Von der Lügenpresse zum Mordanschlag

Journalistinnen und Journalisten werden immer häufiger zur Zielscheibe von Hetze und Gewalt. Körperlichen Übergriffe werden im Netz unter dem Hashtag #lügenpresse angespornt und gelobt.

Julia Ebner
vom 12.07.2021

Foto: Suhrkamp Verlag

Sie schossen ihm in den Kopf: In Amsterdam ist der berühmte Kriminal-Reporter Peter de Vries mitten auf der Straße am 6. Juli Opfer eines Anschlags geworden. Sein Zustand ist immer noch kritisch. In der georgischen Hauptstadt Tbilisi verletzten anti-LGBTQ Protestiere etwa zwanzig Journalisten und in London wurde ein BBC-Journalist bei einer Anti-Lockdown-Demo angegriffen.

Hass und Gewalt gegen Pressevertreter haben im vergangenen Jahr laut Journalistenverbänden in Europa stark zugenommen, auch in Österreich und Deutschland.

Bei Demonstrationen in Wien attackierten sogenannte Querdenker Journalisten sowohl verbal als auch körperlich.

Die Kamerateams des ORF wurden beschimpft, bespuckt, verhöhnt und bedroht. In Leipzig schlugen und traten im November drei Protestierende bei einer Anti-Lockdown Demo auf einen Journalisten ein und verletzten ihn dabei am Kopf. Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) verzeichnete 2020 mehr Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland denn je zuvor.

Die BBC hat Ende Juni verkündet, dass sie ihre Sicherheitsvorkehrungen erhöhen wird, nachdem zahlreiche ihrer Angestellten zur Zielscheibe von Todesdrohungen wurden.

Auch der ORF hat Maßnahmen zum Schutz der eigenen Reporterinnen und Reporter angekündigt.

Wundern sollte uns die zunehmende Gewalt gegen Medienvertreter nicht. In den sozialen Netzwerken findet man unter dem Hashtag #Lügenpresse ein Arsenal an anti-journalistische Hassposts. Propaganda gegen Qualitätsjournalismus wird oft mit antisemitischen Erzählungen verknüpft. Man unterstellt Medien beispielsweise, von den „globalen jüdischen Eliten“ kontrolliert zu werden: „Diese Vollidioten von der Lügenpresse, die glauben doch echt sie können uns an der Nase herumführen. Wir nennen euch Krummnasen,“ liest man etwa in der rechtsextremen Telegram-Gruppe „Gerechtigkeit für das Vaterland“ mit fast 18,000 Mitgliedern.

Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten und linksradikale Systemgegner sind besonders aktiv in der Verbreitung von anti-journalistischem Hass. „Die Menschen haben die Journalistenarschlöcher satt. Der ORF ist voll davon und ihr seid um nichts besser,“ postet ein Österreicher. „Mit normaler kritischer Presse gäbe es auch keine Pandemie, #Lügenpresse,“ schreibt ein anderer. Ein holländischer Nutzer bezeichnet Journalisten der traditionellen Medien als „Propagandisten im Service der globalistischen Maschine“, während ein britischer Nutzer zum Boykott der „Verräter der #Lügenpresse“ aufruft.

„Ich kann es kaum erwarten dass Bürgerwehren damit beginnen, gesichtete Journalisten abzuknallen“, schrieb der rechte Influencer Milo Yiannopoulis bereits 2019 in einer Privat-SMS.

Seither gab es zahlreiche Todeslisten rechtsextremer Bewegungen, die auch Journalistinnen und Journalisten im deutschsprachigen Raum als Top-Zielscheiben anführten.

Ich selbst wurde regelmäßig nach journalistischen Beiträgen zu kontroversen Themen wie Rassismus oder Feminismus online bedroht, erhielt Morddrohungen, sexuelle Drohungen und die absurdesten Unterstellungen. Für die einen war ich MI5 Geheimagentin, für die anderen eine Vertreterin des globalen Judentums, eine Kommunistin, ein Reptilienmensch oder gar eine Al-Qaeda-Dschihadistin.

#Lügenpresse, #fakenews, #Journalunken und #gekaufteJournalisten zählen zu den häufigsten Hashtags in Kampagnen gegen die sogenannten „MSM“ (Mainstream-Medien), die oft von gut organisierten Trollarmeen geplant werden. Ziel ist es einerseits, Journalistinnen und Journalisten von Qualitätsmedien mit Hasskampagnen einzuschüchtern oder gar mundtot zu machen. Anderseits soll Schritt für Schritt das Vertrauen in etablierte Informationsquellen untergraben werden, um die eigenen „alternativen Medien“ glaubwürdiger zu machen. Im deutschsprachigen Raum haben wir es mit einer besonders stark vernetzten rechten Medienlandschaft zu tun: von rechtspopulistischen Plattformen wie Tichys Einblick und Journalistenwatch zu neurechten Formaten wie Cato Magazin und dem Verschwörungstheorie-Medium Compact.

Auch Politiker schüren oft Misstrauen und Wut gegenüber Medienschaffenden, indem sie das Bild der Lügenpresse replizieren. Der ehemalige deutsche Verfassungsschutz-Chef und Kandidat für die Bundestagswahl 2021 Hans-Georg Maaßen unterstellte dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergangene Woche Verbindungen zur linksextremistischen Szene und forderte eine Überprüfung der Journalisten. Auch FPÖ-Politiker sprechen regelmäßig „Systemmedien“, „Rotfunk“ und „Lügenpresse“.

Paradoxerweise gefährden gerade diejenigen die Pressefreiheit am meisten, die ihre radikalen Aussagen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit bringen.

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