Wir müssen über Abtreibung reden

Barbara Kaufmann
am 07.08.2013

Eine Abtreibungsdebatte kann man nicht führen, ohne gleichzeitig über Kinderbetreuung und Familienpolitik zu sprechen

In der Abtreibungsdebatte“, schreibt Florian Klenk (Falter 30/13) in seinem Kommentar, „prägt das Private die politische Meinung.“ Leider hat er damit nur allzu recht. Es gibt keine sachliche Debatte über Schwangerschaftsabbrüche in diesem Land. Es hat sie noch nie gegeben.

„Wir haben abgetrieben“, titelte der Stern 1971 und brachte die Geschichte von 371 teils prominenten Frauen, die sich offen zu diesem Schritt bekannten. Ich bin überzeugt, so ein Artikel wäre hierzulande über 42 Jahre später unmöglich. Eine Hexenjagd wäre die Folge, angeführt von Konservativen, Kirche und Boulevard.

Abtreibung gehört zu den journalistischen Tabuthemen. Ich kann mich noch gut an eine Kollegin erinnern, die eine Geschichte über betroffene Frauen schreiben wollte, angesiedelt jenseits der Verdammnis und Verurteilung. Eine, in der man die Frauen und ihre Beweggründe verstehen hätte können. Nach der Redaktionssitzung musste sich besagte Kollegin die – immer verstohlen im Flüsterton gestellte – Frage gefallen lassen: „Hast du denn selbst …?“ Schließlich verzichtete sie darauf, gilt jedoch seit damals als diejenige, die Schwangerschaftsabbrüche kritiklos befürwortet.

Abtreibung eignet sich nicht als öffentliches Diskussionsthema. Dieser Meinung ist zum Beispiel auch der ORF, der seiner Belegschaft in den Social Media Guidelines rät, sich dazu nicht zu äußern. Zu schnell wird aus jeder dazu verfassten Zeile eine eindeutige ideologische Haltung konstruiert, und die kann nur heißen: dafür (links, lebensfeindlich, gefühlskalt) oder dagegen (rechts, christlich, radikal) zu sein. Dazwischen scheint es nichts zu geben. Nun macht Florian Klenk in seinem Kommentar den Versuch, sich zwischen diese festgefahrenen Positionen zu begeben und betreibt Ursachenforschung.

Eingeleitet wird diese mit seiner persönlichen Haltung zu Abtreibungen. Er wollte vielleicht nicht wie meine bis heute stigmatisierte Kollegin enden. Klenk erzählt von seinen Zwillingen und der Schwangerschaft und schreibt: „Hätte meine Frau abgetrieben, wäre ich als Vater zerbrochen.“

Das ist eine Einstellung, die viele seiner Geschlechtsgenossen vermissen lassen. Denn auch Männer treiben ab. Über sie und ihre Beweggründe, sich gegen ein Kind zu entscheiden, ihren Einfluss auf ihre Partnerinnen (oft in Allianz mit ihrer Familie), liest man nichts in einer sogenannten Debatte, die auch hierzulande medial hauptsächlich von Männern geführt wird. Es diskutieren also mehrheitlich Menschen über ungeborenes Leben, die niemals eine Geburt am eigenen Leib erleben werden – oder einen Schwangerschaftsabbruch.

Kommen wir zu den Ursachen, die Klenk für die hohe Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen hierzulande auszumachen glaubt. Da wäre einmal die schlechte sexuelle Aufklärung an Schulen. Ich wage zu behaupten, dass es niemals und zu keiner Zeit einfacher war, sich über Verhütung und Sexualität zu informieren, als im heutigen Webzeitalter.

In meiner Kindheit in den 1980er-Jahren in Kärnten existierte Aufklärungsunterricht schlicht nicht. Es gab Bravo und Doktor Sommer, Freundinnen, die immer schon mehr wussten, und zu Hause ein Buch, in dem sich Illustrationen von Querschnitten männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane befanden. Wer etwas über Eisprung, Verhütung und Pille erfahren wollte, sah sich peinlich berührten Erwachsenen gegenüber. Heute erledigt das Google.

Klenk sieht jedoch das Netz und seine Auswüchse als Mitursache für die steigende Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen. Die „Generation Youporn“ – die heute 14- bis 19-Jährigen – würde die Pornoszenen ohne Kondom im wirklichen Leben nachspielen und nicht mehr wissen, wie man verhüte.

Handelt es sich bei besagter Altersgruppe nicht vielmehr um eine „Generation Casting“? Eine Gruppe Jugendlicher, die via Castingshows mit sadistisch inszenierten Auswahlverfahren konfrontiert wird, die in ihrem Leben auch immer mehr zur Realität werden? Muss sich diese Generation nicht langsam wie die Protagonisten einer Heidi-Klum-Castingshow fühlen?

Klum würde ich übrigens für die Sexualisierung der Gesellschaft viel eher verantwortlich machen als verwackelte Amateursexfilmchen auf einer Internetplattform. Der Perfektionsanspruch und das daraus resultierende Leistungsdenken spiegelt sich auch in der österreichischen Jugend-Wertestudie von 2011 wider. 40 Prozent der Befragten geben an, dass Armut in direktem Zusammenhang mit Faulheit steht und daher selbstverschuldet ist. Die Message der Modelmutti scheint also angekommen zu sein: Failure is not an option. Und wenn man schwanger wird, endet man laut quotenstarkem Trash-TV wie die Protagonisten von „Teenager-Mütter“-Formaten: erschöpft, verzweifelt, hoffnungslos.

Wem die innere Sicherheit abhanden gekommen ist, der sucht die Stabilität in der Außenwelt. Zwei Drittel der 16- bis 19-Jährigen ziehen demnach laut besagter Jugendstudie einen sicheren Arbeitsplatz der beruflichen Selbstverwirklichung vor. Über diesen fixen Job verfügen jedoch immer weniger. Frauen sind von befristeten Dienstverhältnissen und freien Dienstverträgen ungleich öfter betroffen als Männer. Zur geringen sozial- und arbeitsrechtlichen Absicherung kommt die unkalkulierbare Beschäftigungsdauer und die bange Frage, ob frau als Schwangere bzw. Jungmutter wiederbeauftragt wird. Gilt doch ein Kind in der effizienten, schönen neuen Arbeitswelt als Handicap.

Eine Abtreibungsdebatte kann man nicht führen, ohne im gleichen Atemzug eine Diskussion über Kinderbetreuung und Familienpolitik loszutreten. Abtreibungen geschehen gleichermaßen aus emotionalen und wirtschaftlichen Gründen. Da es für Ersteres keine Generallösung gibt, muss man sich endlich auf Zweiteres konzentrieren. Kindergartenplätze ausbauen, Krippenplätze erschwinglich machen, Alleinerzieherinnen unterstützen und Unternehmenskultur verändern (Stichwort: Gender Pay Gap). Man kann nicht einerseits von Frauen Steuern kassieren und ihnen gleichzeitig politisch ein Rollenbild aufzwängen, dessen Erfüllung Berufstätigkeit in Kombination mit Kindern de facto zu einem Zustand nahe an der Selbstverletzung macht.

Wenn man die Mutterschaft in der Arbeitswelt endlich enttabuisiert, wird es auch für viel mehr Frauen möglich sein, entspannt Kinder in die Welt zu setzen. Auch diese Überlegungen sollten Teil einer Debatte über Schwangerschaftsabbrüche sein. Denn die beste Abtreibung – da bin ich dann doch zu 100 Prozent bei Klenk – ist jene, die nicht stattfindet.

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