
HARRY BERGMANN —
01.02.2023

Er hat geschworen. Also eigentlich hat er nicht geschworen, denn schwören tut man ja auf die Bibel, oder auf das Augenlicht von jemanden, der hoffentlich nie erfährt, dass man sein Augenlicht aufs Spiel gesetzt hat oder man gefährdet sogar sich selbst, indem man seine Hand ins Feuer legt – grässlich, wer kommt eigentlich auf so eine Idee?
Er hat nicht geschworen, er hat gelobt. Er hat gelobt, dass er „die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten wird.“ Wenn man ihn, der in Zukunft getreulich beobachten will, dabei beobachtete, wie er so mir nichts dir nichts dahingelobte, bot sich einem eine interessante Szene. Er musste nämlich zu jemandem aufblicken, zu dem er normalerweise – müsste er nicht gerade geloben und die Worte dieses Anderen ganz genau nachsprechen – höchstwahrscheinlich nicht aufblicken würde. Obwohl der Andere auch irgendwie ein überparteilicher Präsident ist, sein sollte. Irgendwie überparteilich halt.
Der Irgendwie-Überparteiliche, der es sichtlich genoss, auf den Gelobenden herabzublicken – er genießt es generell, auf andere herabzublicken, ob die jetzt gerade geloben oder nicht – machte sich die Sache schon ziemlich leicht, denn er las das, was der Gelobende auswendig nachsprechen musste, schamlos vom Blatt ab. So ist er oft und gern, der Irgendwie-Überparteiliche: schamlos.
Hinter dem Irgendwie-Überparteilichen standen zehn Philosophen, Schriftsteller und Politiker, die – auffallend gekleidet, um nicht zu sagen „leicht geschürzt“ – die Angelobung regungslos zur Kenntnis nahmen. Vielleicht hatte die Regungslosigkeit damit zu tun, dass diese Herrschaften immer dort stehen und schon Ereignisse von ganz anderer geschichtlicher Dimension zu Gesicht bekommen haben oder einfach deshalb, weil sie aus Marmor gehauene Statuen sind, die große Demokraten aus der Antike darstellen.
Wesentlich undemokratischer, aber zugegeben spannender, war, was sich hinter dem Rücken des Gelobenden abspielte. Da saß nämlich Herbert Kickl. Ebenso regungslos wie unsere Antik-Demokraten, aber zumindest aus Fleisch und Blut. Diesem Herbert Kickl hatte der Einen-Tag-vor-der-eigenen-Angelobung-Stehende ausgerichtet, dass er nicht zum Bundeskanzler angelobt werden würde, selbst wenn er als Sieger aus der nächsten Nationalratswahl hervorgehen würde.
Die Regungslosigkeit von Kickl war also rein äußerlich, innerlich brodelte er. Das wiederum spürte der gerade Angelobte – wen lässt es schon kalt, wenn einer hinter dem eigenen Rücken brodelt – und er ging zum Rednerpult. Das hatte einen großen Vorteil und zwei kleine Nachteile. Der Vorteil war, dass er nun die Regungslosigkeit von Kickl deutlich vor Augen hatte (obwohl, was gibt es schon zu sehen, wenn sich einer nicht regt?).
Der eine kleine Nachteil war, dass er die regungslosen griechischen und römischen Super-Demokraten nun im Rücken hatte, was er aber leicht verschmerzen konnte, weil es ja eigentlich eh wurscht ist, ob man Statuen vor oder hinter sich hat und der zweite nicht ganz so kleine Nachteil war, dass der Irgendwie-Überparteiliche noch immer höher platziert war und weiter auf ihn herunterblickte.
Aber sei’s drum, er wollte nicht nur angelobt, sondern auch gelobt werden und zwar für das, was er zu sagen hat. Und er wurde gelobt. Wie auch noch! Geradezu frenetisch. Vor allem dafür, dass er uns allen, die ihm im Saal oder Zuhause vor dem Fernseher zuhörten – oder vielleicht doch nur dem regungslosen Kickl? – das Herzstück der Demokratie erklärte, den Kompromiss.
„Er wird von manchen gerne von vornherein als halb, als lauwarm, als faul bezeichnet. Was bedeutet Kompromiss? Er bedeutet, dass zwei Standpunkte, nennen wir sie A und B, von denen, die sie jeweils innehaben, verlassen werden. Und gemeinsam ein neuer, gemeinsamer Standpunkt C gefunden wird. Eine gemeinsame Lösung.“
Tosender Applaus. Standing ovation. Nur der kleine Kickl machte sich noch kleiner, als er eh schon ist, verzog keine Miene, applaudierte nicht und blieb sitzen. Er applaudierte nicht einmal, als der gelobte Angelobte den Ukraine-Krieg „verachtenswert“ nannte.
Alles in allem kann man aber sagen, dass wir die Angelobung des Herrn Bundespräsidenten unbeschadet überstanden haben. Selbiges kann man von der niederösterreichischen Landtagswahl – wenn sie überhaupt eine Landtagswahl war – nicht behaupten.
Zuerst ist von einem typisch österreichischen Phänomen zu berichten, der Aufhebung der Schwerkraft. Der kleine und – wie sich bei der Angelobung im großen Saal der Bundesversammlung zeigte – kleinkarierte Kickl, der gerade noch sitzengeblieben war, schwebte schon wenige Tage danach in ungeahnte Höhen. 24 Prozent!
Krachende Niederlagen für die allmächtige ÖVP, die in wenigen Stunden um das all- gebracht wurde und die Talsohlen-SPÖ, die einen ohnehin geschenkten Elfmeter ohne Tormann nicht einmal in die Nähe des Tores brachte. Die beiden Trümmerhaufen werden jetzt wohl eine Trümmer-Koalition bilden. Das wird lustig. Und die FPÖ wird weitersiegen und weitersiegen und weitersiegen. Und was der Angelobte dann macht, wenn „Kickl zum Quadrat“ vor ihm steht und sagt. „Na, was machst jetzt, Oida? Jetzt kannst Du Dir Deinen Kompromiss in die Haar‘ schmieren“, das will wohl niemand beantworten müssen.
Ja, so geht es zu bei uns im angelobten Land.
Ob Friedrich Schiller jetzt explizit Niederösterreich, oder Österreich, oder Europa oder die ganze Welt gemeint hat, lässt sich im Nachhinein leider nicht mehr eruieren. Jedenfalls bedanke ich mich bei Dr. K., dass er dieses Gedicht von Schiller am Tag nach der Wahl auf Twitter gestellt hat:
Die Mehrheit?
Was ist die Mehrheit?
Mehrheit ist der Unsinn,
Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.
Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?
Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?
Er muss dem Mächtigen, der ihn bezahlt,
um Brot und Stiefel seine Stimm verkaufen.
Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen;
Der Staat muß untergehn, früh oder spät,
wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.
Es verneigt sich vor so viel Vorhersehkraft,
Ihr Harry Bergmann
Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.
Zuletzt erschienen:
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Nr. 174 Die Sonntagsredner (28.04.2023)
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Nr. 170 Die Gefallenen und die Hingefallenen (23.03.2023)
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