„Die Regierungen fürchten sich zu sehr“

Einer der spannendsten Auftritte am Tag 1 der re:publica: Die Wikileaks-Journalistin Sarah Harrison, die auch schon mit Edward Snowden zusammenarbeitete, über die Zukunft des Whistleblowers

INGRID BRODNIG | 06.05.2014

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Sarah Harrison hat Edward Snowden von Hongkong nach Moskau begleitet. Die Wikileaks-Mitarbeiterin verbrachte insgesamt vier Monate mit ihm und stellte sicher, dass seine Stimme auch von Russland aus gehört wird. Weil sie nicht mehr in ihre Heimat zurückreisen kann, lebt sie derzeit in Berlin. Auf der re:publica sprach sie über ihre Arbeit bei der Aufdeckerplattform Wikileaks und die Zukunft von Edward Snowden, auf der Bühne interviewte sie die Journalistin Alexa O’Brien. Hier ein Auszug aus diesem spannenden Interview:

Alexa O’Brien: Ihnen wurde geraten, nicht mehr nach Großbritannien zurückzukehren. Warum können Sie nicht nach Hause zurückkehren?

Sarah Harrison: Großbritannien hat eine besondere Passage in seinen Anti-Terror-Gesetzen, diese heißt „Schedule 7“. Bei Schedule 7 geht es darum, Menschen aufzugreifen, die ins Land einreisen – zum Beispiel auf Flughäfen. Die können dort zur Befragung festgehalten werden. Dafür reicht der leiseste Verdacht, wie das Gerichtsurteil im Fall Miranda zeigte. Die Rechte, die normalerweise gelten, werden einem weggenommen. Man hat nicht das Recht, die Aussage zu verweigern. Beantwortet man Fragen nicht, begeht man ein Verbrechen. Da ich in zwei Fälle involviert bin, die für die USA und Großbritannien eine bedeutende Rolle spielen, kamen meine Rechtsanwälte zum Schluss, dass ich wohl auch nach Schedule 7 festgehalten würde. In so einem Fall würde ich aber zum Schutz meiner Quellen viele Fragen nicht beantworten und mich somit strafbar machen. (…) Deswegen bleibe ich in Deutschland.

Alexa O’Brien: Warum sollte Deutschland oder irgendein anderes Land Edward Snowden Asyl geben?

Sarah Harrison: Das ist eine moralische, politische und natürlich eine rechtliche Frage. Die rechtliche Lage schaut so aus, dass jenen Menschen Asyl gewährt wird, die dies aufgrund ihrer politischen Haltung brauchen oder zuhause rechtlich dafür verfolgt werden. Die Enthüllungen von Edward Snowden waren selbstverständlich ein politischer Akt. Er tat dies, weil die US-Regierung gegen ihre eigene Verfassung verstößt und die eigenen Bürger überwacht. Hinzu kommt, dass er zuhause angeklagt werden würde. Das ist offensichtlich, wenn man sich Fälle wie das Verfahren von Chelsea Manning oder die Verurteilung von Jeremy Hammond ansieht. Aus juristischer Sicht verdient er aufgrund dieser Aspekte Asyl. Ich glaube, dass dies auch aus moralischen und ethischen Gründen der Fall ist, da er zeigte, wie unsere Rechte zerstört und wir von unseren eigenen Regierungen überwacht werden. Es wäre also nur korrekt, wenn ihm andere Staaten dafür Asyl geben. Die interessantere Frage ist also: Warum geben die ihm kein Asyl? Das liegt wohl an der Dominanz der USA. Die Regierungen fürchten sich viel zu sehr, das sehen wir auch in Deutschland. Sie fürchten sich viel zu sehr, als dass sie es wagen würden, für die richtige Sache einzustehen und für die Werte, an die sie eigentlich glauben sollten. Deswegen halten sie sich zurück und er erhält nicht das Asyl, das er verdient hätte.

Frage aus dem Publikum: Was wird Snowden machen, wenn sein temporäres Asyl ausläuft?

Sarah Harrison: Das hängt von seinen Rechtsberatern ab, er hat mehrere Möglichkeiten. Er kann einerseits nochmal um temporäres Asyl in Russland ansuchen, dieses ist für ein Jahr gültig. Anders als das politische Asyl, das viele andere Staaten aussprechen, bietet diese Variante keine Sicherheit für das ganze Leben. Natürlich kann er auch um Asyl in anderen Staaten ansuchen. So wie die Sache derzeit ausschaut, ist meine persönliche Meinung, dass sich andere Staaten nicht stark genug fühlen, um sich hinter ihn zu stellen. So auch Deutschland. Leute, ihr habt zwei Monate, um eure Regierungen auf die richtige Bahn zu bringen.

Danach folgte übrigens tosender Applaus.

Die hier wiedergegebenen Passagen sind eine gekürzte deutsche Übersetzung des Bühnenauftritts von Sarah Harrison. Ein vollständiges Video wird zu späterem Zeitpunkt von der re:publica selbst hochgeladen.