Der Tagesfeind

Interessiert sich die FPÖ eigentlich für die Probleme des "kleinen Mannes"? Statt die Frage zu beantworten, beschwören die Blauen stets neue Feindbilder herauf.

Harry Bergmann
am 28.02.2023

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Heuer in der Hofburg: Viele Deckel und ein Baumeister | Foto: APA/ Tobias Steinmaurer

Ich schlage vor, dass wir es heute so machen: Ich erinnere mich und Sie an ein Interview, das im Jahre 1988 stattgefunden hat, dann mache ich einen ziemlich großen Sprung in die Gegenwart – inhaltlich ist der Sprung leider gar nicht so groß, sondern nur zeitlich – und lande bei ein paar besonders g’schmackigen Aschermittwochsreden und dem Akademikerball, dann pack ich noch kurz den Baumeister Lugner – nicht am Krawattl, sondern an seinem eleganten, schwarzen Ball-Cape – und versuche zu ergründen, was er als ausgewiesener Nicht-Akademiker am Akademikerball zu suchen hat, und dann bemühe ich mich, das alles mit meinem heutigen Thema zu verbinden, wenn das überhaupt noch notwendig ist und sich nicht ohnehin alles von selbst erklärt. Einverstanden?

Am 25. Februar 1988 gab es eine wirkliche Sternstunde des mit Sternstunden nicht allzu verwöhnten ORF: Peter Rabl und Hans Benedict interviewten Kurt Waldheim, pardon Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim (schade, dass es den Akademikerball erst 25 Jahre später gegeben hat, sonst hätten nämlich der Herr Dr. Waldheim und der Herr Baumeister Lugner gemeinsam dort auftreten können. Aber egal.) Rabl und Benedict gefielen mir deshalb so gut, weil ihnen der Spagat zwischen Achtung vor dem Amt und Verachtung der Person gegenüber gut gelang. Die Verachtung war ihnen zwar anzusehen, aber das gefiel mir eigentlich besonders gut. Aktueller Anlass des Interviews war der gerade erschienene Abschlussbericht der Historikerkommission, die Waldheims Biografie in Grund und Boden rammte.

Waldheim war Waldheim war Waldheim und je länger das Interview andauerte, desto mehr war er Waldheim.

Weder war er schuldig, noch mitschuldig, zumindest „solange nicht bewiesen sei, dass er eigenhändig sechs Juden erwürgt hat“, wie das der damalige ÖVP-Generalsekretär Michael Graff so mitfühlend und frei von jeglichem Antisemitismus formulierte.

Weder wusste er was, noch erinnerte er sich an was. An etwas, das man nicht weiß, kann man sich ja auch nicht erinnern. „Ich frage jetzt Sie, Herr Benedict, ob Sie sich nach 46 Jahren an jede Einzelheit erinnern können?“ Die Einzelheit war zwar fast der gesamte Krieg am Balkan, aber was kann man von einem „jetzt-erst-recht“- gewählten Bundespräsidenten schon erwarten? Und hätte es dann vielleicht doch etwas zum Erinnern gegeben, war er blöderweise gar nicht anwesend. Pech.

Ich könnte jetzt Waldheims Lügen, Verdrehungen und Verdrängungen fortschreiben und fortschreiben, aber ich will das Ihnen und mir ersparen. Nur eines würde ich noch gern erwähnen: die Täter-Opfer-Umkehr.

„Schauen Sie, ich bin ja auch nur ein Mensch“, lamentierte jener Mann, über den Bundeskanzler Sinowatz trocken feststellte: „Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war – nur sein Pferd.“, und während er so lamentierte, bedachte er seine Kritiker und politischen Gegner mit Attributen wie „Menschen, die vor nichts zurückscheuen“ oder „Verleumder, die ihn mit Hass verfolgen“ oder „Lügner und Verfälscher“ oder – die ultimative verbale Keule, die in solchen Tiraden nie fehlen darf  – „Menschen, die im Gegensatz zu jenen stehen, denen es um unsere Heimat und unser gemeinsames Österreich geht.“ Dass er damit den World Jewish Congress oder andere an der Ostküste Ansässigen meinte, ist wohl mehr als eine bloße Vermutung meinerseits.

Warum erzähle ich Ihnen all das so breit? Warum frische ich Ihre und meine Erinnerung auf? Waldheim ist doch tot, lange tot.

Ganz einfach, weil es eine direkte Linie von den Waldheims zu den Waldhäusls gibt.

Ganz einfach, weil ich dutzende Stellen des 35 Jahre alten Interviews nehmen kann, um Ereignisse der jungen und jüngsten Vergangenheit zu beschreiben: Lügen und Verleumdungen und Erinnerungslücken in Untersuchungsausschüssen und Abschlussberichten, die entweder nicht zur Kenntnis genommen oder verdreht werden und wieder Lügen und Täter, die sich als Opfer gerieren, und Opfer, denen weitere Schlingen um den Hals gelegt werden, und Schwache, die nicht nur zurückgelassen, sondern auch verhöhnt werden und wieder Lügen und „die Silbersteins“, die wir hier nicht brauchen und die Fremden, die nicht nur unser schönes Leben stören, sondern uns auch noch erzählen wollen, wie wir zu leben und was wir zu lieben haben und wieder Lügen und Feinde und immer mehr Feinde und täglich ein neuer Feind.

Waldheim, der Begründer der modernen österreichischen Innenpolitik?

Diese Gesinnung hat sogar ihren eigenen Tag, den Aschermittwoch. Und da werden gar lustige Reden gehalten. Da krachen die Krachledernen, da Biegen sich die Balken, da fließt das Bier und die Tränen vor Lachen, da sind die Sager so weit unter der Gürtellinie, dass man Schienbeinschützer braucht, da wird gut gejohlt und schlecht gejiddelt, da wird der Furz zum Schas, da wird gekickelt, haimgebuchnert, landgebauert, rosengekränzt und waldgehäuselt, bis der Arzt kommt. Do samma daham.

Diese Gesinnung hat auch ein eigenes Fest, einen eigenen Ball, den Akademikerball. Und frei nach dem Satz in Shakespeares Macbeth „Fair is foul and foul is fair“ sind die Ballbesucher die Guten und die Demonstranten die Bösen. Und selbstverständlich sind nicht alle Nazis, die in die Hofburg kommen, aber alle haben offensichtlich kein Problem, mit Nazis eine ausgelassene Ballnacht zu genießen. Es können übrigens schon deshalb nicht alle Nazis sein, weil sich inmitten der Burschenschaftler Richard Lugner amüsiert. Was er da zu suchen hat, weiß nur er. Aber er ist schlau, also wird er es schon wissen.

Diese Gesinnung hat natürlich auch eine Prozentzahl. Sagen wir der Einfachheit halber 15 Prozent. Aber hoppla, da reden wir ja erst von der Hälfte der 30 Prozent, die die FPÖ in den letzten Umfragen hat. Wo nimmt Kickl also die anderen 15 Prozent her? Ich komme auf meinen „Tagesfeind“ zurück. Kickl liefert Feindbilder. Er liefert allen, die Probleme haben, die von den Regierenden vergessen oder links liegengelassen (eigentlich rechts liegengelassen) werden, die enttäuscht sind, Feindbilder. Für jedes Problem ein Feind. Jeden Tag ein Problem, jeden Tag ein Feind. Keiner kann das so gut wie er.

Und er hat Hilfe, tatkräftige Hilfe von der ÖVP, die versucht, ihn rechts zu überholen. Da aber rechts von ihm kein Platz ist, stürzt sie krachend ins Leere.

Und die SPÖ? Die SPÖ, die eigentlich für die Schwachen der Gesellschaft zuständig sein sollte, sie hat mit ihrer eigenen Schwäche mehr als genug zu tun.

Jetzt könnte man sich fragen, ob diese 15 Prozent – die täglich mehr werden – tatsächlich glauben, dass Kickl ihre Probleme lösen wird, ja ob er überhaupt an ihren Problemen interessiert ist.

Zu dieser Frage kommt es aber nicht, denn kaum taucht sie auf, zaubert Kickl ein neues Problem aus dem Hut und liefert auch gleich einen neuen Feind dazu.

Not amused,

Ihr Harry Bergmann

 


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

Abonnieren Sie Harry Bergmanns Loge 17:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Loge17 finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!