Risiken und Chancen der Causa Landbauer

Eine seriöse Historiker–Kommission zur Aufarbeitung der braunen Flecken der FPÖ könnte für sie und Österreich zum historischen Befreiungsschlag werden.


PETER MICHAEL LINGENS

06.02.2018

Die Causa Landbauer eröffnet zwei Perspektiven: Das Risiko, dass sie nur die erste geplatzte braune Eiterbeule ist, die uns Sebastian Kurz mit seiner türkis-blauen Koalition beschert hat – und die Chance eines unerwarteten blauen Selbstreinigungsprozesses, der mit Landbauers Rücktritt begonnen hat und mit dem Bericht einer unabhängigen Historiker-Kommission über die braunen Flecken in der FP-Geschichte ihr Ende finden könnte.

Ich beginne mit der Eiterbeule. Wer Hans Henning Scharsachs Buch über „Die stille Machtergreifung der Burschenschaften“ gelesen hat, den kann nur das blanke Entsetzen packen: es wimmelt in allen, die er aus aktuellem Anlass anführt, von „Kellernazis“ und ihr Verhalten schrammt fast durchwegs nur knapp am Verbotsgesetz vorbei. Wenn jetzt der Text, „Gebt Gas ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ im Liederbuch der „Germania“ Aufsehen erregt, so ist er doch nur die Fortsetzung eines Liedes mit dem der NPD-Barde Michael Müller Ruhm unter Burschenschaftern erlangte, indem er textete: „Bei sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an“ bzw.“ da ist noch lang nicht Schluss“. Noch 2003 lud H.C. Straches und Martin Grafs Burschenschaft „Olympia“ Müller zu sich ein.

Es ist absolut kein Wunder, dass FP-Ideologe Andreas Mölzer (Vamdalia Graz) Lieder dieser Art schon gehört „aber nicht mitgesungen“ hat, als man diesbezüglich „noch nicht so sensibel“ war. Er selbst war selten sensibel: Einer der prominentesten Traugäste beim Begräbnis Müllers im Jahr 2009, der amtsbekannten österreichische Neonazi Karl Polacek zählte zu seinem „Personenkomitee“ für die Wahl ins EU-Parlament und war sein Co-Autor in der „Aula“ zum Thema ` Als wir „befreit“ wurden`.
Am besten charakterisiert das „Netzradio Germania -für alle Kameraden und aufrechten Deutschen“, was diese Burschenschaften eint: Dass sie die Befreiung von Hitlers Herrschaft als größte Niederlage aller Zeiten empfinden.

Zur ihrer Psychologie: Polaczek wie Müller sind (wie übrigens auch Strache) vaterlos aufgewachsen und wurden in ihrer Jugend als „Dickerchen“ verspottet – das Macho-Gehaben der Burschenschaften mit Koma-Trinken und Mensuren musste sie gleich doppelt anziehen. Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer weist im profil zu Recht darauf hin, dass die zunehmende Verunsicherung eigentlich weicher Männer in einer Welt zunehmend gleichberechtigter Frauen diese Anziehungskraft massiv verstärkt. In den USA sind sie Kernwähler Donald Trumps, bei uns retten sie die patriarchale Vorherrschaft in „Burschenschaften“ und gelegentlich in den IS.

Sie bilden eine „völkische Parallelgesellschaft“ (profil), nur dass ihr Einfluss auf Österreich den islamischer Parallelgesellschaften in Zukunft um Längen übertrifft. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Strache und vier seiner fünf Stellvertreter sowie 20 von 33 Mitgliedern des FP-Parteivorstandes sind völkisch Korporierte. In allen Ministerien haben die blauen Minister sofort Burschenafter in neu geschaffene Schlüsselstellen (als Vorgesetzte der Beamten) gehievt. Wie in den USA die Tea- Party, erlangt damit eine eigentlich kleine, aber ideologisch festgefügte und energiegeladene Gruppe überragenden Einfluss auf Österreichs Politik.

Sebastian Kurz, das will ich ihm konzedieren, hat davon dank jugendlicher Geschichtslosigkeit keine Ahnung gehabt – aber er wird vor der Geschichte die Verantwortung dafür übernehmen müssen.
Damit komme ich zur Chance, die das Ereignis dennoch bietet. Vermutlich hat Kurz darauf gedrungen, dass Strache Landbauer ablöst. Gerade noch rechtzeitig ist er damit auf die Linie eingeschwenkt, die Johanna Mickl-Leitner vorgegeben hat: Sie hat die NÖ-Wahlen nicht mit absoluter Mehrheit gewonnen, „obwohl“, sondern „weil“ sie sie sich so eindeutig von Landbauer distanziert hat.

Politisch ähnlich wichtig: Justizminister Josef Moser hat sich beinah wortgleich von ihm distanziert. Seine Behörde hat korrekt gearbeitet, sofort eine Hausdurchsuchung vorgenommen, die kriminaltechnische Untersuchung der Schwärzung angeordnet und mit Einvernahmen begonnen. Ob die Justiz unabhängig bleibt, ist in türkis-blauen Zeiten ähnlich entscheidend wie in der Amtszeit Trumps.

Weiteren Aufschluss darüber wird die Bestellung von drei Richtern für den VGH geben, von denen die FPÖ zwei beansprucht. Es wäre ein positives Zeichen, wenn voran der Forderung der Richtervereinigung nach ihrem Vorschlagsrecht und maximaler Transparenz Rechnung getragen würde.

Vor allem aber will H.C. Strache eine Historiker-Kommission einsetzen, die sich mit den braunen Flecken der FPÖ befassen soll. Das kann wie beim „Bund sozialistischer Akademiker“ der Beginn eines Selbstreinigungsprozesses sein, sofern Strache bei der Zusammensetzung dieser Kommission dem Rat Mosers Rechnung trägt: „Sie wird umso glaubhafter sein, je unabhängiger sie ist.“ Diese Unabhängigkeit wäre gesichert, wenn man wie bei der Walheim-Kommission internationale Historiker und jedenfalls den in Österreich führenden Experten Oliver Rathkolb beizieht. Der Bericht einer solchen Kommission könnte dann trotz aufgezeigter brauner Flecken zu einem echten, dauerhaften Befreiungsschlag werden.

Wenn Strache das wirklich wagt, werde ich ihm abnehmen, dass er tatsächlich nicht mehr der ist, der als vaterloser Junge unter dem Einfluss seines Beinahe-Schwiegervaters Norbert Burger in die Neonazi-Szene geraten ist und drei Finger zum ihrem Hitler-Gruß erhoben hat.
Sondern ein Staatsmann, der um der Wahrheit willen über alle braunen Schatten gesprungen ist.