Kurz und die Klimakrisenleugner

„Steinzeit“, „Klima-Lockdown“: wenn der Bundeskanzler über grüne Klimapolitik spricht, spielt er mit den Insiderbegriffen radikaler Szenen

Julia Ebner
vom 02.08.2021

Im Juli 2020 warnten tausende Wissenschaftler aus rund 150 Ländern in einer Veröffentlichung des Fachjournals BioSciene vor einem immanenten weltweiten Klimanotstand. Wir nähern uns mehreren ökologischen Wendepunkten und haben diese teilweise sogar schon überschritten. Die Klimapolitik-Empfehlung von Bundeskanzler Sebastian Kurz lautet unterdessen: Warten auf Innovation und technologische Lösungen. Er wolle nicht „in die Steinzeit zurück“.

Mit seiner Polemik löste Kurz nicht nur harsche Kritik von Wissenschaftlern aus, sondern bewirkte auch Verwunderung beim Koalitionspartner. Kurz warnte etwa vor einem „Klima-Lockdown“ und versprach, den werde es unter ihm in Österreich nicht geben.

Doch niemand hatte in der Regierung einen „Klima-Lockdown“ gefordert. Elektrische Autos, ja. Umweltfreundlichere Bauprojekte, ja. Einige Veränderungen im Konsum- und Produktionsverhalten, vermutlich.

Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler entgegnete, sie könne mit Kurz‘ Aussage nichts anfangen. Das liegt vermutlich daran, dass Kurz mit den Insider-Begriffen der Rechten spielt. Wenn man auf Telegram oder auf Twitter nach dem Hashtag „#KlimaLockdown“ (oder „#ClimateLockdown“) sucht, so zeigt sich schnell, dass Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker und Klimawandelleugner ein Quasi-Monopol auf den Begriff haben. Handelt es sich bei Kurz‘ neuesten Aussagen um ein politisches Manöver, das ihm zusätzliche Sympathiepunkte bei rechten Zielgruppen bringen soll? Oder ist der Kanzler einfach nur ahnungslos?

„Ich bin auf der Seite der Bevölkerung“ versicherte Kurz beinahe im selben Atemzug. Und auch hier war er nur einen Schritt weit entfernt von „Wir sind das Volk“, der viel verwendeten Parole der Rechtspopulisten und Coronaleugner. Die Effekte auf wirtschaftlich schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen in faire Klimapolitik miteinzukalkulieren ist eine Sache. Doch zu leugnen, dass unser Verhalten für zukünftige Generationen eine Rolle spielen wird ist entweder ignorant oder berechnend.

Kurz ist nicht der erste Politiker, der die hyper-polarisierte Klimawandeldebatte ausnutzt, um eine Wählerschaft am rechten Rand zu mobilisieren. Nicht umsonst haben der ehemalige US-Präsident Donald Trump, Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und führende AfD-Politiker auf Anti-Klimaschutzkampagnen gesetzt.

Eine 2020 erschienene Studie des Oxford Internet Instituts zeigt den engen Zusammenhang zwischen Unterstützung von rechtspopulistischen Parteien und Klimawandelskeptizismus.

In Europa steigen nun auch konservative Politiker in die Klimadebatte ein, die das Thema bis dato eher geschickt gemieden haben. Das EU-Klimapaket macht eine Positionierung notwendig, vor allem in Deutschland – nach den verheerenden Überflutungen und vor der anstehenden Bundestagswahl. So äußerte sich beispielsweise CDU-Chef Armin Laschet skeptisch zu den vorgesehenen EU-Klimaschutzmaßnahmen. Er finde nicht, dass die Politik ein Datum für den Kohleausstieg festlegen müsse, das werde sich schon ergeben.

Was sowohl Laschet als auch Kurz übersehen: die negativen Externalitäten der Umweltzerstörung sind ein klassisches Beispiel für Marktversagen. Sie lassen sich nicht so einfach von der unsichtbaren Hand des Marktes regeln. Innovation und neue Technologien können einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten, doch ohne staatliche Intervention und aktive Klimapolitik wird es nicht rechtzeitig zu einer „Green Transition“ kommen.

Die Wissenschaftler sind sich einig: für „Business as usual“ läuft uns die Zeit davon. Wenn Politiker auf Prokastrination und Marktlösungen setzen, dann sind sie schlecht informiert.

Egal ob Kurz‘ Aussagen und Wortwahl auf Ignoranz gegenüber den Wissenschaften oder politisches Kalkül zurückzuführen sind – sie gießen reichlich Öl ins Lagerfeuer der Klimakrisenleugner.

Als ich vor einigen Wochen den berühmten US-amerikanischen Klimawandelskeptiker Marc Morano für mein nächstes Buch interviewte, wetterte auch dieser gegen die „liberal-grünen Politiker“, die angeblich einen „Klima-Lockdown“ einführen wollen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schnell Opposition zu klimafreundlicher Politik in Hass gegen Klimaaktivisten umschwenken kann. Es gab zahlreiche hochkoordinierte Hassstürme und Falschmeldungskampagnen gegen all jene, die mehr proaktive Klimapolitik von Regierungen verlangen.

Die schwedische Umweltaktivistin und Gründerin der Jugendbewegung #FridaysForFuture Greta Thunberg war wiederholt Opfer von international organisierten Trollkampagnen.

Es gibt ganze Online-Datenbanken mit Memes, die sich über ihr Asperger-Syndrom lustig machen und sie mit absurden Verschwörungstheorien in Zusammenhang bringen.

Auch Politikerinnen und Politiker der Grünen finden sich regelmäßig im Zentrum solcher Hasskampagnen. Laut einer aktuellen Analyse des Spiegel sind die Grünen in Deutschland mit großem Abstand am häufigsten von Online-Angriffen von rechts betroffen.

Die Grüne Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl 2021, Annalena Baerbock, wurde dreimal so oft attackiert wie Unionskandidat Laschet.

Unsere Recherchen beim Institut für Strategischen Dialog zeigten, dass viele der gezielten Versuche, Umweltschutz-Influencer zu diskreditieren auf größere Organisationen wie Heartland Institute und CFACT (Committee for A Constructive Tomorrow) zurückgeführt werden können. Diese Stiftungen haben historische Verbindung zur Öl- und Gasindustrie und arbeiten seit Jahren an der Unterminierung der Klimawissenschaften. Man stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob Kurz etwa auch Interessensgemeinsamkeiten mit diesen Industrien hat.

Selbstverständlich wird der Kampf gegen die Klimakrise mit Veränderungen in unserem Verhalten einhergehen müssen.

Der Vorteil ist: jetzt können wir uns noch frei dazu entscheiden, diese Schritte mitzugestalten und selbstverantwortlich umzusetzen. Je weiter die Klimakrise fortschreitet, umso mehr wird uns die Natur selbst Veränderungen aufzwängen. Wenn Stürme unsere Stromnetze lahmlegen, Überflutungen unsere Häuser mitnehmen und Waldbrände ganze Straßen und Flugrouten zum Stocken bringen, dann wird es tatsächlich eine Art „Klima-Lockdown“ durch Naturgewalten geben.

Es ist zwar nett, dass sich Bundeskanzler Sebastian Kurz plötzlich inhaltlich mit der Klimakrise befasst, doch verstanden hat er sie scheinbar noch nicht. Stattdessen repliziert er lieber die Begriffe und Unterstellungen, die in extremistischen Kreisen kursieren. Ziel von öffentlichen Vertretern sollte es sein, transparente und faktenbasierte Politik zu machen – auch dann, wenn der Ausblick politisch nicht attraktiv ist und wenig Euphorie bei der Wählerschaft auslöst.

Idealerweise sollte ein Regierungschef strategisch wertvolle und nachhaltige Vorschläge machen, die auch die Interessen der nächsten Generationen berücksichtigen.

Kurz hingegen zeigt sich leider besonders kurzsichtig und scheinbar nur auf die nächste Wahl bedacht.


FALTER-Kolumnistin Julia Ebner ist Publizistin und Wissenschafterin. (Foto: Suhrkamp Verlag)


Julia Ebner ist Publizistin, Wissenschafterin und Politikberaterin. Für ihre Bücher Wut und Radikalisierungsmaschinen hatte sich Ebner mehrere Monate undercover unter Rechtsradikale, darunter Gruppen der Identitären Bewegung und der English Defence League, wie auch radikale Islamisten, Antifeministen und Verschwörungstheoretiker begeben. Sie arbeitet an ihrem Doktorat zum Thema Online-Extremismus an der Oxford University und schreibt neben dem FALTER regelmäßig für den Guardian und den Independent.

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