Ach was, macht Euch doch den ganzen Scheiß selbst!

Harry Bergmann über die Leiden der politischen Führungskräfte dieses Landes

Harry Bergmann
am 21.04.2023

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"Ich halte das alles nicht mehr aus"-Symbolbild

Das hat man davon,

da rackert man sich ab, verrichtet selbstlos seinen Dienst an der Gesellschaft, findet keine ruhige Minute, weil ständig jemand an dem Sessel sägt, den man sich im Schweiße seines Angesichts selbst ersägt hat,

sieht ständig schlechte Fotos von sich in der Zeitung mit Bildunterschriften, die einen mit Leuten in Verbindung bringen, die noch schlechter beleumundet sind als man selbst,

kann niemanden die Hand zum herzlichen Gruß entgegenstrecken, ohne dass gleich spekuliert wird, man hätte diese Hand nur für eine Gegenleistung ohne Leistung aufgehalten,

muss sich über unfähige Vorgänger oder Vorgängerinnen ärgern, oder – wenn sie in Wahrheit viel fähiger waren, als man selbst – sie mit haltlosen Argumenten zu unfähigen Vorgängern und Vorgängerinnen erklären,

hat viel zu selten das Glück, dass der Vorgänger oder die Vorgängerin aus einer anderen Partei ist, die ohnehin an allem schuld ist, was man selbst oder die eigene Partei verbockt hat,

hat noch seltener das Glück, dass der eigene Nachfolger oder die eigene Nachfolgerin eine noch größere Flasche oder Flaschin ist,

wird regelmäßig in aller Herrgottsfrühe zuhause gestört, weil irgendein korrupter Staatsanwalt von irgendeinem korrupten Richter die korrupte Bewilligung zu einer korrupten Hausdurchsuchung erpresst hat, und dann auch noch Dinge findet, die man selbst seit Monaten erfolglos gesucht hat,

kann sich nicht einmal zur Wehr setzen, wenn Journalisten Informationen aus Akten zugespielt bekommen, die ungeheuerliche Lügen über einen beinhalten, und diese Gfrastsackln, diese Lügenbarone und Lügenbaronessen, also die Journalisten, darüber auch noch berichten,

kann man sich aber im Untersuchungsausschuss nicht an jedes kleine, unwichtige Detail, das Jahre zurückliegt, erinnern, wird man von den gleichen Gfrastsackln sofort als Lügner abgestempelt,

freut man sich, dass einem diese Schreibstubenserienkiller, diese Tintentanten, endlich einmal hinaufgeschrieben haben, kann man sicher sein, dass sie einen schon am nächsten Tag hinunterschreiben und einem diese Scheiß-Unschuldsvermutung anhängen,

muss sich zu allem Überdruss von einem Obergfrastsackl, so cirka um zehn Uhr am Abend, also zu einer Zeit, zu der man schon längst am Stammtisch schlechte Männerwitze erzählen könnte, fragen lassen, ob man an der richtigen Stelle sitzt, ob es nicht Bessere gäbe oder warum man glaubt, besser als der oder die zu sein, von dem oder der alle sagen, dass er oder sie eigentlich viel besser sei,

hat kaum ein freies Wochenende, wie all die Erbärmlinge, die man auch noch ehrerbietig Wähler nennen muss und die bei den Sonntagsfragen immer falsche Angaben machen und man dann nicht einmal genau weiß, wie man die nächste Umfrage türken soll,

muss rechtfertigen, dass irgendein Hallawachl, den man in seinem Leben noch nie gesehen hat, Inserate bei einschlägigen Medien geschaltet hat, Inserate, die angeblich einen auf Wahlkampf machen, obwohl gar keine Wahl stattfindet, und die versehentlich mit Steuergeld finanziert wurden,

fördert man die Kultur des Kulturlandes Österreich, indem man Gegengeschäfte mit g’stopften Firmen macht, egal womit die ihre Taschen vollgestopft haben, ist es nicht gut, will man einen schönen, goldenen Flügel zur Zierde des Parlaments selbst ankaufen, ist es auch nicht gut,

versucht man private Freundschaften zu pflegen, indem man schaut, dass alle Freunde im gleichen Haus ein schönes Büro haben, damit man sich täglich einen schönen, guten, sonnigen Morgen wünschen kann, dann wird gleich gemunkelt, dass man das gleiche Böse im Schilde führt, das man schon einmal im Schilde geführt hat,

ist man blöderweise in einer Partei, die ständig einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende sucht, statt den Sinn ihrer politischen Tätigkeit zu suchen, kann man sich plötzlich neben einer Giraffe auf einer Liste wiederfinden und sollte man dann auch noch die Frechheit besitzen, sich Gedanken zu machen, was Sozialdemokratie in unserer heutigen Zeit bedeutet, kann man von Glück reden, wenn man nicht ein Parteiausschluss-Verfahren am Hals hat,

ist man von Blut und Boden und Vaterland und schönen Liedern beseelt, darf man zwar vor Ausländern und Juden und auch vor ausländischen Juden warnen, aber dann doch nicht alles sagen, was man sich so über sie denkt,

glaubt man daran, dass Arbeit frei macht, darf man das ebenfalls nicht so sagen,

schützt einem die reine Erbmasse – auch ohne Impfung – vor Viren aller Art, dann sollte man dennoch nicht davon sprechen, dass ein aufrechtes, gesundes Wesen allemal besser ist als ein aufrechtes Gesundheitswesen, weil man sonst nämlich gleich als wissenschaftsfeindlicher Schwurbler und Verschwörungstheoretiker hingestellt wird,

sitzt man dann endlich in der Regierung, wenn schon nicht selbst, dann wenigstens die eigene Partei, muss man sich mit Koalitionspartnern herumschlagen, die in ihrer Jugend alle vegane, eingerauchte Latzhosenträger waren und darf nicht einmal laut sagen, dass der ganze Klimawandelschas nix anderes als nur vorübergehend schlechtes Wetter ist,

ist man selber so eine, die in ihrer Jugend angeblich eine vegane, eingerauchte Latzhosenträgerin war, kann man noch so gut sein, wird man doch immer wieder gern auf die versiffte Latzhose reduziert,

und sollte man es am Ende einer verdienstvollen Karriere zum Bundeskanzler geschafft haben, was ohnehin nur passieren kann, wenn Vorgänger in hohem Bogen herausgeschmissen worden sind oder der übliche, hektische Rundruf, wer es machen könnte, nur noch Sinnbefreitere als einen selbst ergeben hat, dann ist man endlich dort gelandet, wo jeder – wirklich jeder – sieht, dass man es einfach nicht kann.

Ach was, macht Euch doch den ganzen Scheiß selbst!

Ich habe mir das jetzt alles in Ruhe durchgelesen und mit aller mir gegebenen Empathie durchgedacht und komme zur schmerzvollen Erkenntnis, dass ich mich für alle meine vorangegangenen Kolumnen aufrichtig entschuldigen muss. Für alle.

Ihr

Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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