Dante to go

Über die Höllenfahrt Dantes und der österreichischen Innenpolitik

Harry Bergmann
am 10.05.2023

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Der vierte Kreis der Hölle: Bestraft werden hier die Geizigen, die Habgierigen und die Verschwender | Priamo della Quercia |  Gemeinfrei

Der Dante ist ja kein Trottel, der überlegt sich schon was, bevor er es niederschreibt. Und wenn er meint “Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren”, dann ist das zwar nicht besonders aufmunternd, aber doch erstaunlich hellseherisch.

Der gute Mann konnte im 14. Jahrhundert ja wohl kaum etwas über die SPÖ-Mitgliederbefragung wissen, und auch nicht, dass wir uns am Vorabend einer blau-schwarzen Regierung befinden. Und vor allem, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat.

“Was um Himmels (!) Willen hat die österreichische Innenpolitik mit der Hölle zu tun?”, werden Sie jetzt vielleicht denken.

Sie haben ja recht, aber was soll ich machen, wenn mir immer so blödsinnige Vergleiche einfallen?

Diesmal vielleicht sogar weniger blödsinnig als sonst.

Dante sieht die Hölle wie einen Trichter, je weiter man hinunterkommt, desto enger und beengender wird es. Neun konzentrische, immer kleiner werdende Kreise muss man durchlaufen oder besser qualvoll durchleiden, bis man schlussendlich in der sprichwörtlich dampfenden – na, Sie wissen schon – steckt.

Der Höllenritt der letzten Jahre durch die Abgründe der Untätigkeit und Unfähigkeit der alpenländischen Politik lässt sich ebenfalls in Kreisen beschreiben.

Der erste Kreis – Dante bezeichnet diesen Kreis als “Vorhof der Hölle” – ist das Mitleiden mit der Selbstzerstörung der SPÖ, der einzig möglichen Alternative zum derzeitigen Koalitions-Schlamassel.

Ohne die SPÖ geht gar nichts, aber mit d-i-e-s-e-r SPÖ geht erst recht nichts. Der letzte Kreis wird dann nächstes Jahr die demokratische Wahl einer antidemokratischen, blau-schwarzen Regierung sein. Je blauer, desto antidemokratischer.

Aber schön der Reihe nach:

Ich bin kein SPÖ-Mitglied, ich wähle schon seit Jahren nicht mehr SPÖ, aber wäre ich ein SPÖ-Mitglied, würde ich Andi Babler wählen, denn das würde mich wieder daran erinnern, warum ich irgendwann einmal der SPÖ beigetreten bin.

Aber da ich kein SPÖ-Mitglied bin, kann es mir eigentlich Powidl sein, wer die SPÖ anführt. Außer wenn es um den Ausgang der nächsten Nationalratswahl geht, dann kann es mir natürlich nicht Powidl sein, wer die SPÖ anführt.

Wäre ich, als Nicht-SPÖ-Mitglied, stimmberechtigt, würde ich sofort den vierten Kandidaten auf dem Stimmzettel wählen. Er heißt “Keiner der Genannten”.

Ich würde mich zwar wundern, dass es nicht auch eine Kandidatin “Keine der Genannten” gibt, aber besser “Keiner der Genannten” als einen oder eine der Genannten.

Rendi-Wagner würde ich nicht wählen. Nicht weil sie es nicht kann, was sie die letzten Jahre mehr als ausreichend unter Beweis gestellt hat, sondern weil es eh nichts bringen würde.

Kurz vor der Nationalratswahl würde sie ausgewechselt werden und dann täte sie mir leid. Und sie tut mir eh schon viel zu lange leid.

Dosko würde ich nicht wählen, weil ich ihm – zu Recht oder zu Unrecht – ein diabolisches (Dante!) Vergnügen an der politischen Intrige nicht absprechen könnte und auch weil es ja schon genug Steigbügelhalter für die FPÖ gibt.

Andi Babler würde ich nicht wählen, weil ich – wie gesagt – kein SPÖ-Mitglied bin.

In Herbert Grönemeyers Song “Mensch” gibt es eine Textpassage, die lautet “es tut gleichmäßig weh”. Ob das jetzt unbedingt etwas mit Dantes Inferno zu tun hat, kann ich nicht sagen, aber das fällt mir halt zur SPÖ im Jahre 2023 ein.

Und noch etwas fällt mir ein: Solange sich die SPÖ in diesem Zustand befindet – und nichts deutet darauf hin, dass das bald vorbei sein wird – brauchen wir uns nicht wundern, dass die nächste Koalition im Bund gar nicht anders aussehen kann, wie sie in Niederösterreich oder Salzburg aussieht.

Um Sie nicht weiter mit irgendwelchen Reisen durch die Hölle zu quälen, machen wir doch einfach einen schnellen Dante to go, überspringen Kreis zwei bis Kreis acht und kommen gleich zum letzten Kreis, dem neunten. Bei Dante heißt dieser Kreis “Verrat”.

In der österreichischen Politik ist das allerdings nicht der letzte Kreis, weil der Verrat schon längst stattgefunden hat: der Verrat an den Wählern, der Verrat an der Parteibasis, der Verrat an der Justiz, der Verrat an den guten Vorsätzen, der Verrat an dem Parteistatut, der Verrat am Koalitionspartner, der Verrat an denen, die man angeblich nicht zurücklassen wird, der Verrat am Gutbürgerlichen, der Verrat am kleinen Mann und der kleinen Frau, der Verrat am eigenen Parteistatut, der Verrat an den Vorgängern und Nachfolgern, der Verrat an der nächsten Generation, der Verrat an der Wissenschaft, der Verrat am Krankenpersonal, der Verrat an der Verfassung, der Verrat an den Opfern des Holocaust, der Verrat an denen, die glauben, eine neue Heimat gefunden zu haben, der Verrat am Geiste der Neutralität, der Verrat an Europa, der Verrat an der Idee, dass es den Kindern einmal besser gehen soll, der Verrat an der Natur, der Verrat am Klima, der Verrat an den Schwächsten und Ärmsten, der Verrat am sogenannten Parteifreund, der Verrat an den Wahlversprechungen, der Verrat am Hausverstand der Bevölkerung, der Verrat am besseren Wissen, der Verrat an der Demokratie, der Verrat am Verrat, der einem anderen Verrat Platz machen muss.

Nein, der letzte Kreis der österreichischen Politik ist eine blau-schwarze Regierung.

Es gibt viele Menschen, die blau-schwarz haben wollen. Sie wollen eigentlich schwarz-blau, aber sie werden blau-schwarz bekommen. Vielleicht sind das mehr Menschen als diejenigen, die diese Koalition aus tiefstem Herzen ablehnen.

Man erklärt mir, dass ich das als Demokrat zur Kenntnis nehmen muss. Dass ich es akzeptieren muss.

Nein, das kann ich nicht. Nein, das mach’ ich nicht.

Ihr

Harry Bergmann


Ich merke gerade, dass ich Ihnen etwas ganz Entscheidendes vorenthalten habe. Es gibt bei Dante eigentlich zehn Kreise, denn vor der “Vorhölle” gibt es noch einen Raum: die “Vorhalle des Sinnlosen”. Diesen Raum sollte man bei allen politischen Betrachtungen miteinbeziehen.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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