Exodus Schmecksodus

Von Sobotkas goldenem Flügel bis zur Rauferei an der Spitze der Sozialdemokratie: Österreichs Politlandschaft rutscht immer mehr ins Operettenhafte ab, meint Ihr von Exodus zu Exodus gleitender Kolumnist Harry Bergmann.

Harry Bergmann
am 14.04.2023

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Auch Exodus, aber weniger wuchtig: Harry Bergmanns Rückkehr (?) nach Wien | Abbildung: Ivan Aivazovsky, Passage through the Red Sea (1891) Gemeinfrei

Gestern ist das Pessach-Fest zu Ende gegangen und schon sitze ich wieder im Flugzeug auf dem Weg von Tel Aviv nach Wien. Nicht ganz so weltbewegend wie der Exodus aus Ägypten, aber immerhin auch nicht nix.

Was lasse ich zurück, außer einer Woche Überlebenstraining beim Mazzes-Essen, viel Sonnenschein und meine israelischen Freunde, deren Optimismus und Humor unter den gegebenen Umständen unendlich zu sein scheint?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Nachdenklichmachendes lasse ich zurück.

Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft. Eine mehrfach gespaltene Gesellschaft. Juden gegen Araber. Säkulare gegen Orthodoxe. Weltweit führendes High-Tech gegen mittelalterlichen Rückschritt. Links gegen rechts, wobei „links“ eigentlich nur mehr als Etikettierung der Rechten für alles, was ihnen nicht rechts genug ist, existiert. Einwanderer gegen gerade erst Eingewanderte. Westen gegen Orient. Toleranz gegen Rassismus. Friedensaktivisten gegen Siedler. Einstaatenlösung gegen Zweistaatenlösung gegen Gar-keine-Staatenlösung.

Höchstwahrscheinlich habe ich jetzt sogar ein paar Gräben vergessen.

Attentate und immer wieder Attentate. Zuletzt in Tel Aviv auf der beliebten Meerespromenade. Diesmal ein Toter. Das nächste Mal vielleicht zwei Tote, oder drei Tote. Vielleicht Kinder. Ein Dutzend Verletzte, oder zwei Dutzend Verletzte. Je höher die Zahlen, desto mehr verlieren sie an konkreter Bedeutung. Wie kann eine Gesellschaft damit leben, ohne völlig neurotisch zu werden? Also wird sie neurotisch. Aber sie lebt und sie liebt und sie lacht. Noch hat der Terror nicht gewonnen. Ich hoffe, er wird es nie.

Und zu allem Überdruss auch noch Rassisten an der Macht. Natürlich nicht nur Rassisten – wie es ein großer Teil der Welt nach dem „Haltet den Dieb!“-Prinzip behauptet – aber eindeutig zu viele. Diese Koalition wird nicht halten, so wie die Demonstrationen gegen diese Koalition nicht aufhören werden. Schon bröckelt es hörbar. Der entlassene Verteidigungsminister ist wieder im Amt. Die sogenannte Justiz-Reform ist offiziell nur verschoben, aber es wird sie, wenn überhaupt, nur in abgemilderter, abgemildertster Form geben. Sage ich einmal so. Nicht nur der Widerstand auf der Straße, nein, auch der politische Widerstand wird stärker. „Majestätsbeleidigung“ ist wieder erlaubt. Der Tel Aviver Bürgermeister sagte einen Tag nach dem Attentat: „I hope the Prime Minister will return to himself and take care of what he promised to: personal safety, economy and Iran. And that he’ll get off his crazy attempt to turn Israel into something it is not.“

Aber wer weiß, was noch alles passieren kann, passieren wird, bis wir den endgültigen Exodus dieser Regierung aus allen ihren Ämtern feiern dürfen?

Jetzt ist es aber bei Gott nicht so, dass ich bei meiner Rückkehr nach Österreich aus dem Schneider des Nachdenklichmachenden bin. Im Gegenteil. Da darf man das Weltbewegende, zu dem die Alpenrepublik immer wieder imstande ist, nicht unterschätzen. Nur weil man uns oft eine Operettenrepublik nennt, heißt das noch lange nicht, dass es nicht manchmal große Oper gibt.

Der begnadete Weltbeweger und Musiker, Wolfgang Sobotka, will den Exodus seines goldenen Bösendorfer-Flügels aus dem Parlament auf immer und ewig verhindern. Für schlanke 140.000 Euro will er das gute Stück kaufen. Es ist natürlich nicht s-e-i-n goldener Flügel, aber er tut so, als ob. Er tut gerne so, als ob.

Abgesehen davon, dass es kaum etwas Austro-Operettenhafteres als diesen Bösendorfer-Deal gibt, fragt sich die interessierte Öffentlichkeit – was in diesem Fall ein Widerspruch in sich ist – warum er kein Gegengeschäft macht. Er hat doch einem anderen Warme-Luft-hin-und-her-Beweger, Wolfgang Fellner, vor laufender Kamera das Prinzip des Gegengeschäfts erklärt.

Ich will ihm nicht zu nahe treten – Nähe ist wirklich das Letzte, was mir im Zusammenhang mit seiner Person einfiele – aber ich hätte eine Idee. Er könnte zur Eröffnung jeder Sitzung des nächsten Untersuchungsausschusses – honorarlos natürlich – die Ouvertüre einer Oper klimpern, und wenn diese Sitzungen endlich übertragen werden dürfen, dann wäre der Flügel minutenlang im Bild. Product placement vom Feinsten.

Sonst – glaube ich – habe ich nichts Schwarz-Grünes versäumt, oder?

Nehammer dürfte einen Nacht-und-Nebel-Exodus aus dem Bundeskanzleramt vollzogen haben und in einen Schweigeorden eingetreten sein. Sein Finanzminister hätte es ihm besser gleichtun und sich sein Geschwafel über die Pragmatik einer schwarz-blauen Koalition ersparen sollen. Wenn er das als Vorbote einer schwarz-blauen Koalition im Bund getan hat, dann sollte ihm jemand flüstern, dass das eine blau-schwarze Koalition sein wird.

Die Erfinderin, Förderin und Schirmherrin dieser blau-schwarzen Koalition, ist weder blau noch schwarz, sondern rot. Zumindest war sie einmal rot.

Was bin ich froh, dass ich rechtzeitig zum Exodus der SPÖ aus sich selbst zurückgekommen bin. Da sinkt das Schiff und drei Offiziere balgen sich, wer noch schnell Kapitän werden darf.

Bei dieser Donaudampfschiffskapitänsanwärterrauferei wollten sogar Passagiere – die meisten davon blinde Passagiere – und eine Giraffe aus dem Frachtraum mitmachen. Wenn das nicht große Oper ist, was dann?

Dabei sind die drei Kandidaten gar keine Kandidaten, sondern nur Symbole von Kandidaten. So ähnlich wie die Pfeife von Magritte. Also drei Pfeifen, die gar keine Pfeifen sind, weil sie ja nur das Abbild von Pfeifen sind.

Die leichtgewichtige Pam ist nicht nur dazu da, um zu beweisen, dass man ein Mindestmaß an politischem Gewicht braucht, um nicht ständig herumgeschoben zu werden, nein, sie ist dazu da, um zu verlieren, weil irgendwelche Parteifreunde glauben, damit etwas zu gewinnen. Weiß der Geier was.

Der grobschlächtige Hans-Peter ist nicht nur dazu da, um zu beweisen, dass das Burgenland zu flach ist, um sich dort ewig zu verschanzen, nein, er ist dazu da, um zweifelsfrei zu demonstrieren, dass die politische Intrige und Hinterlist auch nicht mehr das ist, was sie einmal war, nämlich intelligent und raffiniert.

Der treuherzige Andi ist nicht nur dazu da, um zu beweisen, dass in der Politik Taten weniger zählen als Phrasen, nein, er ist dazu da, um als Letzter das Licht abzudrehen, weil die Sozialdemokratie in der Sozialdemokratie ausgesorgt hat.

Aber jetzt bin ich ja da und kann helfen. Nicht beim Wählen, weil ich kein Parteimitglied bin, aber vielleicht beim Auszählen der Stimmen, damit der ganze kafkaeske Prozess nicht so lange dauert, bis die blau-schwarze Koalition von einem dann kettenrauchenden Bundespräsidenten schon angelobt sein wird.

Meint Ihr von Exodus zu Exodus eilender

Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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