin praktiziert wird.

In Kanada treiben nur 1,4 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter ab, in Österreich sind es 2,4 Prozent. Die Zahl der Abbrüche in Kanada ist seit der Komplettlegalisierung 1988 kontinuierlich gesunken. Das Beenden einer Schwangerschaft ist eine normale Leistung des Gesundheitswesens und wird vom Staat bezahlt. Die Enttabuisierung der Abtreibung hat auch dazu geführt, dass der Eingriff in Kliniken und öffentlichen Spitälern selbstverständlich angeboten wird – und die Komplikationsrate mit 97,6 Prozent äußerst gering ist.

Welch ein Unterschied zur Lage in Österreich, wo die Abtreibung immer noch in jene verschämte Grauzone fällt, die zu genau jenen Missständen führt, die der Anlass für die Falter-Debatte waren: der Fall jener Abtreibungsärztin am Spittelberg, die mit veralteten Methoden zu Billigstpreisen Frauen verletzte, die ihre Schwangerschaft beenden wollten.

Gleichzeitig mit der Legalisierung von Abtreibungen müsste Österreichs Politik, wollte sie ihrem Selbstbild als aufgeklärte, sozialstaatlich geprägte Gesellschaft gerecht werden, endlich auch ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz verabschieden. Oder lässt sich ernsthaft argumentieren, dass es mit schweren Erbkrankheiten vorbelasteten Paaren verboten ist, ihre befruchteten Eizellen in den ersten Tagen auf ihre Überlebensfähigkeit zu testen, dass Föten mit einer Schwerstbehinderung aber praktisch bis zur Geburt abgetrieben werden dürfen?

Warum sollen verheiratete oder in Lebensgemeinschaft lebende Heterosexuelle Samenspenden zur In-Vitro-Fortpflanzung nutzen dürfen, homosexuelle Paare oder Alleinstehende aber nicht?

Warum gibt es in Österreich, einem der wohlhabendsten Länder der Welt, mehr Mehrlingsschwangerschaften und Frühgeburten als sonst, weil es Ärzten nicht erlaubt ist, befruchtete Eizellen vorzuselektieren und nur die vielversprechendsten in die Gebärmutter einzusetzen? Wieso müssen Paare nach Bratislava fahren, wenn sie eine Präimplantationsdiagnostik machen wollen? Wieso müssen nichteingesetzte Prä-Embryos in Österreich vernichtet werden, gleichzeitig darf an importierten embryonalem Stammzellenmaterial geforscht werden? Muss Österreich eines der Länder mit der höchsten Abtreibungsquote sein, auf einem Niveau wie Rumänien? Nein, das darf man doch nicht alles miteinander vermischen, werden Behindertenvertreter und Lebensschutzaktivisten jetzt aufschreien. Darf man nicht? Doch, man darf.

Seit der Stern im Jahr 1971 mit dem „Wir haben abgetrieben“-Outing prominenter Frauen die Öffentlichkeit aufrüttelte, ist bei dieser Debatte das Politische immer auch privat und umgekehrt. Deswegen einige persönliche Anmerkungen.

In dem Jahr, als die Fristenlösung mit den Stimmen der SPÖ und gegen den Willen der ÖVP und FPÖ im Parlament verabschiedet wurde, wurde ich geboren. Im gleichen Jahr wurde auch die Familienrechtsreform verabschiedet, die es Frauen erlaubte, arbeiten zu gehen, ohne dass sie ihren Gatten um Erlaubnis bitten müssen. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen. Und man will es auch nicht.

Ich bin einerseits eine typische Tochter jener Generation, geprägt vom Willen, jene Freiheiten, die für meine Mutter beinahe schon zu spät kamen, in meinem Leben zu verwirklichen. Ich habe spät, aber doch, zwei Söhne bekommen. Und ich habe mich zwei Mal im Leben gegen das Schwangersein entscheiden, beide Male war ich in Ausbildung, einmal in einer noch nicht gefestigten Beziehung, in Summe jedenfalls überzeugt davon, dass von den beiden Perspektiven Mutterwerden oder Weiterlernen letztere die zukunftsträchtigere für mich und meine Familie sein würde.

Ich war mir sicher, Kinder erst dann in die Welt setzen zu wollen, wenn ich selber und notfalls auch alleine für sie sorgen könnte. Meinen Partner um Erlaubnis bitten, arbeiten zu dürfen, musste ich ja zum Glück schon längst nicht mehr.

Ich bin andererseits eine untypische Vertreterin meiner Generation, weil ich das Glück hatte, einfach so schwanger zu werden, auch im bereits – und im Zusammenhang mit Gebärfähigkeit nennt man es jenseits der 30 tatsächlich so – fortgeschrittenen Alter. Mir blieb das Schicksal erspart, eine dieser „Aschefrauen“ zu werden, wie Eva Menasse in ihrem letzten Roman „Quasikristalle“ jene Frauen nennt, die, beruflich erfolgreich, ehrgeizig und bestens organisiert, ihren Kinderwunsch immer weiter aufschieben, bis sie feststellen müssen, dass sie auf natürlichem Weg nur mehr schwer Kinder kriegen können und irgendwann innerlich daran verglühen.

Warum ich das erzähle? Weil das der Kontext ist, vor dem wir heutzutage über die Möglichkeiten des Nicht- und Doch-Kinderkriegens diskutieren müssen. Beide Sphären sind nach wie vor seltsam tabuisiert. Die Abtreibung genauso wie das Schicksal jener Frauen, die keine oder nur schwer Kinder kriegen können. Ich behaupte: dies ist auch deswegen so, weil wir auf beiden Gebieten mit veralteten Gesetzen operieren. Fristenlösung: anno 1975. Fortpflanzungsmedizingesetz: anno 1992. Gemessen an den Fortschritten der Wissenschaft auf diesem Gebiet sind inzwischen Lichtjahre vergangen.

Wenn Historiker in 20 Jahren auf unsere Epoche zurückblicken und nach deren Charakteristika suchen, wird die Entkoppelung von Sexualität, Geschlecht und Kinderkriegen eines der wichtigsten sein. Die Ära der reproduktiven Selbstbestimmung begann mit der Pille, setze sich mit der Legalisierung der Abtreibung fort und schreitet rasant voran. Die Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, ist inzwischen in fast ganz Europa erlaubt. Deutschland verabschiedete sie 2011; übrigens war den Abgeordneten die Entscheidung freigestellt, der Klubzwang wurde aufgehoben.

Bald werden Bluttests für die werdende Mutter zum Standard gehören, aus denen sich das Genom des Ungeborenen rauslesen lässt. Künstliche Befruchtung mit Samenspenden, Eizellenspenden, Embryonenspenden, Leihmütter, Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, Social Egg Freezing, das Einfrieren eigener Eizellen für einen späteren Kinderwunsch – all das sind Zeichen für jene soziale Revolutionen, die wir gerade durchleben. Die klassische Kernfamilie wird nicht verschwinden, auch nicht abgewertet werden, wie das Skeptiker immer wieder befürchten. Sie wird ergänzt, durch vielfältigere Lebensmodelle.

Österreich haucht das alles nur ein bisschen an. Die Bioethikkommission, die kluge (und mehrheitlich sehr fortschrittliche) Stellungnahmen zu allen diesen Entwicklungen verfasst hat, wird kaum gehört. Entscheidungen Europäischer Gerichtshöfe zu Fragen wie der Samenspende für Lesben oder PID für Paare werden einfach ignoriert. Parlamentarische Enqueten zum Thema Bioethik, wie die im heurigen Frühjahr geplante, werden kurzfristig wieder abgesetzt. Die Biomedizinkonvention des Europarats aus dem Jahr 1999 ist immer noch nicht ratifiziert. Unsere Politik duckt sich weg, im Grunde seit 20 Jahren. Aus Angst, gegen Lebensschutzbeauftragte, christliche Aktivisten und Vertreter von Behindertenorganisationen argumentieren zu müssen, die immer noch vorbeten, dass das Leben mit der Empfängnis beginnt. Über all das sollten wir diskutieren, wenn wir über Abtreibung wirklich reden wollen.

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