Kurz als „Superkanzler“?

Der Kanzler muss die Finanzpolitik prägen können. Wenn mit Josef Moser ein Freiheitlicher Finanzminister würde, der dennoch das vollste Vertrauen von Bundeskanzler Kurz hätte, wäre das der bisher größte Vorzug der türkis-blauen Koalition. Kurz als „Superkanzler“ mit Finanzagenden ist keine aberwitzige Alternative.


PETER MICHAEL LINGENS

08.11.2017

Zu den in meinen Augen nicht sehr zahlreichen Positiva des Wahlsieges von Sebastian Kurz zählte die Hoffnung, dass Kanzleramt und Finanzministerium gleichermaßen in den Händen der ÖVP liegen würden. Denn die rot-schwarze Vergangenheit litt darunter, dass die SPÖ stets den Kanzler, die ÖVP aber stets den Finanzminister stellte und dass dieser der in Wirklichkeit weit Stärkere ist: Er kann alles, was der Kanzler will, verhindern und hat das oft genug getan.
Kurz schien dieses Problem gelöst zu haben, indem er den aus der freiheitlichen Partei stammenden Rechnungshofpräsidenten Josef Moser für seine Liste gewann, so dass er bei Regierungsverhandlungen, bei denen der kleinere Koalitionspartner stets darauf besteht, das Finanzministerium als einzige der Kanzlerschaft ebenbürtige Position zugesprochen zu bekommen, argumentieren könnte: „Das besetzt mit Moser sowieso einer von Euch, und er ist außerdem ein Fachmann.

„Moser könnte und müsste den Ehrgeiz haben, alle vom Rechnungshof geforderten Einsparungen auch durchzuführen“

Tatsächlich stellte Moser in der aktuellen Konstellation die Idealbesetzung für diesen Posten dar, denn er könnte und müsste den Ehrgeiz haben, alle vom Rechnungshof durch Jahre geforderten Einsparungen auch durchzusetzen. Denn natürlich sind darunter zahllose richtige. Und so sehr ich es in der gegebenen Wirtschaftslage weiterhin für unsinnig halte, wenn der Staat „spart“, so sinnvoll ist es zu allen Zeiten, wenn er so „sparsam“ wie möglich agiert – also unnötige Leistungen aussondert und nötige zu geringen Kosten erbringt.
Was ich anders sehe als Kurz, Schelling und Co ist nicht die Frage, ob man Förderungen, Sozialversicherungs- oder Verwaltungsausgaben auf mögliche Einsparungen durchforsten soll – sondern was man mit dem allenfalls eigesparten Geld macht: Kurz, Schelling und Co wollen damit Staatsschulden abbauen – ich, die OECD oder der IWF und übrigens auch Christian Kern halten den Schuldenabbau hingegen derzeit nicht für vordringlich und empfehlen, dieses Geld zu investieren, um die Nachfrage anzukurbeln.
Aber gleichgültig, ob man diese volkswirtschaftliche Frage so wie ich oder wie Kurz und Co einschätzt, wäre Moser als ehemaliger RH-Präsident der beste Mann, sie in allen Details in Angriff zu nehmen, und ich dachte eigentlich, dass Kurz sich diese Chance nicht nehmen ließe und Moser als Finanzminister ein Bank-Tipp sei.

„Auch das ist besser, als wenn der Bundeskanzler bei jeder Maßnahme mit einem politisch anders gefärbten Finanzminister ringen muss“

Doch es mehren sich die Gerüchte, dass dem möglicher Weise nicht so ist, Voran der Kurier erörtert die Spekulation, wonach wesentliche Agenden des Finanzministeriums zum Kanzleramt übersiedeln und die wesentlichsten finanzpolitischen Entscheidungen dort gefällt werden könnten – das Finanzministerium wäre sozusagen nur mehr fürs Inkasso und die Finanzverwaltung zuständig.
Auch das ist besser, als wenn der Bundeskanzler bei jeder Maßnahme mit einem politisch anders gefärbten Finanzminister ringen muss. Gleichzeitig erlaubte es der ÖVP, der FPÖ doch das prestigeträchtige Finanzministerium zu überlassen, obwohl dessen Macht dem Prestige dann nicht mehr entspräche.
Eine ähnliche Konstruktion wird derzeit in Deutschland diskutiert, wo FDP-Chef Christian Lindner Anspruch auf das Finanzministerium erhebt und es noch „deutscher“ als Wolfgang Schäuble führen möchte: Mit noch viel weniger Bereitschaft, auf Deutschlands europäische Partner Rücksicht zu nehmen oder die geringsten Transferzahlungen zuzulassen. Weil diese Finanzpolitik mittlerweile selbst in der CDU umstritten ist, ist man auch dort auf die Idee der Aufspaltung der Agenda des Finanzministeriums gekommen, wobei auch dort, wie es die Kurier-Spekulation auch für Österreich vorsieht, auch die Europapolitik stärker dem Kanzleramt als dem Außenministerium zugeordnet würde.
Lindner könnte sich zwar Finanzminister nennen, wäre aber eher ein Finanzverwalter.
Angela Merkel wäre eine „Superkanzlerin“.
Für die EU wäre diese Machtverlagerung in Anbetracht Lindners meines Erachtens nahezu überlebenswichtig – Lindners Politik wäre geeignet, sie zu sprengen.

„Ein Superkanzler ist nicht Demokratie-Fremdes oder Lebensgefährliches“

In Österreich kommt der Frage einer Aufspaltung des Finanzministeriums nicht diese Bedeutung zu. Doch es gibt auch andere bedenkenswerte Gründe, die wesentlichsten finanzpolitischen wie außenpolitischen Entscheidungen sehr wohl beim Kanzler anzusiedeln – es ist ja eher seltsam, dessen Amt mit den geringsten Kompetenzen aller Ministerien auszustatten und ihm nicht einmal, wie in Deutschland eine „Richtlinienkompetenz“ zuzugestehen. Auf eine Zeitung übertragen wäre das so, wie wenn man dem Chefredakteur nicht gestattete, den Leitartikel zu schreiben, obwohl man ihm schon das Recht abgesprochen hat, auf die Texte seiner leitenden Redakteure Einfluss zu nehmen.
Regierungschefs, diesbezüglich bin ich ausnahmsweise für den Vergleich von Staaten mit Unternehmen, sollen eine möglichst ernsthafte Chance haben, ihre wichtigsten politischen Vorstellungen während ihrer Amtszeit auch zu verwirklichen und die habe sie nur, wenn die wichtigsten finanziellen Entscheidungen des Staates entweder direkt bei ihnen oder bei einem Finanzminister liegen, der ihr vollstes Vertrauen genießt.
Alle rot-schwarzen Koalitionen haben darunter gelitten, dass dem nicht so war. Und so wenig ich für die aktuelle türkis-blaue Koalition auch übrighabe, hielte ich es für bedauerlich, wenn sie unter dem selben vermeidbaren Problem litte.
Ich will wissen, was sie in diesen fünf Jahren unter optimalen Voraussetzungen erreicht oder nicht erreicht. Nur das erlaubt es, sie ab- oder wiederzuwählen.
Der KURIER vermutet, dass Kurz, damit er nicht zu viel Macht akkumuliere, ein blauer und ein türkiser Staatssekretär beigegeben würde. Das geht zur Not auch, wenn es eine Augenauswischerei ist, denn ein Staatssekretär wäre dem Kanzler eindeutig unterstellt.
Man soll sich nicht derart vor stärkeren Staatschefs fürchten, solange man sie abwählen kann und die Verfassung geeignet ist, die Minderheitsrechte zu wahren.
Die Lösung mit Moser als Finanzminister erschiene mir zwar als die einfachere und effizientere, denn sie ersparte es, das Finanzministerium mühsam aufzuspalten – aber ein “Superkanzler“ ist nichts Demokratie-fremdes oder lebensgefährliches.