„Heb‘ die Füße beim Gehen!“, sagte meine Mutter

Harry Bergmann über den Tod der 18-jährigen israelischen Soldatin Noa Lazar und einen österreichischen Bundesheer-Unteroffizier in selbstgebastelter SS-Uniform

Harry Bergmann
am 17.10.2022

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Die israelische Soldatin Noa Lazar wurde nur 18 Jahre alt | Foto: IDF

Ich bin am Sprung. Von Tel Aviv nach Wien. Mit einem Bein gerade noch da, nämlich in Israel. Mit dem anderen Bein noch nicht ganz dort, nämlich in Österreich.

Bei dem Gerade-noch-da-Bein redet jeder nur mehr über die Wahl am 1. November. Der Ausgang der Wahl ist eigentlich ganz einfach: entweder es wird Bibi, mit Heulen und Zähneknirschen bei den Mitte-Linken und Liberalen, oder es wird nicht Bibi, mit Heulen und Zähneknirschen bei den Rechten und Orthodoxen. Also in jedem Fall Heulen und Zähneknirschen. Eher bei den Mitte-Linken und Liberalen. Leider.

Bei dem Noch-nicht-ganz-dort-Bein redet keiner mehr über die Wahl. Was gibt es auch groß zu reden? Der Ausgang war von allem Anfang an klar: der, der schon Bundespräsident war, ist wieder Bundespräsident geworden. Das Heulen dieses Vorher-Nachher-Bundespräsidenten, dass es keine „g’mahte Wiesn“ sei, war bloßes Wahlkampf-Gesülze, das ich übrigens für ein – über allen schwebendes – Staatsoberhaupt nicht besonders souverän gefunden habe. Sie können es nicht hören, aber ich knirsche jetzt ein bisschen mit den Zähnen.

Jetzt reden dafür alle über Dominik Wlazny, der sich extra für diesen Wahlgang von Marco Pogo auf den leichter auszusprechenden Namen Wlazny umbenannt hat. Er wird von Interview zu Interview weitergereicht. Endlich haben wir wieder ein Wunderkind. Das letzte ist uns ja unrühmlich abhandengekommen. Dabei ist das Wlazny-Phänomen – zumindest aus meiner Sicht – gar nicht so schwer zu erklären. Es ist ein singuläres Phänomen dieser Wahl. Neben dem Start-Ziel-Sieger war nämlich die alternative Auswahl nicht nur erschreckend rechts, sondern noch erschreckender peinlich.

Zwei dieser Figuren gehören unbedingt hervorgehoben. Der eine, der von einer erschreckend rechten Partei aufgestellt und wahlkampfbudgetmäßig ordentlich durchgefüttert wurde, erschien am Wahltag mit zwei Pflastern auf seiner Denkerstirn. Er hatte sich am Schießstand verletzt. Dass er sich ausgerechnet beim Schießen so deppert angestellt hat, wird ihn übrigens in seinen Kreisen noch echt in Schwierigkeiten bringen.

Der andere sagte, dass er gelogen hatte, als er sagte, dass er einen Wahlkampfleiter hatte.

Dann sagte er aber, dass er gelogen hatte, dass er gelogen hatte, dass er einen Wahlkampfleiter hatte. Vielleicht hat er aber auch gelogen, dass er gelogen hatte, dass er gelogen hatte. Jedenfalls ein Schuss ins eigene Knie. Was haben die Rechten nur immer mit dem Schießen?

Zurück zu Wlazny oder besser gesagt zu seinen Wählern. Da waren einmal die Jungen, die ihn cool fanden. Dass ein Bundespräsident vieles sein sollte, aber nicht unbedingt cool, stand offensichtlich nicht auf dem Wahlzettel. Und dann waren die, die vor Jahren mit großer Begeisterung den alten neuen Bundespräsidenten gewählt hatten, jetzt aber ihre Enttäuschung zum Ausdruck bringen wollten. Die konnten entweder gar nicht wählen gehen oder eben – gefahrlos – Wlazny wählen. Und schon ist ein Shooting-Star geboren, um beim Schießen zu bleiben.

Jetzt ist aber echt schon zu viel von dieser Wahl bei dem Noch-nicht-ganz-dort-Bein geredet, von der eh keiner mehr reden will.

Bei dem Gerade-noch-da-Bein ist vor ein paar Tagen etwas Schreckliches passiert. Sie hieß Noa Lazar, war gerade einmal unschuldige 18 Jahre jung und trug die Uniform der IDF (Israel Defense Forces), als sie in Ost-Jerusalem von einem Palästinenser, der höchstwahrscheinlich nicht viel älter ist als sie es war, erschossen wurde. Das Betrachten ihres Fotos sagt tausendmal mehr über die entsetzliche Ausweglosigkeit der Situation in Israel aus, als ich – oder irgendjemand anderer – schreiben könnte.

Bei dem Noch-nicht-ganz-da-Bein ist vor ein paar Tagen auch etwas Schreckliches passiert. Ein junger Unteroffizier des Bundesheeres, sicher auch nicht viel älter als Noa Lazar und ihr Mörder, trug eine „selbstgebastelte“ SS-Uniform, als er nichts Besseres zu tun hatte, als sich mit dem Hitler-Gruß auf dem Fußballplatz wichtig zu machen.

„Nicht der erste Neonazi“ könnten Sie jetzt zu Recht sagen „und leider nicht der letzte. Sicher auch nicht der erste Neonazi im Bundesheer.“ Ich gebe Ihnen recht. Was ich deshalb viel erschreckender gefunden habe, waren die ersten Reaktionen des Bundesheeres darauf. Die erste selbstverständliche Reaktion, nämlich die sofortige Entlassung des recken Recken passierte … nicht. Dann ein Herumeiern über Dienstrecht. Eine Geldstrafe über 5000 Euro. Und vor allem ein mildernder Umstand: er war betrunken.

Ist Wiederbetätigung wieder ein Kavaliersdelikt und „a b’soffene G’schicht“?

Apropos Soldaten in Israel und Österreich: Israel und Österreich ziehen gemeinsam in den Krieg. Und wer taucht da wieder auf? Sie glauben es nicht: unser Wunderkind Basti. Ich wollte wirklich nichts mehr über ihn schreiben, aber jetzt das: Basti zieht in den Cyberkrieg. Natürlich nicht als Angreifer – wo denken Sie hin? – sondern als Verteidiger. Da wir aber alle wissen, dass Angriff die beste Verteidigung ist, hat er sich mit einem berühmten Cyber Angreifer zusammengetan und eine Cybersecurity Firma gegründet. Dieser berühmte Angreifer ist Shalev Hulio und war der CEO der ebenso berühmt berüchtigten Cyberattack Firma NSO. Und Basti ist jetzt sein Türöffner. Jetzt schützt er die bösen Buben vor noch böseren Buben. Wo er das wohl gelernt hat, der Bub?

Bevor Sie mich jetzt fragen, was das alles mit meiner Mutter zu tun hat, sag ich es lieber gleich: nicht allzu viel. Als ich über meinen großen Schritt – der eigentlich ein Flug ist – von Tel Aviv nach Wien nachdachte, fiel mir dieser Satz von ihr ein. Sie hatte immer Angst, dass ich stolpern würde, weil ich meine Schritte so schlampig setzte und zu wenig darauf achtete, wo und wie ich gehe.

„Aber das tu ich ja eh, Mama. Ich bin gerade in Wien gelandet und konzentriere mich in den nächsten Wochen darauf, meine Schritte bewusst zu setzen, um nicht durch meine Texte zu stolpern und in jedem Fettnäpfchen zu landen.“

Ob das halbwegs sinnvolle Kolumnen ergibt, werden wir ja sehen, meint

Ihr Harry Bergmann


Dr. Harry Bergmann, Werbedilettant (gar nicht einmal so schlecht), Kolumnisten-Dilettant (na, ja…). Hat durch das Schreiben einige Freunde verloren, aber mehr gewonnen (glaubt er zumindest). Denkt seit einiger Zeit darüber nach, ob der Flug Wien – Tel Aviv ein Hinflug oder ein Rückflug ist.

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