Haus der Konflikte

Heidemarie Uhl
am 15.11.2006

Die Fronten in der Diskussion um das Projekt „Haus der Geschichte der Republik Österreich“ scheinen klar: Den Proponenten des Projekts stehen viele kritische Stimmen aus der sogenannten scientific community gegenüber, die auf die Instrumentalisierung von Geschichtsmuseen für die Legitimierung der Nation verweisen. Das wäre die Aufgabe dieser Institutionen seit dem 19. Jahrhundert, dies sei auch die hidden agenda der offiziellen Ausstellungen zum Staatsvertragsjubiläum 2005 mit ihrer unkritischen Darstellung der österreichischen Erfolgsstory seit 1945 gewesen.

Die Jubiläumsausstellungen haben dem seit Ende der Neunzigerjahre diskutierten Vorhaben eines Zeitgeschichtemuseums allerdings eine neue Dynamik verliehen. Kurz nach ihrem Abbau wurden Vorschläge laut, diese Bestände als Grundstock einer Dauerausstellung zu nützen. Bundespräsident Heinz Fischer sprach sich für eine baldige Umsetzung des Projekts aus, die Regierung ergriff die Gunst der Stunde: Im März 2006 wurde eine Arbeitsgruppe mit der Erstellung eines Konzepts, kurz „Roadmap“ genannt, zur Errichtung eines Hauses der Geschichte beauftragt, das bis Ende Mai vorliegen sollte.

Gegen diese Vorgangsweise formierte sich allerdings Widerstand. Was in anderen Ländern als wichtigstes Projekt historischer Selbstdarstellung begriffen und unter Einbindung namhafter Historiker und Museologen entwickelt wurde, sollte hierzulande praktisch unter Ausschluss einer öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion innerhalb kürzester Zeit auf Schiene gebracht werden. Ein „Offener Brief österreichischer ZeithistorikerInnen an die Bundesregierung“ zeigte Wirkung. Anfang April wurden 18 Historiker als „ständige Expertengruppe“ beigezogen. Die Befürchtung oder auch Hoffnung, das Projekt werde damit analog zur Musil’schen Parallelaktion im Sande verlaufen, sollte sich nicht bewahrheiten. Die von Arbeitsgruppe und Expertengremium erarbeitete Roadmap wurde Ende Juni übergeben, seit einigen Tagen ist sie erstmals auch online zugänglich, unter www.doew.at.

Folgte der „Befriedung nach Historikerstreit“ (Die Presse) tatsächlich eine Neuauflage des großkoalitionären Ausverhandelns und Austarierens von Zeitgeschichte, wie die Historikerin Eva Blimlinger vor kurzem bei einer Diskussion an der Uni Wien meinte? Wurden die Vertreter unterschiedlicher Richtungen innerhalb des Fachs beruhigt, indem nun jeder sein Themenschrebergärtchen erhält, von den Religionen bis zu den Minderheiten, vom Bundesheer bis zu den Bildungseinrichtungen, von der 68er-Bewegung bis zur Waldheim-Debatte? Und was wäre das Ergebnis? Ein Museum der Beliebigkeit, in dem jeder seine Geschichte wiederfinden kann? Eine museale Darstellung, so etwa die Kritik des Schriftstellers und Zeitgeschichtlers Doron Rabinovici, die die kulturwissenschaftliche Dekonstruktion der „großen Erzählung“ und die Forderung, der Vielfalt und Widersprüchlichkeit von Erfahrungen und der dementsprechenden Vielstimmigkeit von Geschichtserzählungen in einer Gesellschaft Rechnung zu tragen, als Legitimierung von Standpunktlosigkeit (miss-)versteht und die Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern aufweicht?

Die Diskussion um das Projekt kann aber auch als Variante einer internationalen Debatte um die geschichtspolitische Funktion des Museums gesehen werden. Gerade durch diese Kritik hat die Institution Geschichtsmuseum in den letzten Jahren eine grundlegende Neukonzeptualisierung erfahren: als Ort, der historische Bruchlinien und Konfliktthemen nicht glättet, sondern erkennbar werden lässt, der Geschichte als Ergebnis gesellschaftlicher Ausverhandlungsprozesse sichtbar und damit kritisierbar machen soll. Darauf haben etwa das 1994 eröffnete Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin und das in Gründung befindliche Museum der polnischen Geschichte in Warschau reagiert, die neue Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin dagegen hat gerade wegen ihrer konventionellen Darstellung herbe Kritik eingefahren.

Von einem „offenen Forum“, einem „Ort der Darstellung neuer Erkenntnisse und der Überprüfung historischer Mythen“ wird auch in der Roadmap gesprochen – ob die konkrete Umsetzung diesem mission statement folgt, wird sich erweisen. Ein Ignorieren der Museumsdebatte ist allerdings angesichts der internationalen Aufmerksamkeit für nationale Geschichtsmuseen nicht mehr möglich. Vielmehr kommt es darauf an, „das Museum neu zu denken“, so die Museologin Monika Sommer. Eine Herausforderung, der sich das Projekt „Haus der Geschichte“ jedenfalls stellen sollte.

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