Der Nachtwächter und der Tag

Gelingt es der SPÖ eine historische Blamage in eine Chance zu verwandeln?

Harry Bergmann
am 06.06.2023

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Schon länger verstorben und doch noch aktuell: Der Urheber des Gemäldes "Die Nachtwache", Rembrandt van Rijn

Es gibt viele Sätze, die das morbid-goldene Wienerherz gut beschreiben, aber kaum einer ist so treffend, wie dieser: „Es san scho Nachtwachta am Tag g’sturbn.“ Als ob es eine Rolle spielen würde, ob ein Nachtwachta am Tag, also in seiner Freizeit, oder in der Nacht bei der Arbeit stirbt. Aber so sind sie, die Wiener, wenn es zum Sterben kommt gibt’s kane Würschtl.

Um den Nachtwachta und sein Sterben geht es aber in diesem Satz ohnehin nicht. Es geht darum, dass sich niemand seiner Selbst, seiner Sache, seines Sieges zu sicher sein soll.

 Was macht also einen Nachtwachta, in diesem Sinne, zu einem am Tagg‘sturbenen Nachtwachta? Eine interessante Frage, auf die es leider keine evidenzbasierte Antwort gibt. Ja, es geht um das Scheitern. Aber nein, das Scheitern allein ist es nicht. Es muss schon ein krachendes Scheitern sein. Oder anders: man muss vorher die Goschn schon ziemlich weit aufgerissen haben, damit man nicht einfach nur auf die Goschn fällt, sondern krachend auf die Goschn fällt.

Am vergangenen Samstag, an dem einem so gut wie alles vergangen ist, standen sich in Linz zwei Nachtwachta (ist der Plural von Nachtwachta eigentlich Nachtwachta oder Nachtwachtan oder Nachtwachtern oder gibt es gar keinen Plural, weil ein Nachtwachta meistens allein seinen Dienst macht?) gegenüber. Ein Wachtmasta und ein Bürgermasta. Es ging um den Vorsitz einer einst stolzen Partei. Einst, als diese Partei noch eine Bewegung war. Sogar eine Vorwärtsbewegung.

Es ging wieder einmal um den so gern heraufbeschworenen Richtungsstreit dieser einst stolzen Partei. Diesmal war es aber tatsächlich ein Richtungsstreit. Entweder Neugründung durch Neubegründung oder lähmendes, langsam-quälendes Insolvenzverfahren.

Am Tag g’sturbn ist der eine Nachtwachta ebenso wie der andere. Halt an zwei verschiedenen Tagen und auf höchst unterschiedliche Weise.

Babler ist kein Nachtwachta, der am Samstag eines natürlichen Todes g‘sturben ist. Er hat Selbstmord begangen. Politischen Selbstmord. Natürlich haben die Anderen mitgeholfen, aber sich so weit aus dem Fenster zu lehnen, dass man ihm nur noch einen kleinen Stesser geben musste, das hat er schon ganz allein getan. Keiner beschreibt diesen Selbstmord so wunderbar wie der wunderbare Armin Thurnher (er wird dereinst an meiner Knieoperation schuld sein, weil ich ständig vor seinen Sätzen knie): „Es gibt eine gute Methode, die Dummheit aus dem Wald zu locken. Stellen Sie sich vor die Bäume und rufen Sie laut: „Ich bin Marxist!“

Den Marxismus als mögliches Gesellschaftsmodell in den Ring zu werfen, mag zwar den eigenen Jugendillusionen gegenüber aufrichtig sein, ein paar Tage vor einer Kampfabstimmung gegen einen Gegner, der sich nicht gerade zimperlich in der Wahl der Waffen gezeigt hat, ist das unverantwortlich naiv. Kaum war das M-Wort herausgebablert, schon kam die Dummheit aus dem Wald und Babler war für alle Misse- und Greueltaten, die jemals im Namen des Kommunismus begangen worden sind, mitverantwortlich und gleich auch schuldig gesprochen.

Es war Selbstmord mit Anlauf. Zuerst ein Selbstmordversuch bei Corinna Milborn, als das M-Wort zum ersten Mal die Lippen verließ und kurz danach, bei Armin Wolf, der endgültige Sprung aus dem Fenster, als Babler versuchte das M-Wort in ein Irgendwas-Wort umzulavieren. Dazu noch ein saublöder EU-Sager und fertig war die schöne Leich‘.  

Aber auch Selbstmörder können nach 48 Stunden auferstehen. Das ist seit heute Nachmittag nicht Glaube, sondern Wissen, das keiner glauben kann. Der Auferstandene am allerwenigsten.

Und der andere Nachtwachta, der raue Geselle aus den pannonischen Niederungen? Er wollte in diesem Kampf unbedingt Vorletzter werden und jetzt hat es doch nur zum zweiten Platz gereicht. Lehre daraus gibt es entweder keine, oder gleich zwei. Erstens: „hintenrum“ ist auf Google Maps immer ein Umweg, in der Politik kann es auch eine Abkürzung sein, man darf sich nur beim Verzählen nicht erwischen lassen. Zweiten: eine Intrige sollte unbedingt bekämpft werden, so lange sie noch klein und zerbrechlich ist, sonst könnte sie nicht nur die Teile, sondern das Ganze zerstören. Vor allem wenn das Ganze SPÖ heißt und ohnehin schon am Zahnfleisch kriecht.

Mir könnte es ja völlig wurscht sein, ob Doskozil oder Babler gewonnen hat. Weder bin ich SPÖ-Mitglied, noch habe ich in letzter Zeit die SPÖ gewählt. Mir ist es aber nicht wurscht.

Die SPÖ ist immer noch die stärkste Kraft – oder sollte es schleunigst wieder werden – wenn es darum geht, in diesem Land nicht untätig alles nach rechts rutschen zu lassen. Was soll bitte einer oder eine wählen, der oder die respektvoll mittelinks steht? Mein lieber Freund Hannes Sonnberger, der genau dort steht, beklagte in einem Blog, den er unmittelbar nach dem Sieg von Doskozil geschrieben hat, dass er im politischen Niemandsland gelandet ist, denn eine KPÖ könne er nie wählen, so KPÖ Neu kann sie gar nicht sein. Und so wie ihm, geht es nicht wenigen.

Wenn wir schon vom Wählen reden: Wäre es nicht schön, wenn man SPÖ oder auch ÖVP wählen könnte, die zumindest selbst wieder wissen, wofür sie stehen, zu stehen haben? Nur so kann man nämlich die FPÖ bekämpfen und nicht mit leeren Versprechungen, mit wem man ja und mit wem man nicht koalieren würde, bevor man genug Stimmen gewonnen hat, um überhaupt mit jemanden zu koalieren.

Vielleicht wird die SPÖ unter Babler ein paar genesende Schritte zurück machen müssen, bevor sie wieder in eine Vorwärtsbewegung kommt. Hätte er am Samstag gewonnen, was er ja eigentlich hat, wäre das natürlich ein kürzerer Weg geworden.

Trotzdem: Am Samstag dachte ich, dass die SPÖ selbst der Nachtwachta ist der am Tag g‘sturbn ist, heute am Montag sehe ich zwar eine Riesen-Riesen-Riesenblamage, aber irgendwie auch eine Chance.

Meint

Ihr Harry Bergmann

Haben Sie heute am Nachmittag die ORF-Sondersendung mit Kommentaren und Ansagen von Herrn Bürger gesehen? Das war der eigentliche Skandal, nicht der „technische Fehler“ (!) mit der Excel-Liste.  

 


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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