Die Sonntagsredner

Was wären Wahlsonntage nur ohne die ORF-Wahlsondersendungen? Ein (fast aufrichtiger) Lobgesang von Harry Bergman

Harry Bergmann
am 28.04.2023

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Immer Stimmung wie im Bierzelt mit den ORF-Wahlsondersendungen | Foto: Jaime Lopes

Andere mögen sich am Sonntag auf den „Tatort“ freuen, ich freue mich auf die ORF-Sondersendung nach einer geschlagenen Wahlschlacht. Ich wäre sogar bereit, meine Haushaltsabgabe zu verdoppeln – nein, natürlich nicht! – wenn mir dieses Vergnügen in viel kürzeren Intervallen gegönnt wäre.

Ich sehe natürlich ein, dass es nicht so viele Wahlen, wie Morde in Wien, Hamburg, Leipzig oder Berlin geben kann, aber wer, wenn nicht der konkurrenzlos mächtige ORF, der durch das neue Gesetz noch viel konkurrenzloser werden wird, sollte das möglich machen können.

Ich muss allerdings gleich ein Geständnis daran anschließen: es geht mir gar nicht so sehr um das demokratische Recht der Wahl, auch nicht um die von allen mit Spannung erwartete, erste Hochrechnung, die einen ziemlich präzisen Ausblick auf die Machtverteilung für die nächsten Jahre gibt, nein, ich höre einfach so gern den klugen Parteifunktionären oder den vor die laufende Kamera gestoßenen Vertretungen dieser klugen Parteifunktionäre zu, wenn sie mir erklären, warum ich gar nicht anders hätte wählen können, als ich gewählt habe.

Ich lerne so viel und ich unterhalte mich auf allerhöchstem Niveau dabei. So soll Staatsbürgerkunde, so soll Fernsehen sein, und das für schlappe 15,30 Euro im Monat. Ich weiß gar nicht, was alle gegen den ORF haben?

Wenn gerade nichts im ORF-Programm läuft, was mich wirklich interessiert – also fast nie – lasse ich einfach so eine Wahl-Sondersendung vor meinem geistigen Auge ablaufen. Das sollten Sie unbedingt auch einmal probieren. Sehr interessant.

Moderator: „Wir schalten als erstes in die große Mehrzweckhalle, die von den Pechschwarz-Türkis-Gestreiften zum Mehrzweck einer großen Siegesfeier angemietet worden ist.“

Reporter 1: „Ich melde mich aus der „Mir-san-Mir“-Halle und entschuldige mich gleich für die schlechte Tonqualität. Es hallt hier furchtbar, denn die Halle ist leer. Außer dem Assistenten des Vizeuntersekretärs und mir ist noch niemand da, obwohl mit einem riesigen Andrang gerechnet wurde, wenn der Erdrutschsieg der Pechschwarz-Türkis-Gestreiften nach der ersten Hochrechnung Gewissheit sein würde.

Herr Vizeuntersekretärassistent, aus dem Erdrutschsieg ist eine krachende Erdnussniederlage geworden. Sie haben, sage und schreibe, 48% Ihrer Wähler verloren. Alle Umfragen haben Ihnen ein fettes Plus prognostiziert und jetzt das. Haben Sie eine Erklärung dafür?“

Vizeuntersekretärassistent: „Zuerst möchte ich mich bei den unzähligen Wählern und Wählerinnen bedanken, die trotz des verleumderischen Dirty Campaignings der politischen Mitbewerber, das Kreuz bei uns, den Pechschwarz-Türkis-Gestreiften gemacht haben. Wir fühlen uns diesem Kreuz, wie auch den vielen anderen Kreuzen, die unsere schöne Heimat zieren, verpflichtet. Regieren heißt Dienen, und ich kann jetzt schon versprechen, dass

die vielen Reformen, die wir erfolgreich angestoßen und weitergestoßen haben, noch lange nicht ausgedient haben. Und auch wir selbst, die Pechschwarz-Türkis-Gestreiften, werden uns in der nächsten Legislaturperiode überall dort andienen, wo es was zu holen gibt. Das sind wir Herrn und Frau Österreicher schuldig, denn wir wollen eine Partei für alle sein, nicht nur für uns selbst.“

Reporter 1: „Entschuldigen Sie, aber Sie reden ja so, als ob das heutige Ergebnis ein Erfolg wäre.“

Vizeuntersekretärassistent: „Sehen Sie, wir sind Demokraten und Demokraten akzeptieren Mehrheiten. Wir haben zwar 48% unserer Wähler verloren, aber eine deutliche Mehrheit, nämlich 52%, haben wir behalten. Und wir nehmen dieses positive Wahlergebnis mit großer Demut und Dankbarkeit an.“

Reporter 1: „Zur höchsten Niederlage in der Parteigeschichte fällt Ihnen nichts anderes ein? Wollen Sie nicht zumindest den einen oder anderen Fehler eingestehen?“

Vizeuntersekretärassistent: „Regierende haben es in diesen Zeiten schwer, auch wenn sie gar nicht regiert haben. Regierende werden abgestraft, abgestraft für all die Versäumnisse der Opposition. Aber ja, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass unser Konzept gegen die Teuerung, sie nämlich völlig zu ignorieren, nicht gegriffen hat. N-o-c-h nicht gegriffen hat, denn wir sind hier, wie in vielen anderen Themenbereichen, unserer Zeit voraus. Sie werden sehen, schon bald werden alle Politiker alles ignorieren und dann behaupten, sie hätten es erfunden.

Ein herzliches ,Grüß Gott!‘ an alle Österreicher und Österreicherinnen und an alle, die blöderweise noch immer in Österreich leben, obwohl sie schon längst woanders sein sollten und ein großes ,Dankeschön‘ für diesen überwältigenden Vertrauensvorschuss.“

Moderator: „Wir schalten jetzt in die Parteizentrale der Rot-Blau-Verfärbten, wo unsere Reporterin den höchstwahrscheinlich vorläufigen Interims-Vorsitzenden vor das Mikrofon gebeten hat.“

Reporterin 2: „Sie haben heute zum zehnten Mal hintereinander deutliche Verluste hinnehmen müssen. Was sagen Sie dazu?“

Vorläufiger Interims-Vorsitzender: „Jetzt ist nicht der Moment über die Anzahl von Niederlagen, die übrigens alle Siege über den politischen Zahn der Zeit waren, zu sprechen. Jetzt ist der Moment ,Danke!‘ zu sagen. Danke den vielen, die gegen den Wählerstrom geschwommen sind und uns wieder ihr unerschütterliches Vertrauen ausgesprochen haben. Danke, Danke, Danke. Wir konnten unsere zentrale Botschaft ,Genug gestritten‘ in der Kern-Zielgruppe platzieren und haben uns damit auch noch Wahlkampfkosten erspart, weil wir das alte Plakat wiederverwenden konnten. Es war schon etwas ausgebleicht, aber wir verwenden das gleich als neue Parteifarbe: ausgebleichtes und verfärbtes Rot-Blau. Also: Alles Gut!“

Reporterin 2: „Moment, Moment, was heißt da ,genug gestritten‘? Sie streiten sich doch seit Monaten in der eigenen Partei. Es gibt nicht einmal einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende. Sie selbst sind doch – entschuldigen Sie bitte, dass ich das so sage – nur ein Lückenbüßer.“

Vorläufiger Interims-Vorsitzender: „Wir sind eine offene Partei. Bei uns kann jeder die Partei verlassen, wann immer er will, auch durch das geschlossene Fenster. Das Alt-Parteien-Modell mit einem Vorsitzenden oder einer Vorsitzenden halten wir für undemokratisch, ja geradezu autokratisch. Wir predigen nicht nur Chancengleichheit, nein, wir leben sie auch.

Reporterin 2: „Sie haben Ihr traditionelles Thema ,Arbeit‘ schon seit langem verlassen. Rennen Ihnen deshalb die Wähler scharenweise davon?“

Vorläufiger Interims-Vorsitzender: „Arbeit ist ein zweischneidiges Schwert. Wer arbeitet, macht Fehler und wir können uns in einer Zeit der multiplen Krisen keine Fehler erlauben.“

Moderator: „Meine sehr verehrten Damen und Herrn, wir wollten jetzt in das Bierzelt der Braun-In-Sich-Gemusterten schalten, aber leider ist unser Reporter 3 unter eine Bierdusche geraten und lallt den gleichen Stumpfsinn wie die dort Anwesenden. Wir haben den Obersturmbrandtrinker in die ZIB4 eingeladen und hoffen auf ein schmissiges Interview. Ich höre aber gerade, dass der Oberste des Zentralorgans der Kummerl-Gewohnten noch eine Wortspende für uns hat.“

Oberster des Zentralorgans: „Der Souverän hat gesprochen. Was er genau gesprochen hat, weiß ich nicht, und warum auch nicht. Aber wie sagte schon Nikita Chruschtschow, als er vor Freude den Schuh auf die Tischplatte knallte: ,Gwunna is gwunna‘“.

Ich will ganz ehrlich zu Ihnen – und natürlich auch zu der Geschäftsleitung des ORF – sein: ich stehe zumeist keine ganze Wahlsondersendung durch. Bei der gefühlt dreißigsten Danksagung habe auch ich verstanden, dass es bei einer Wahl keine Verlierer gibt. Das war schon im Kindergarten so: erster Sieger, zweiter Sieger, dritter Sieger …

Bei meiner inneren Sondersendung ist es haargenau so, ich beende sie an der Stelle, die mir gerade passt.

Was ich hiermit tue,

Ihr Harry Bergmann

Oh, ich habe ganz vergessen, mich bei den mir noch verbliebenen Lesern und Leserinnen zu bedanken.


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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