Wir müssen über Abtreibungen reden

am 31.07.2013

Ich habe ein Leben beendet. Und daher weiß ich, dass Frauen eine andere Debatte über Schwangerschaftsabbrüche verdienen

Mein Kind wäre heute drei Jahre und zwei Monate alt. Abgetrieben habe ich es an einem kalten Tag Ende November, einen Tag vor meinem 33. Geburtstag. Ich weiß nicht, ob es ein Bub oder ein Mädchen gewesen ist. Ich glaube gerne, es war ein Mädchen, denn ich habe mir immer eines gewünscht.

Mein Kind war etwas über drei Monate alt, als es starb. Die Gründe für die Abtreibung sollen hier nicht genannt werden, nur so viel: Es war eine rationale Entscheidung, hatte mit schlechten Lebensumständen zu tun.

Es war ein Wunschkind. Als ich von der Schwangerschaft erfuhr, stieß ich mit meinen Freundinnen mit Soda Zitron an. Ich hörte sofort mit dem Rauchen auf, machte lange Spaziergänge an der frischen Luft und freute mich auf den Moment der Geburt. Abends erzählte ich meinem Bauch Geschichten. Geschichten von einem Leben, das hier warten würde. Ende des dritten Monats kam plötzlich alles anders, und mit einem Mal musste ich mich gegen das Kind entscheiden.

Ich ging in eine Abtreibungsklinik, dort erklärte man mir das Prozedere. Ein Zellhaufen sei es, nicht viel mehr. Auf dem Ultraschallbild sah mein Kind zu diesem Zeitpunkt wie eine kleine Bohne aus. Es würde den Vorgang nicht spüren, könne derartige Eindrücke noch nicht verarbeiten, da noch kein Bewusstsein vorhanden sei.

Der Warteraum der Klinik war voll mit jungen Frauen. Fast alle waren, wie ich, alleine gekommen. Alle starrten zu Boden, wenn sich die Augen zufällig doch trafen, waren es traurige, wissende Blicke.

Welche Methode ich wählen wollte: die Saugkürettage, die unter Vollnarkose durchgeführt würde, oder Mifegyne, die „Abtreibungspille“, die eine Fehlgeburt auslösen würde?

Ich entschied mich für Mifegyne. Ich wollte den Schmerz, ich wollte vielleicht auch die Strafe. Ich wollte nicht einschlafen, und wenn ich wieder aufwachte, wäre alles vorbei. Ich wollte den Verlust bei vollem Bewusstsein erfahren. Bei meinem Kind sein, bis zum Ende.

Ich sollte eine Pille nehmen, tags darauf eine zweite, die die Kontraktionen auslösen würde, und binnen einiger Stunden würde ich Blutungen bekommen. Das sollte es gewesen sein.

Als ich die zweite Pille schluckte, war ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher, aber zu dem Zeitpunkt gab es kein Zurück mehr – die erste Pille hatte bereits das Gewebe zu lösen begonnen.

Drei Stunden später begannen die Krämpfe. Die Schmerzen waren das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Dann setzte die Blutung ein, und ich verlor mein Kind. Es war etwa zwei Zentimeter groß, und es sah keineswegs aus wie ein Zellhaufen ohne Bewusstsein.

Ich legte das kleine Würmchen in meine Handfläche und sah, wie es zuckte. Darauf war ich nicht vorbereitet worden. Ein winziger Mensch lag in meiner Hand, ein ganzes Leben, das ich nun beendet hatte. Ich wartete, bis es aufhörte zu pulsieren, dann wickelte ich es in Klopapier und warf es in die Toilette. Heute frage ich mich, warum ich es nicht begraben habe. Damals war ich unfähig zu handeln. Ich war wie gelähmt.

Viele Ärzte sagen, im dritten Monat seien Embryos noch keine Kinder; sie seien eben nichts weiter als die vielzitierte Ansammlung von Zellen. Ich bin nicht gegen Abtreibung. Im Gegenteil: Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist richtig und wichtig, und jede Frau soll selbst entscheiden dürfen. Der Anteil derer, die Abtreibung als eine Form der Verhütung betreiben, ist vermutlich verschwindend gering; detaillierte Statistiken zum Thema Abtreibung werden in Österreich jedoch nicht geführt. Für alle anderen kann es eine traumatisierende Erfahrung sein.

Der Stolz, mit dem sich unsere Mütter noch outeten, ist längst verschwunden. Zurückgeblieben sind Schuld, Scham und Schweigen. Und daraus resultiert, wie bei jedem Tabuthema, schlechte Beratung. Hätte ich anders gehandelt, wenn ich besser aufgeklärt worden wäre? Wahrscheinlich nicht, doch der Umgang mit den Konsequenzen des Schwangerschaftsabbruchs wäre möglicherweise ein anderer gewesen.

Frauen müssen darüber aufgeklärt werden, was es für sie später bedeuten kann, ihre Kinder aufgegeben zu haben. Wie es sich anfühlen kann, wenn man andere Schwangere sieht, Babys, die in der Sandkiste spielen. Wie es beim Anblick eines jeden Kindes im Herzen stechen kann. Das sind Dinge, gegen die man sich zwar nicht wappnen, aber auf die man sich zumindest vorbereiten kann.

Gegenwärtig berät man nur über physische Auswirkungen. Man weist auf die Schmerzen hin, die im Gewebe entstehen, nicht auf die Wunden, die in der Seele zurückbleiben. So etwas wie eine Nachbetreuung findet nicht statt. Entscheidet man sich für den operativen Eingriff, steht man eine Stunde später benommen auf der Straße, und das Einzige, was man mit auf den Weg bekommt, ist der Ratschlag, in nächster Zeit Bäder und Geschlechtsverkehr zu meiden. Wäre es nicht sinnvoll, Frauen in einer solchen Extremsituation psychologische Nachbetreuung anzubieten? Zumal zwölf Prozent der Abtreibenden minderjährig sind.

Wovor die Frauen aber definitiv geschützt werden müssen, sind jene Moralapostel, die noch immer vor Kliniken lauern, um sie Mörderinnen zu heißen.

Kaum eine Frau trifft ihre Entscheidung leichtfertig, und der Eingriff hinterlässt in jeder Spuren, selbst wenn sie die Operation wählt und nach der Narkose erwacht, als wäre sie nie schwanger gewesen.

Österreich zählt mit 30.000 bis 40.000 Abbrüchen laut Christian Fiala, Leiter des Gynmed-Ambulatoriums, jährlich zu den Spitzenreitern Europas. Schuld daran sei unter anderem, dass Verhütungsmittel hierzulande nicht auf Krankenschein zu bekommen seien

Weitere Ausgaben:
Alle Artikel des FALTER THINK-TANK finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!