Die Pfitschi-Inseln

Die österreichische Innenpolitik ist im Grunde nichts anderes als ein umgekehrtes Pfitschigogerl-Spiel. Harry Bergmann über Regeln und Ziel.

Harry Bergmann
am 21.02.2023

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Spieler des FC Blau-Weiß Linz während ihrer Pfitschigogerl-Meisterschaft | Foto: Screenshot YouTube

Da wir uns heute schon zum einhundertsechsundsechzigsten (in Worten: einhundertsechsundsechzigsten) Mal in der Loge 17 treffen und ich also annehmen darf, dass wir uns schon ein wenig nähergekommen sind, erlaube ich mir heute mit einer sehr persönlichen Frage an Sie zu beginnen: „Wie gut sind Sie in Pfitschigogerl?“

Die meisten von Ihnen werden sich nicht mehr erinnern, wann Sie das letzte Mal pfitschigogerlt haben und können die Frage daher gar nicht wahrheitsgemäß beantworten. Andere werden die Frage gar nicht wahrheitsgemäß beantworten wollen und werden behaupten: „Ich war in der Schule der GROPFAZ, größter Pfitschigogerlspieler aller Zeiten“.

Und viele – und Sie brauchen sich jetzt gar nicht genieren, zu dieser Gruppe von Menschen zu gehören – haben keine Ahnung, was Pfitschigogerl überhaupt ist. ChatGPT übrigens auch nicht, was wieder einmal zeigt, dass Künstliche Intelligenz noch lange nicht in die allerheiligste, geistige Schatzkammer des Homo sapiens, auch nicht des Homo ludens und schon gar nicht des Homo Austriacus vorgedrungen ist.

Dieser Gruppe möchte ich mich zuerst zuwenden, denn wenn Sie nicht wissen, was Pfitschigogerl ist, dann können Sie meinen anschließenden Assoziationen und Überlegungen gar nicht folgen. Was für Sie kein Problem darstellen mag, für mich aber sehr wohl.

Wenn Sie nicht zu der Gruppe der Pfitschigogerl-Ahnungslosen gehören, dann überspringen Sie einfach den nächsten Absatz. Wir treffen uns dann weiter unten wieder.

Das Wörterbuch sagt, dass es sich um eine einfache, österreichische Form von Tischfußball handelt. Es schien mir so, als ob in dieser Definition die Begriffe „einfach“ und „österreichisch“ gleichgesetzt waren, aber ich kann mich natürlich auch täuschen und Opfer dieses typisch österreichischen Minderwertigkeitsgefühls sein, das sich beim Thema Fußball, aber auch in anderen Lebensbereichen wie zum Beispiel häufig nach Wahlen – egal ob Bund oder Land – einstellt.

Gespielt wird mit einer kleinen Münze, als Ball, und zwei größeren Münzen, als Spieler. Wenn ich Ihnen jetzt noch erkläre, dass der Name „Pfitschigogerl“ von „pfitschen“ kommt und pfitschen „schnell dahingleiten“ bedeutet, dann haben Sie sicher schon eine gewisse Ahnung, was sich da mit diesen drei Münzen auf der glatten Tischplatte abspielt.

Früher spielte man mit 10 Groschen, als Ball, und zwei Ein-Schillingmünzen, als Spieler, aber auch hier sind die Regierenden nicht imstande, der Teuerung Einhalt zu gebieten und daher wird heutzutage mit 50-Cent- und zwei Zwei-Euro-Münzen gespielt. Man versucht mit der großen Münze, dem Spieler, die kleinere Münze ins gegnerische Tor zu pfitschen, oder sagen wir lieber, etwas zivilisierter, zu schubsen. Der Spieler (große Münze) wird entweder mit einem Lineal oder mit einem Finger auf den Ball (kleine Münze) gepfitscht.

Wie gesagt, ein einfaches Spiel, aber es steckt so viel Weisheit darin. Betrachten wir es gesellschaftspolitisch: die Großen schubsen die Kleinen und sie schubsen sie genau dorthin, wo sie sie haben wollen. Wer von den Großen besser schubst, gewinnt. Aber auch die Großen, also die Spieler selbst, werden geschubst. Im besten Fall – ist aber, ehrlich gesagt, schon lange her – von einer Vision. Einer Vision, wohin sich die Gesellschaft bewegen sollte, zum Besseren bewegen sollte. Das folgt natürlich der einen oder der anderen Ideologie, aber dafür gibt es ja Wahlen.

Im wesentlich häufigeren Fall ist es aber eben nicht die Vision, sondern sind es schlichte Interessen. Machtinteressen, Klientelinteressen oder einfach persönlicher Ehrgeiz, Neid, Missgunst und Intrige. So schauma aus: man pfitschigogerlt oder wird pfitschigogerlt.

Ausgerechnet in Österreich – dem Geburtsland des Pfitschigogerls – werden die Grundregeln dieses Spiels aber derzeit außer Kraft gesetzt. Da schubsen die Kleinen die Großen – die sich willfährig schubsen lassen – werden selbst immer größer und größer, und ehe man es sich versieht, haben sie sich an die Spitze gepfitscht. Österreich, die Pfitschi-Inseln.

In der letzten „profil“-Umfrage hatte die FPÖ 29%, die ÖVP 24%, die SPÖ 24%, die Grünen 10% und die NEOS 10%.

So wird am glatten Parkett der österreichischen Innenpolitik pfitschigogerlt. Weil auf der einen Seite ein Kickl und auf der anderen Seite ein in-den-Seilen-hängender (wäre er ein Boxer, dann wäre er seit Monaten „stehend angezählt“ und würde sehnsüchtig auf den Gong warten) Bundeskanzler und eine unbekannt verzogene SPÖ stehen. Grün und Pink stehen mit ihren je 10 % nur an der Seitenlinie dieses Spiels.

Ich muss das alles nicht verstehen. Ich würde es aber gern verstehen.

Ich muss nicht verstehen, warum Nehammer der beste Mann der Blauen ist, weil er j-e-d-e-s ihrer Themen „vorverkauft“, ohne selbst eine müde Stimme dazuzugewinnen. Im Gegenteil. Ich würde es aber gern verstehen.

Ich muss nicht verstehen, warum die Bundes-SPÖ zwei Wochen vor einer Landtagswahl, die sie haushoch (obwohl das Haus schon höher war) gewinnen wird, nicht aus der Deckung herauskommt, obwohl ich natürlich weiß, dass Kaiser ungestört bleiben will.

Ich würde es aber gern verstehen.

Ich muss nicht verstehen, was aus den Pfitschi-Insulanern geworden ist, dass Kickls 29% noch lange nicht das Ende sind. Denn schließlich wählt er sich ja nicht selbst. So viel Demokrat ist er schon.

Ich würde es aber gern verstehen.

Aber vielleicht ist das alles ohnehin Absicht, denn wenn man die 29% der FPÖ, die sich ja inhaltlich nicht mehr viel von den 24% der ÖVP unterscheiden, zusammenzählt, dann kommen homogene 53% heraus.

Aber ab März wird alles anders. Unser Bundeskanzler, der nur aus Bescheidenheit und aus Rücksicht auf seinen Vor-Vorgänger mit seiner politischen Weitsicht und seiner staatsmännischen Kunst hinter dem Berg gehalten hat, wird eine Rede an die Nation halten und er wird uns die Augen öffnen und wir werden unsere Alpenrepublik im Jahre 2030 sehen. Heißa, heißa, hopsasa wird das eine Rede sein.

Und es werden nicht nur die Alpen rot erglühen, sondern auch meine Wangen und ich werde alles schnell verstehen. Schnell wie ein Pfitschipfeil.

Darauf freut sich schon

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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