Es ist nicht Frieden, aber es ist auch nicht nicht Frieden

Weder ruhen die Waffen, noch gibt es sozialen Frieden und schon gar nicht lebt der Mensch mit der Natur in Frieden.

Harry Bergmann
am 07.03.2023

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Diese etwas verwardackelte Balance – Frieden ist leider oft genug irgendwie verwardackelt – mag für einige Zeit ihre Gültigkeit gehabt haben. Jetzt gilt sie jedenfalls nicht mehr.

Es ist nicht Frieden. Punkt. 

Weder ruhen die Waffen, noch gibt es sozialen Frieden und schon gar nicht lebt der Mensch mit der Natur in Frieden.

Und wie kommt man wieder zu einem Frieden, wenn auch nur zu einem verwardackelten? Sogar über die Beantwortung dieser Frage sind mittlerweile Kriege ausgebrochen. Bisher nur verbale.

„Frieden ist nicht mit ihnen, sondern nur gegen sie möglich“, las ich unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Gemeint war natürlich Russland und seine immer gewaltbereiteren, an der Macht klammernden Eliten. Ich schließe mich dieser Meinung des FAZ-Journalisten an.

Das wird zwar Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer nicht gefallen, aber am Ende dann doch ziemlich wurscht sein. Sie können sich ja schließlich nicht um jede Zwutschkerl-Gegenmeinung kümmern. Ich will beiden Damen nicht absprechen, dass sie ehrlichen Herzens für Frieden sind, aber ich halte mich lieber an einen Satz der legendären israelischen Premierministerin Golda Meir, so sie ihn in dieser oder ähnlicher Form tatsächlich gesagt hat – man kann nämlich auch über die Urheberschaft von Zitaten bereits trefflich Krieg führen: „Du kannst nicht mit jemanden über Frieden verhandeln, der gekommen ist, um dich zu töten.“

„Wieso liest der überhaupt die FAZ?“, könnte ein mir nicht zugeneigter Leser fragen. Die Antwort ist entwaffnend: Ich war in Frankfurt. Und gerne erzähle ich auch, warum. Sie haben mich zwar nicht gebeten, es zu erzählen, aber Sie haben mich auch nicht nicht gebeten. Ich hatte das Vergnügen aus dem Buch „Israel – Was geht mich das an?“ zu lesen und die Ehre – im Anschluss an die Lesung – mit Esther Schapira und Michel Friedmann zu diskutieren. Natürlich ging es nicht eine einzige Minute um das Buch, sondern sofort um die aktuelle Situation in Israel und damit um Frieden, um den sozialen Frieden.

Natürlich ist Israels sozialer Frieden im Moment im Eimer, was sonst? Aber, ich wiederhole das seit Wochen immer und immer wieder, es ist ein Spuk. Furchtbar und beschämend, aber ein Spuk. Demokratien verschwinden nicht so einfach. Ich will nicht sagen, dass es am Weg von einer Demokratie in eine Autokratie nicht einen Kipp-Punkt gibt – einen Point of No Return – der ist aber in Israel nicht erreicht. Er ist nicht erreicht!

Ein Land, das in dreieinhalb Jahren fünf Wahlen gesehen hat, braucht eine sechste oder vielleicht sogar eine siebente Wahl, aber dann ist der Spuk vorbei, und die Extremisten sind wieder dort, wo sie hingehören, an den Rändern der Gesellschaft, weit weg von den Schalthebeln. Und der, der die Extremisten an die Schalthebel gelassen hat, ist dann endlich auch weg.

„In einem Land, in dem Zivilgesellschaft, Medien und Wirtschaft bereit sind, die Demokratie ohne Wenn und Aber zu verteidigen, muss man sich kaum Sorgen machen. Ich bleibe trotz der Regierung und wegen der Menschen optimistisch.“ Das sage nicht ich, sondern Ahmad Mansour. Er ist Israeli mit palästinensischer Herkunft, der in Berlin lebt und sich unter anderem mit Extremismusprävention und psychosozialen Problemen bei muslimischen Migranten beschäftigt. Ich denke, er ist unverdächtig, eine einseitige Sicht auf die Situation zu haben.

Apropos Zivilgesellschaft: jeden Samstagabend gibt es Demonstrationen mit rund 250.000 Teilnehmern. Kommenden Samstag sind es – mit mir – 250.001 Teilnehmer. Vielleicht mache ich nicht den Unterschied, aber vielleicht mache ich auch nicht nicht den Unterschied. Denn jeder Einzelne macht den Unterschied.

Über Russland, Deutschland und Israel zurück nach Österreich:

Das Land, in dem es eine Partei gibt, die vom sozialen Unfrieden profitiert und ihn deshalb auch schürt.

Das Land, in dem es andere Parteien gibt, die sich im dunkelsten Hinterzimmer ihres Parteihirns vorstellen könnten, mit diesen Unfriedenstiftern zu koalieren.

Das Land, in dem es eine führende (besser: führensollende) Partei gibt, die versucht, die Unfriedenstifter zu kopieren und sich wundert, dass die Leute lieber die Original-Unfriedenstifter wählen.

Das Land, in dem es eine kleine Partei gibt, die mit der Partei, die die Unfriedenstifter zu kopieren versucht, in einer Koalition ist, aber eigentlich nicht sein will, aber auch nicht nicht sein will, weil sie Angst hat, dass sie dann gar nichts ist und sie keiner mehr will.

Das Land, in dem es eine Partei gibt, die den Unfrieden gleich in die eigenen vier Wände hineingetragen hat.

Das Land, in dem es dieselbe Partei gibt, die eine Vorsitzende hat, die aber einen Gegenspieler hat, der glaubt, dass er der bessere Vorsitzende sei, es aber nicht sagt, und doch auch nicht nicht sagt.

Das Land, in dem es dieselbe Partei gibt, die nicht gewählt wird, weil die Leute sich denken. „Wie sollen die den Sauhaufen in diesem Land in Ordnung bringen, wenn sie ihren eigenen Sauhaufen nicht in Ordnung bringen können.“

Das Land, in dem es ganz genau diese Partei gibt, die im Grunde genommen ein noch viel größeres Problem hat, weil sie nämlich nicht schwach ist, weil sie zerstritten ist, sondern zerstritten ist, weil sie schwach ist.

Trotzdem bin ich überzeugt, dass Landeshauptmann Kaiser weit unter seinem Wert geschlagen wurde.

Es ist nicht kompliziert, aber es ist auch nicht nicht kompliziert.

Meint,

Ihr Harry Bergmann

 


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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